Tichys Einblick
Präsident des Bundes der Steuerzahler

Reiner Holznagel: „Missbraucht nicht ständig das Steuersystem!“

Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler, fordert eine Senkung der Mehrwertsteuer als Antwort auf die Inflation. Und die Europäische Zentralbank müsse endlich aus ihrer politischen Instrumentalisierung durch die Regierungen entlassen werden.

Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler

IMAGO / Eventpress

Tichys Einblick: Glauben Sie, dass die Inflation noch lange andauern wird, oder ist ein Ende in Sicht – und ist jetzt nicht eigentlich der Zeitpunkt, die Steuern zu senken?

Reiner Holznagel: Natürlich ist jetzt der Zeitpunkt, die Steuern zu senken. Denn wenn wir sie nicht senken, werden wir alle mehr bezahlen. Das ist eben gerade bei einer Inflation das Problem, dass sogar bei einer gleichbleibenden Steuerbelastung wir am Ende durch die Preisentwicklung höhere Steuern zahlen. Deswegen muss jetzt die kalte Progression im Einkommenssteuertarif abgebaut werden, und natürlich müssen auch noch andere Steuern gesenkt werden, da trage ich, glaube ich, keine Eulen nach Athen, das ist ja völlig klar. 

Sind Sie grundsätzlich für Steuersenkungen oder befürworten Sie die aktuell diskutierten Ansätze in der Politik, Steuern als erzieherisches Anreizinstrument zu nutzen – beispielsweise mit einer Senkung der Steuer nur auf ökologisch nachhaltige Nahrungsmittel? 

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Wir müssen hier sortieren. Natürlich bringen temporäre Steuersenkungen nicht viel. Das haben wir in der Corona-Pandemie gesehen, da hatten wir ein halbes Jahr die Mehrwertsteuer gesenkt. Das ist volkswirtschaftlich quasi verpufft. Und gerade auf der wirtschaftlichen Seite hatten wir sogar eine negative Bilanz, weil die Umstellungskosten extrem hoch waren. Deswegen halte ich nichts davon, wenn jetzt temporär die Mehrwertsteuer gesenkt wird. Das ist Aktionismus – wir müssen aber strukturell denken. Und ich glaube auch, dass die Inflation weiter anhält. Wenn wir unser Umland sehen, gerade auch die westlichen Nationen, dann sehen wir eine steigende Inflationsrate, also müssen wir da strukturell ran.

Insofern muss als erstes natürlich die Einkommenssteuer gesenkt werden, die kalte Progression, und dann müssen wir uns auch über manche Verbrauchssteuern Gedanken machen. Da wo der Warenkorb extrem weh tut, da muss eben der Staat auch gegensteuern. Und da geht es ja eigentlich gar nicht um Steuersenkungen, ich mag diesen Begriff in diesem Zusammenhang gar nicht. Sondern es geht darum, dass nicht noch mehr Steuern bezahlt werden. Denn der Staat nimmt ja über diese Preisentwicklung und die gleichbleibenden Steuern mehr ein. Insofern reden wir darüber, dass die Mehreinnahmen gleich wieder zurückgegeben werden.

Ist es so, dass wir eine Steuergesetzgebung haben, die den Steuerzahler nur noch als Melkkuh betrachtet und auspresst, statt zu überlegen: Kann die noch überleben, die Kuh?

Ich würde erstmal gar nicht an die Kuh denken, also an uns Steuerzahler an dieser Stelle, sondern vielleicht erstmal an den, der sie melken will – und da verwundert es mich immer wieder, dass gerade das Steuersystem für viele politische Ideen zweckentfremdet, wenn nicht sogar missbraucht wird. Die Grundidee des Steuersystems ist es, dem Staat, der Politik Geld zu verschaffen, dass die Uraufgaben des Staates finanziert und erledigt werden können. Und so manche steuerliche Idee ist letzten Endes dadurch geprägt, dass man sagt: „Okay, die Menschen wollen die Steuern vermeiden, also setze ich die Steuern auf Fleisch sehr hoch.“ Dahinter steckt die Idee, dass dann weniger Fleisch gekauft wird. Aber das ist ja schon in sich nicht schlüssig, denn wenn die Menschen genau das machen, was die Politik will, dann bleiben ja die Einnahmen aus. Also werden wieder an anderer Stelle die Steuern erhöht.

