Tichys Einblick
TE-Interview mit Frank Henkel

„Eingewanderter Antisemitismus ist ein großes Problem der inneren Sicherheit“

Der frühere Berliner Innensenator Frank Henkel sagt nach den propalästinensischen Aufmärschen in Berlin, dass Antisemitismus bei muslimischen Einwanderern weit verbreitet sei. Der Staat sei lange zu nachsichtig gewesen. Henkel macht Innenministerin Faeser schwere Vorwürfe.

IMAGO/Stefan Zeitz

TE: Deutschland ist von den antisemitischen Aufmärschen in Berlin erschüttert. Aus Ihrer Erfahrung als Berliner Innensenator: Mit was für einer Szene haben wir es hier zu tun?

Frank Henkel: Aus meiner Sicht sehen wir da eine ganz merkwürdige Mischung. Zum einen radikalisierte muslimische Jugendliche, eingewanderte Palästinenser oder dubiose Organisationen mit Schnittstellen auch in die linksradikale Szene. Alle vereint im Hass auf den Staat Israel. In meiner Amtszeit haben wir so etwas immer wieder auf den jährlichen Al-Quds-Demonstrationen beobachtet. Aber die Situation hat sich nach 2015 – wie ich finde – nochmal deutlich verschärft.

Es wäre allerdings zu kurz gegriffen, hier einfach nur von wenigen organisierten Gruppierungen auszugehen. Bei muslimischen Einwanderern ist Antisemitismus leider weiter verbreitet, als manch einer gerne eingestehen will.

Antijüdische Aufmärsche in Neukölln
Falko Liecke: Wo bleibt die klare Kante gegen Israelfeinde, Frau Faeser?
Der Staat insgesamt war hier lange zu nachsichtig. Wenn mir als Innensenator klar war, dass ich eine solche Demonstration nicht verbieten konnte, dann war für mich auch ganz klar, dass es strenge Auflagen geben wird. Zum Beispiel: das Untersagen von Werbung für die Hisbollah. Ebenso klar war, dass konsequent gegen Hetze und Hass-Parolen vorzugehen war. Und ehrlich gesagt: Vernichtungsaufrufe gegen den Staat Israel wären Anlass genug gewesen, eine Demonstration auch aufzulösen. Wer die Vernichtung eines ganzen Volkes propagiert, der missbraucht die Demonstrationsfreiheit.

Der gegenwärtige Senat schöpft meines Erachtens die Möglichkeiten, mit denen man gegen diese Proteste vorgehen kann, nicht aus. Der Senat hat letztes Jahr etwa ein neues Versammlungsgesetz erlassen, das jetzt dazu geführt hat, dass die Polizei Journalisten von den Protesten abdrängen muss, weil diese von den Demonstranten als störend empfunden wurden. Dieses Gesetz muss dringend korrigiert werden.

Ansonsten bleibt es schwer, ausschließlich mit dem Versammlungsrecht zu agieren. Denn natürlich ist die Demonstrationsfreiheit zurecht besonders geschützt. Wenn es zu solchen Entgleisungen auf Berliner Straßen kommt, ist es eigentlich schon zu spät. Man müsste früher ansetzen, nicht erst wenn dieser Mob durch die Straßen zieht.

Wie müsste die Politik reagieren?

Antisemitische Straftäter müssen – da wo es möglich ist – schlichtweg konsequent abgeschoben werden. Ein Kontrollverlust wie 2015 darf sich nicht wiederholen, wir müssen darauf achten, wer zu uns kommt, und wir müssen in unseren Schulen klar Position beziehen dafür, was in unserem Land geht und was nicht geht. Das heißt auch, dass wir unser westliches Wertesystem vermitteln.

Dazu brauchte es härtere Strafen. Wenn Straftäter aus diesen Milieus in Deutschland mit einer Bewährungsstrafe davonkommen, werden sie von ihrem Umfeld gefeiert, die empfinden das meist als Freispruch. So etwas gibt es in den Herkunftsländern in der Regel nicht. Das wirkt nicht abschreckend, sie machen einfach weiter.

Tragen die gegenwärtige Regierungen in Bund und Ländern eine Mitschuld an den antisemitischen Ausschreitungen?

Faesers Appeasement
Wie sich Nancy Faeser bei Demokratiefeinden und Autokraten anbiedert
Ich denke, man kann niemandem unterstellen, dass er solche Ausschreitungen in irgendeiner Form gutheißt. Aus meiner Sicht gibt es schon einen generellen Grundkonsens in der Ablehnung antisemitischer Gewalt. Dennoch müssen einige ihr Verhältnis zu Israel klären. Natürlich darf man jeden Staat kritisieren. Aber diese permanente Fixierung auf vermeintliche oder tatsächliche Fehlentwicklungen in dieser einzigen Demokratie im Nahen Osten, bei gleichzeitiger Verharmlosung des palästinensischen Terrors, schafft ein merkwürdig antiisraelisches Grundklima in unserer Gesellschaft, das beim Kampf gegen Antisemitismus nicht gerade förderlich ist. Diese deutsche Überheblichkeit, gepaart mit einem extremen Moralismus, muss aufhören. Es ist doch lächerlich, wenn Herr Mützenich in Reaktion auf Angriffe auf Synagogen in Deutschland damit anfängt, die israelische Regierung über ihre Friedenspolitik zu belehren – hier läuft doch etwas schief.

