Tichys Einblick
Türkische Staatsgewalt gegen deutsches Wappen

Wenn ein Stadtwappen zur Gefahr für die türkische Einheit wird

Deutsche Fußballfans aus Mönchengladbach durften in Istanbul ihre Fahne nicht ins Stadion mitnehmen, weil sie das Stadtwappen zeigte: mit einem Kreuz. Die Botschaft ist politisch und betrifft auch die Integration in Deutschland.

Fans von Borussia Mönchengladbach, hier bei einem Spiel gegen Fortuna Düsseldorf

© Christian Verheyen/Borussia Moenchengladbach via Getty Images

Donnerstag Abend. Tag der Deutschen Einheit, 3.10.2019. Borussia Mönchengladbach muss in der Europa-League in Istanbul antreten. 

Die meisten Fans bringen die Symbole und Farben ihres Fußballvereins mit in die Türkei. Doch einige Fans aus Deutschland haben auch das Stadtwappen von Mönchengladbach dabei. Irgendwie hat „Borussia Mönchengladbach“ ja auch ewas mit der Stadt Mönchengladbach zu tun. Doch „skandalöserweise“ enthält dieses „ketzerische“ Stadtwappen tatsächlich ein Kreuz. Das ist für den türkischen Staat zuviel. Er mag religiösen Symbole in der Öffentlichkeit nur, wenn sie muslimisch sind. Obwohl die Fans von Borussia das Stadtwappen höchstwahrscheinlich in keinster Weise aus bekenntnistreuen-missionarischen Gründen hissen wollten. 

Doch die Polizei geht mit aller Staatsgewalt konsequent gegen dieses skandalöse Stadtwappen vor. Die Fans durften es nicht mitnehmen ins Stadion. 

Dieser Zwischenfall deutet leider darauf hin, wie es um die Religionsfreiheit und Kulturfreiheit in der Türkei bestellt ist: Das 90-minütige Aufhängen des Stadtwappens von Mönchengladbach überschreitet in einem Fußballstadion im vermeintlich toleranten Istanbul die Toleranzschwelle! 

Wir können nur ahnen, wie es den türkischen religiösen Minderheiten ergeht, die länger als 90 Minuten in der Türkei leben. Kein Wunder, dass ihre Zahl in den letzten 100 Jahren rapide abgenommen hat. In Istanbul zählten sich 1920 noch 40 Prozent der Bevölkerung zu den Christen und gut über 20 Prozent zu den Juden. Heute liegt der Anteil beider Religionen in Istanbul unter 1 Prozent. Ihre Anhänger mussten mehr ertragen als die Fans von Borussia Mönchengladbach. 

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Als ich 2018 in der Türkei verschiedene christliche Kirchen besucht hatte, wurde ich streng darauf hingewiesen, dass ich in der Öffentlichkeit als Pfarrer kein „Collarhemd“ tragen dürfe. „Collarhemden“, das sind diese schmucklosen Hemden mit einem kleinen weißen Streifen am Hals, die den Träger als christlichen Geistlichen kennzeichnen. Wer so ein Hemd in der Öffentlichkeit trägt, der könnte schnell Bekanntschaft mit der türkischen Polizei machen. 

Ist es zuviel von den Muslimen in Deutschland erwartet, wenn ich mir da gerade von Ihnen mehr Engagement für die Religionsfreiheit in muslimischen Ländern wünschen würde? 

Wenn Muslime es in Deutschland als selbstverständliches Recht genießen dürfen, ihre Religion frei zu leben und auch äußerlich zeigen zu dürfen, dann wundert es mich, dass diese Muslime aus Deutschland sich nicht für die christlichen Minderheiten im islamischen Kulturkreis einsetzen. Eine deutsche Türkin, die hier in Deutschland ihren Hijab ohne Angst vor der Polizei tragen darf, sollte die nicht politisches Engagement dafür zeigen, dass Christen in der Türkei ein Collarhemd tragen dürfen? Oder ist Religionsfreiheit im Islam nur eine Einbahnstraße? 

Vielleicht aber ist der Einsatz für die Religionsfreiheit wirklich zuviel von einigen Muslimen erwartet. Etwa wenn es im Koran Stellen gibt, die dahingegend interpretiert werden können, dass der muslimische Prophet Jesus gar nicht am Kreuz gestorben sei. Die ganze Geschichte mit dem Kreuz sei also lediglich eine christliche Fälschung, die erst wieder durch den göttlichen Koran korrigiert wurde. Sure 4,158: „Sie haben ihn nicht getötet, mit Gewissheit nicht. Vielmehr hat Gott ihn hin zu sich erhoben.“ 

Für solche Muslime wirken selbst kleine Dinge wie ein Stadtwappen im Fußballstadion als Angriff auf die Wahrheit. Und dann muss nach dieser Logik die Wahrheit des Islam verteidigt werden – gegen alle zerstörerische Religionsfreiheit. 

Vielleicht aber sind die Vorfälle mit dem Mönchengladbacher Stadtwappen im Lieblingsfußballstadion von Erdogan nicht nur religiös, sondern vor allem politisch zu verstehen: Gegen alle ethnischen und politischen Differenzen in der Türkei soll die nationale Einheit des Landes in dem EINEN muslimischen Glauben gerettet werden. Abweichler und abweichende Symbole stören da nur. 

In diesen Sinne betont Erdogan in seinen Reden immer wieder: „Wir sind Türken. Denn wir sind die Türkei. Denn wir sind das türkische Volk. Denn wir sind Muslime.“ Religion als Kitt des Nationalismus. Religionsfreiheit zerstört diesen Kitt nur. 

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Wenn am Tag der deutschen Einheit 2019 in der Bundesrepublik viel über Integration politisiert wird, dann stelle ich mir die Frage: Wie sollen sich Menschen bei uns integrieren, die unsere Stadtwappen und unsere Kultur als Gefahr ansehen? Als eine Gefahr, vor der man sich selber und andere schützen muss. Wie sollen sich Menschen bei uns integrieren, die sogar aus Gewissensgründen große Vorbehalte gegenüber unserer Kultur haben? Oder sind wir Deutschen so naiv zu meinen, die Mentalität der Staatsgewalt im Fußballstadion von Istanbul hätte gar nichts mit den Türken in unserem Lande zu tun? Manchmal wird mir der Begriff Integration zu locker und leicht in den Mund genommen. So sagt der Papst: „Die Antwort auf die Herausforderung der gegenwärtigen Migration lässt sich in vier Verben zusammenfassen: Aufnehmen, schützen, fördern und integrieren.“ Scheint ja irgendwie alles kein Problem zu sein mit der Integration, wenn man nur will.

Vielleicht würde ein Abend im Fußballstadion von Istanbul dem Papst die Augen öffnen. Zum Glück nicht immer, aber doch in einigen Fällen ist Integration eben nicht ein klerikaler Kuscheltraum am humanistischen Kaminfeuer. 

Immer wieder verhalten sich Kulturen zueinander wie Fuchs und Gans. Und haben sogar ihre inneren Gründe dafür, selbst wenn diese Gründe Außenstehenden nicht einleuchten. Manchmal ist die eine Kultur Fuchs und die andere Gans. Manchmal ist es genau umgekehrt. Aber wie herum es auch sein mag, kann man nicht einfach zu Fuchs und Gans sagen: „Jetzt geht mal gemeinsam in einen Stall, integriert euch und seid ganz lieb miteinander.“ 

Von Pfarrer Achijah Zorn

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