Insofern ist das kein Perpetuum Mobile, sondern es ist ein Widerspruch in sich. Deswegen sollte man zuerst zu denjenigen sprechen, die im Plenarsaal sitzen: Missbraucht nicht ständig das Steuersystem! Denn das Steuersystem ist dazu da, um Aufgaben zu finanzieren und zu erledigen. Und am Ende ist es eben so, um Ihre Frage konkret zu beantworten: Ja, der Steuerzahler ist letzten Endes eine Melkkuh. Letztlich wollen wir ja auch alle Steuern zahlen, damit dieser Staat funktioniert, damit das Gemeinwohl funktioniert, aber die Frage ist ja, in welcher Höhe.

Sendung am 12.05.2022
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Und wenn ich so manche steuerpolitische Diskussion verfolge, dann hat die immer einen Grundsatz: Die Reichen sollen mehr zahlen – „reich“ ist natürlich immer der andere – und unten soll entlastet werden. Aber wie das genau ausgestaltet wird, das bleiben uns dann die vielen Fachleute, Experten und Politiker schuldig, und dementsprechend haben wir in der Steuerpolitik mittlerweile ein relativ großes Chaos. Das macht uns mürbe und bedeutet wahnsinnig viel Bürokratie und Reibungsverluste.

Wir haben ja in der Politik viele harte und konkrete Meinungen, aber wenig Wissen. Wenn ich an der einen Schraube drehe, dann verändert sich alles andere, und das wird in der Politik aus meiner Sicht völlig unterbewertet und auch schrittweise ausgeblendet.

Was ist die Aufgabe des Staates? 

Erstmal für innere und äußere Sicherheit sowie Rechtsstaatlichkeit zu sorgen. 

Die äußere Sicherheit wird gerade ziemlich gefährlich, hat man das Gefühl. 

Naja, wir sehen eben seit einigen Wochen, dass das Narrativ, das wir seit Jahren in der Politik und in vielen gesellschaftlichen Schichten gehört haben, dass die Sicherheitsfrage keine mehr wäre, falsch ist. Und dass wir entsprechend diesem falschen Narrativ eben auch unterschiedliche schwerpunktmäßige Fehler gesetzt haben, Stichwort Ausrüstung und Wehrfähigkeit der Bundeswehr. Aber eben auch allgemein die Investitionen, die wir für unsere Grenzsicherung brauchen, das sind alles Themen, die müssen wir jetzt mit Siebenmeilenstiefeln nachholen.

Das belastet natürlich auch uns Steuerzahler weiterhin. Und darüber hinaus vermisse ich auch, dass wir diese Diskussionen eingebunden führen, in der Nato aber auch in der europäischen Form. Ich verstehe nicht, wieso die Bundeswehr jetzt 100 Milliarden bekommt. Wieso ist das nicht international abgestimmt? Wir sehen ja jetzt schon bei der Ertüchtigung der Ukraine, dass so manches Gerät gar nicht miteinander kompatibel ist.

Also wir sehen einfach, dass staatliche Aufgaben auf der einen Seite oftmals vernachlässigt worden sind und der Staat sich auf der anderen Seite viele Aufgaben zu eigen macht und dementsprechend dafür auch die Mittel braucht. Wie wir aber dahin kommen und mit welchen Mitteln, das wird oft nicht so breit und wie nötig diskutiert. Deswegen meine ich schon, dass wir uns in diesen Zeiten einfach mehr Zeit nehmen müssen, über Strukturen nachzudenken, um eben auch die Zusammenhänge zu erklären. Das ist die Politik uns schuldig, und das findet nach wie vor aus meiner Sicht nicht genügend statt. 

Was sind denn die größten Beispiele für Steuerverschwendung aus Ihrer Perspektive? 

Für mich ist die Größe des Bundestages zurzeit ein sehr problematischer Zustand. Wir haben 736 Abgeordnete, das sind 138 über dem Soll. Auch die Größe der Bundesregierung ist für mich sehr problematisch, sie ist die größte Bundesregierung aller Zeiten mit 37 parlamentarischen Staatssekretären und 16 Ministern. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will weder die Bundesregierung noch den Bundestag abschaffen. Aber wenn wir in so eine Zeitenwende eintreten, in der für jeden klar ist, dass die Ressourcen knapper werden, dann muss gerade die politische Spitze, die politische Führung vormachen, wie es geht, und da den Gürtel enger schnallen.

Sich auf das zu konzentrieren, was notwendig ist, wäre aus meiner Sicht ein tolles Bild, ein gutes Narrativ, und würde deutlich machen, wo wir in der Politik, in der Gesellschaft und auch in der Wirtschaft hin müssen. Aber wenn genau da das Gegenteil des Gepredigten gemacht wird, dann wird es unglaubwürdig, und das treibt eben auch die Wut und vor allen Dingen das Unverständnis. Deswegen müssen wir an dieser Stelle schlicht und ergreifend Strukturen ändern. Die Verkleinerung des Bundestages wird uns Steuerzahler nicht retten. Es geht auch nicht ums Geld. Es geht um die Symbolik, und um das Selbstverständnis des Parlaments.

