Tichys Einblick
Die unMigrationsindustrie wächst

Abschiebung? Schon 250.000 Klagen gegen Ablehnungsbescheid

Eine eigene Refugee-Akademiker-Sprache hat sich entwickelt, in ihrer Unlesbarkeit beispielhaft für den Dschungel an Wahnsinn: auf dem Rücken hunderttausender Entwurzelter als Dauerbeschäftigungsmaßnahme für Helfer und Helfershelfer.

Ausgerechnet das „Neue Deutschland“ machte hellhörig, als es am 20.Juli berichtete, es wären aktuell Asylklageverfahren von zweihundertfünfzigtausend (!) Personen vor deutschen Gerichten anhängig. Die zuständigen Verwaltungsgerichte ständen kurz vor dem Kollaps – „Irgendwann bricht alles zusammen“.

Die Warnung kommt direkt von Robert Seegmüller, Vorsitzender des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland der Madsack-Mediengruppe, die damit 30 Tageszeitungen mit einer täglichen Gesamtauflage von mehr als 1,4 Mio. Exemplaren bedienen. Der große Aufmacher wurde trotzdem nicht daraus.

Die Zahl allerdings kommt bekannt vor, wenn auch in einem anderen Zusammenhang: Im September 2016 berichtete der damalige BAMF-Chef Frank-Jürgen Weise, das  Bundesamt für Migration werde voraussichtlich bis zu 250.000 Asylanträge in 2016 nicht mehr abarbeiten können, obwohl man im selben Jahr bereits etwa 700.000 Anträge entschieden hätte.

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Dass das Bundesamt nun noch schneller arbeitete, damit war es aber, wie wir nun wissen, offensichtlich noch lange nicht getan. Nun weiß Seegmüller, dass es noch nicht einmal mit einer Aufstockung des Personals getan wäre. Man sei zwar gewillt, einzustellen, aber man findet „das dringend benötigte Personal immer schwerer“. Schuldzuweisungen nutzen kaum, eines allerdings muss der Vorsitzende des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter trotzdem loswerden: Die Klagen würden eben auch an der Qualität der Bescheide liegen. Arbeitet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge allzu schlampig?

Wer reicht nun die Klagen ein? Dafür müssen doch Anwälte her. Und auch die werden knapp, wie die WELT schon 2015 feststellen musste. Und wer bezahlt Anwälte, wenn es die betroffenen Asylbewerber nicht können, da man ja abgelehnten Asylbewerbern das Geld radikal kürzen dürfte, wie die WELT zwei Jahre später wusste? „Demnach darf der Staat die Unterstützung auf die Sachleistungen zur „Sicherung der physischen Existenz“ beschränken. Diese Kürzung auf das im Asylbewerberleistungsgesetz beschriebene „unabweisbar Gebotene“ sei verfassungskonform.“

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Wo kommt das Geld also her? Na klar, da gibt es ja noch die Prozesskostenhilfe. Jetzt kann man sich ausrechnen, was zusammenkommt, wenn aktuell für 250.000 anhängige Fälle Anwaltskosten zu bezahlen sind, die dann via Prozesskostenhilfe zu entrichten wären. Die Summen wäre wohl ruinös für Staat und Steuerzahler. Die Frage stände zudem im Raum, warum es bei den zu erwartenden astronomischen Verdienstmöglichkeiten einen Mangel an Anwälten für Asylrecht gibt. Schlicht deshalb, weil es keineswegs so ist, das abgelehnte Asylbewerber Prozesskostenhilfe bekämen. Die Caritas berichtet, dass Prozesskostenhilfe für die Klage den Asylbewerbern meistens mangels Erfolgsaussichten verwehrt wird. Aber wer zahlt es dann? Dazu sprechen wir einen Anwalt für Asylrecht an, der unverbindlich aus seiner Praxis erzählen kann.

Vorher aber noch einen vertiefenden Blick in die Ansichten der Anwaltschaft zum Klageweg für abgelehnte Asylbewerber, wie beispielsweise auf anwalt.de, einem der größten deutschen Anwaltsportale. Dort heißt es unter „Rechtstipps“, einsehbar für Kollegen und Ratsuchende:

„Das Bundesamt hat die Glaubwürdigkeit der Angaben des Asylbewerbers in Zweifel gestellt. Oftmals liegt dies daran, dass der Übersetzer den Asylbewerber nicht richtig verstanden hat und die Aussagen nicht richtig wiedergegeben hat. Oftmals versteht auch der Asylbewerber den Dolmetscher nicht richtig. Dies sollte dem Gericht dann deutlich gemacht werden. Die Fluchtgründe sind nicht hinreichend bewiesen. Beweise können durch Angehörige im Herkunftsland beschafft werden. Sofern der Asylbewerber sehr krank ist (auch psychische Erkrankungen) können auch in Deutschland ärztliche Atteste eingeholt werden. Es muss dann dargelegt werden, dass eine Behandlung im Herkunftsland nicht möglich ist.
Der Asylbewerber war in der Anhörung vor dem BAMF aufgeregt, traumatisiert oder sehr müde. Auch dies sollte dem Gericht mitgeteilt werden.“

Und das ist dann erst die Empfehlung für die erste Instanz. Bei einer ablehnenden Entscheidung kann noch die Zulassung der Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht beantragt werden. „Dies hat Aussicht auf Erfolg, wenn es um Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung geht oder wenn die Gerichte in einer Sache unterschiedlich entscheiden.“

Aber zurück zum Anruf beim Rechtsanwalt für Asylrecht und der Frage, wer ihn und seine Kollegen denn bezahlt. Zunächst einmal erfahren wir, dass man, wenn man den Prozess gewinnt, vom Bundesamt bezahlt wird, die ja dann verloren hätten. Aber nicht jeder Anwalt könnte mit gutem Gewissen Asylsuchende vertreten. Dafür gäbe es aber immer bessere Anwaltslehrgänge, die Anwälte anschließend als Fachanwälte für Asylrecht ausweisen würden.