Oder wenn die Jusos offen mit der antisemitischen Fatah-Jugend Bündnisse schmieden, müssen Politik und Gesellschaft darauf achten, dass es keinen fließenden Übergang von Israel-Kritikern zu harten Antisemiten gibt. Hier muss eine klare Grenze gezogen werden. Und die darf nicht erst da anfangen, wo Menschen auf den Straßen Berlins Juden den Tod wünschen oder Träger einer Kippa bedrängen, einschüchtern, zusammenschlagen.

Wie bewerten Sie die Rolle von Frau Faeser?

Kommentar
Die Gefahr „islamisch motivierter Antisemitismus“ endlich beim Namen nennen
Wenn ich Frau Faeser höre, die sich jetzt nicht mal dazu durchringt, hier von muslimischem oder eingewandertem Antisemitismus zu sprechen, sondern weiter Allerweltsphrasen drischt, dann muss ich sagen: Frau Faeser hat offensichtlich nicht verstanden, worum es geht. Bei Amtsantritt sagte sie, die größte Gefahr in unserem Land geht vom Rechtsextremismus aus. Richtig ist, dass Rechtsextremismus natürlich gefährlich ist – aber ihre einseitige Verengung auf den Rechtsextremismus geht so nicht. Als politisch Verantwortlicher muss man alle Formen des Extremismus entschieden bekämpfen: von rechts, von links oder religiös motiviert. Da kann man nicht nach eigenem Gutdünken die Augen bei einem bestimmten Hintergrund verschließen. Das führt zu enormen Verwerfungen.

Dieser eingewanderte Antisemitismus ist ebenfalls ein großes Problem der inneren Sicherheit in Deutschland. Und da müssen wir nicht mal bei der historischen Verantwortung unseres Landes anfangen, die kommt noch dazu. Erstmal geht es darum, dafür zu sorgen, dass sich alle Menschen in unserer Stadt oder in unserem Land frei bewegen können müssen, ohne ihren Glauben zu verstecken. Wenn der Eindruck entsteht, bestimmte Gebiete in der Hauptstadt können etwa mit Kippa nicht mehr betreten werden, dann ist das ein fataler Zustand, bei dem man nicht einfach zur Tagesordnung zurückgehen kann.

Die ausbleibende Benennung der Täter, die Verharmlosung, dieses ewige Drumherumreden beim muslimischen Antisemitismus, ist ein anhaltender Skandal. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an Äußerungen des Berliner Innensenators Geisel von vor einem Jahr bei ähnlichen Ausschreitungen. Er sprach dabei von „erlebnisorientierten“ jungen Männer. Wenn das keine Verharmlosung der Ausschreitungen war, dann weiß ich auch nicht.

Sie sprachen das Demonstrationsrecht an. Merkwürdig ist es ja schon, dass man die Demonstrationsfreiheit dieser Szene jetzt sehr genau achtet, während man andere Demonstrationen in den letzten zwei Jahren teils mit Wasserwerfern auflösen ließ …

Darüber habe ich auch gestaunt. Wenn man früher mit Juristen gesprochen hat, haben die fast immer davon abgeraten, irgendeine Demonstration zu verbieten. Der letzte Innensenator, der wirklich mal versucht hat, eine Walpurgisnacht-Demo aufzulösen, war, glaube ich, Eckart Werthebach Ende der 90er-Jahre – und der ist damit vor Gericht kläglich gescheitert. Obwohl diese tatsächlich massiv gewalttätig war. Aber bei Corona ging das alles auf einmal, da lässt man eine Kundgebung mit Wasserwerfern auflösen, weil manche keine Maske getragen haben. Zumal dann andere Demonstrationen, ebenfalls zur Corona-Zeit, mit linkem Bezug wiederum erlaubt und davon unbehelligt blieben.

Ich fand die Handlungen seinerzeit schon sehr fragwürdig. Denn wenn auch nur der Eindruck einer Ungleichbehandlung entsteht, ist das schon verheerend für unseren Rechtsstaat. Hier schicken die politisch Verantwortlichen auch unsere Beamten in extrem heikle Einsätze und beschädigen das Verhältnis zwischen Bürger und Polizei. Die Polizisten sind ohnehin meist das erste Opfer einer falschen Politik.

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