Nun ist es ja so, dass bei der Inflation der Staat immer gewinnt. Viele sehr Wohlhabende können sich der Inflation auch ein Stück entziehen, aber wer wenig hat, dem bleibt nichts übrig, als zu bezahlen. Ist Inflation nicht die eigentliche soziale Frage unserer Zeit? Inflation ist ungerecht, sie frisst das Geld derer auf, die am wenigsten haben. 

Steuer- und Abgabenlast
Die Inflation frisst die Mittelschicht auf – und die Politik schaut zu
So ist es. Über Jahre und über Jahrzehnte haben wir geglaubt, dass es keine Inflation mehr gibt. Wir hatten Werte um 0 bis 0,5 Prozent, also nicht dramatisch. Nun ist sie mit Wucht zurückgekehrt – im Mittel um die fünf Prozent, Monatsraten von über sieben Prozent. Insofern trifft es Geringverdiener mit geballter Wucht, aber wir müssen uns natürlich auch den Warenkorb mal genauer anschauen und dann sehen wir, dass die ein oder andere Preisentwicklung auch hausgemacht ist.

Ich wundere mich immer wieder über die Energiepreisdiskussionen, die wir derzeit führen. Das ist natürlich ein Thema, das sehr schnell mit dem Krieg in der Ukraine in Verbindung gebracht wird, was mit Sicherheit auch eine Preisgestaltung nach sich zieht, aber Fakt ist: Auch mit Einführung der CO2-Besteuerung zu Beginn dieses Jahres haben wir eine massive Verteuerung der Energieträger ohnehin gehabt. Also da werden manchmal die Zusammenhänge etwas durcheinander gebracht. 

Das ist nicht immer alles Putin?

Es ist nicht immer alles Putin. Putin ist an dieser Stelle mit Sicherheit ein Beschleuniger, und er sorgt dafür, dass wir zurzeit einen Preiskampf haben. Wir haben auch keine Ressourcenknappheit, noch nicht bei Lebensmitteln. Aber dass viele staatliche Handlungen dazu beigetragen haben, dass die Preisentwicklungen sich jetzt so rasant entwickeln, wie sie sich entwickeln, das ist völlig klar, und daher müssen wir an dieser Stelle auch ganz genau hinschauen, was passiert. Dass fossile Energieträger schrittweise immer teurer werden, das muss eigentlich jedem klar gewesen sein.

Ich frage mich, wo jetzt die Kompensation ist. Ich wundere mich immer, dass wir zu wenig beim Strompreis machen, um das beispielsweise gegen zu kompensieren, dort hätten wir wesentlich mehr machen können, und das wäre auch im Sinne eines grünen Ökostroms nachvollziehbar, aber da passiert zu wenig. Dann kommt die EEG-Umlage, die wird ja einfach nur gegenfinanziert durch die CO2-Besteuerung. Also wir müssen uns den Warenkorb genau anschauen, und deswegen kann man schon sagen, dass bei einigen Produkten, bei einigen Grundnahrungsmitteln auf lange Zeit die Inflation da bleiben wird: aufgrund der Ressourcenknappheit, aufgrund der Besteuerung, und natürlich auch aufgrund der geopolitischen Lage, in der wir uns befinden.

Um die weitere Inflation zu bekämpfen, sollten wir die Zinsen anheben. Die amerikanische Notenbank hat das jetzt getan, und sie hat weitere Schritte angekündigt. Die EZB bleibt da noch relativ stur. Die Zinserhöhung ist ja auch ein gewisser Drahtseilakt; für die Sparer ist es gut, für verschuldete Staaten ist es weniger vorteilhaft. Wie viel Zutrauen haben Sie als Präsident des Steuerzahlerbundes eigentlich in die Politik der EZB?

Wenig. Und die Politik der EZB hat ja in den letzten Jahren bewiesen, dass sie ein politisches Instrument geworden ist und nicht mehr frei entscheidet. Es kommt ja auch nicht von ungefähr, dass der letzte Bundesbankpräsident sich jetzt auch etwas beruflich verändern will. Der neue Bundesbankpräsident hat Gott sei Dank die Inflation zu seinem Thema erklärt. Ich kann die Politik nur auffordern, die Notenbanken freizulassen, damit sie wirklich ihren Aufgaben nachkommen. Und ganz an vorderster Stelle steht eben Preisstabilität, und das muss umgesetzt werden.