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Die Anwaltskosten würde man den Mandanten in Ratenzahlung anbieten. Also bis zu 50 Euro im Monat, viel mehr wäre ja nicht drin. Auf Nachfrage, was denn bei verloren gegangenen Prozessen mit diesen Raten wäre, wie man die anmahnt oder wie die Zahlungsmoral aussehe, wenn Asylbewerber abgeschoben werden würden, berichtet der Anwalt, dass es sich kaum lohnen würde, überhaupt nachzuverfolgen, ob regelmäßig eingezahlt wird, da würde viel auf Vertrauensbasis gemacht und am Ende würden es viele Kollegen einfach über die Masse an Mandanten machen, auch wenn die Qualität dann darunter leide, käme schon was zusammen.

Einen Antrag auf Prozesskostenhilfe könne man sich jedenfalls in der Regel sparen, da würden die Richter sehr restriktiv vorgehen. Wenn man aber die Prozesskostenhilfe dennoch bekäme, dann würde man den Prozess in der Regel auch gewinnen.

Die Klagefristen seien mit zwei Wochen relativ kurz, da müsse man schnell handeln. Aber wenn man weiß, dass diese Prozesse in der Regel mindestens fünf bis sechs Monate dauern, gerne auch mal zwei Jahre und länger, dann gäbe es für diesen Zeitraum schon einmal ein Bleiberecht.

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Nun mag dieser Anwalt nicht repräsentativ für alle Anwälte sprechen. Seine Angaben sind auch nicht zwingend verallgemeinerbar, nicht einmal auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Aber dennoch entsteht während der Recherche zu diesem Thema der Eindruck einer wachsenden Klageindustrie. Hier hat sich eine Welcome-Klagepraxis etabliert, die Entscheidungen des Bundesamtes proaktiv in Frage stellt. Die dort Rechtsmittel einlegt, wo Prozesskostenhilfe nicht gewährt wird schon aufgrund fehlender Erfolgsaussichten. Macht aber nichts, denn der Staat, also der Steuerzahler, wird ja durch die automatische Verlängerung der Aufenthaltsdauer weiterhin zur Kasse gebeten.

Und wer kein Geld hat, kann alternativ einen Antrag auf anwaltliche Hilfe auch bei den Flüchtlingsräten der Länder stellen. ProAsyl berichtet dazu: In dringenden Fällen, in denen eine intensive rechtliche Unterstützung durch einen Anwalt oder eine Anwältin unabdingbar ist, die Betroffenen aber nicht in der Lage sind, Anwalts- oder Gutachterkosten zu zahlen, besteht die Möglichkeit, beim Flüchtlingsrat des jeweiligen Bundeslandes einen Antrag auf Unterstützung durch den PRO ASYL-Rechtshilfefonds zu stellen.

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Und wenn dann doch alles scheitert in erster und zweiter Instanz, wenn alle Rechtsmittel ausgeschöpft, wenn sogar die Anwälte bezahlt wurden, wenn es auch keine plausiblen humanitären oder Krankheitsgründe mehr gibt, keine Kinder da sind, die sich mittlerweile „integriert“ hätten, dann weiß der Flüchtlingsrat trotzdem noch Rat. So stellte der Ableger in Schleswig-Holstein gleich die gesamte Abschiebepraxis, oder neudeutsch: „Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen; Zwangsweise Rückführungen vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländerinnen und Ausländer“ in Frage.

Und auch wenn das hier eine abschließende große Kraftanstrengung für jeden Leser sein dürfte, muss man das einfach mal im Original gelesen haben. Nicht um es in Gänze zu verstehen, aber um zu begreifen, dass sich hier bereits eine eigene Refugee-Akademiker-Sprache entwickelt hat, die in ihrer Unlesbarkeit beispielhaft sein dürfte, für diesen Dschungel an Wahnsinn, der entstanden ist: letztlich auf dem Rücken hunderttausender Entwurzelter und als Dauerbeschäftigungsmaßnahme für Helfer und Helfershelfer:

„Und schließlich hält der Flüchtlingsrat in Übereinstimmung mit dem sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsstand bzgl. einer auf die gesellschaftlich bestehenden und volkswirtschaftlich hergeleiteten zuwanderungspolitischen Bedarfe eine auf u.a. ethnisch selektive Integrationsförderung und insbesondere auf die Externalisierung von „hunderttausenden“ (Thomas de Maizière) Flüchtlingen angelegte Flüchtlingsabwehrpolitik für einen Irrweg, für gesamtgesellschaftlich selbstschädigend und nicht einmal als Strategie zur Minimierung rechtspopulistischer Konkurrenzen an den Wahlurnen für zielführend.“

Sprache ist verräterisch.