Das heißt: Wir brauchen auch eine strengere Geldpolitik?

Das Geld war in den letzten Jahren viel zu billig. Am Anfang brauchten wir billiges Geld, um hochverschuldete Staaten retten zu können, ohne dass die unmittelbaren Kosten sofort sichtbar geworden sind. Sie werden aber jetzt sichtbar, eben durch beispielsweise geringere Renditen gerade auch bei privaten Rentenanlagen. Dann haben wir eben Wirtschaftswachstum gehabt, indem wir eben auch mit billigem Geld auch ordentlich pumpen und Transformationsprozesse ankurbeln konnten.

Europäische Kommission
Der Stabilitätspakt bleibt voraussichtlich ausgesetzt – womöglich für immer
Jetzt haben wir das Problem, dass wir uns weiterhin stark verschulden müssen, um beispielsweise die Bundeswehr zu ertüchtigen. Also wir sehen auf staatlicher Seite immer wieder Herausforderungen, die mit frischem, billigem Geld gemeistert werden sollen, und da kommt es natürlich sehr schwierig, wenn die EZB die Zinsen erhöht. Wir haben ja die Situation, dass wir Bundesanleihen teilweise mit negativem Zins an den Markt bringen können, also das heißt, dass die Institutionen auch noch Geld gegeben haben dafür, dass sie Bundesschulden gekauft haben. Das ändert sich gerade, und man muss eben auch so sagen: Ein Prozent Zinserhöhung bedeutet 15 bis 18 Milliarden jährlich mehr an Schuldendienst  – und dementsprechend ist eben eine höhere Zinspolitik auch eine große Gefahr für die Haushaltspolitiker. Die Freiräume sind dann weg, die Ausgabenwünsche müssen natürlicherweise geschrumpft werden, und davor scheut man. Insofern ist das, was wir gerade erleben, noch eine gute Situation. Die Folgen werden wir vielleicht in ein bis zwei Jahren spüren, aber gerade jetzt haben wir keinen Mangel an Geld. 

Angenommen, wir haben eine Familie, die zahlt Steuern, damit der Nachbar sich einen Tesla kaufen kann. Ist das ein verrücktes Beispiel oder trifft das zu?

Naja, das ist ein Beispiel, an dem wir die Steuerbelastung einfach mal plakativ darstellen können, und wie welche Dinge zusammenhängen. Wir können auch andersherum sagen: Der verbleibende Soli sorgt dafür, dass wir die E-Mobilität finanzieren, und da wird schon deutlich, dass so manches an der Steuer- und Wirtschaftspolitik paradox ist. Und die Frage ist ja richtig: Wenn jemand jetzt ein E-Fahrzeug haben möchte, dann kann er sich das kaufen. Ich erkenne nicht die Notwendigkeit, wieso an dieser Stelle der Staat unmittelbar subventionieren muss. Wir können darüber reden, ob die Infrastruktur besser ausgestattet werden muss, aber beim direkten Kauf, da sehe ich keine staatliche Aufgabe.

Zumal diejenigen im Bundestag, die das beschlossen haben, sagen, wir müssten mehr in Bildung investieren, in Gesundheit investieren, aber tatsächlich passiert so was. Warum solche Blüten der Subventionspolitik entstehen? Das liegt einfach daran, dass die öffentlichen Haushalte vollgepumpt sind mit Geld, und man weiß gar nicht, wohin mit den Milliarden. Zurzeit habe ich den Eindruck, dass die Schaufenster vollgemacht werden, aber nach hinten hin ist nichts mehr, die Lager sind leer. Da würde ich sagen: Schuster, bleib’ bei deinen Leisten, kümmere dich um deine staatlichen Aufgaben. 

Was glauben Sie bedeutet all das für kommende Lohnverhandlungen?

Natürlich werden die Lohnverhandlungen geprägt sein durch die Inflation. Wie gesagt, wir haben im Monat 7,3 Prozent, da geht natürlich jede Gewerkschaft hoch rein in die Verhandlungen und fordert mindestens einen Inflationsausgleich und natürlich noch eine weitere Einkommensverbesserung für die Beschäftigten. Das Problem ist nur, was passiert jetzt steuerlich? Und da müssen die Gewerkschaften ein wenig mit ihren Forderungen runtergehen. Wenn die kalte Progression abgeschafft wird, wird der Einkommenssteuertarif um die Inflationsrate beseitigt, alle Werte werden um die Inflationsrate verschoben. Und wenn das gemacht wird, entstehen keine automatischen Steuererhöhungen.

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