Tichys Einblick
Antje Hermenau über sächsische Zustände

Von Kenia nach Afghanistan – ein politischer Roadmovie in Sachsen

Zwei offiziell Gedemütigte und ein angehender Pyrrhussieger schicken sich an, eine fröhliche, arbeitsame und sachorientierte Politik zu vereinbaren. Für die meisten Bürger in Sachsen beginnt ein politischer Albtraum.

Sächsischer Landtag, Dresden

imago images / ddbd

Am 1.September hat Sachsen einen neuen Landtag gewählt. Monate vorher waren die schlimmsten Befürchtungen geäußert worden, wie katastrophal sie ausgehen könnten. In den Medien wurde darunter unisono verstanden, dass die AfD „zu stark“ werden könnte. Dass andere „zu schwach“ sein könnten, wurde nicht detaillierter diskutiert. Am Wahlabend ergab sich dann folgendes Bild: Der amtierende Ministerpräsident hat mit viel persönlichem Einsatz – er hat in einem Jahr mehr Bürgerhände geschüttelt als der Ministerpräsident Tillich in seiner gesamten Amtszeit zuvor – die sachseninterne Sensation geschafft, die CDU über 30 Prozent zu hieven. Das war für die CDU eine Sensation. 

Verstanden hat die sächsische Union dieses Wahlergebnis aber nicht. Sie ist schon wieder machttrunken und arrogant im Auftritt. Für die Sachsen war das keine Sensation, sondern nüchternes Handeln: die Union hat noch einmal eine Chance gekriegt. Man hat sich ja aneinander gewöhnt und will kein Schwein sein. CDU und SPD haben mit 32 Prozent und 7 Prozent weniger verloren, als für beide zu befürchten war. Das ist heutzutage im ZDF schon ein politischer Erfolg. Die Latte liegt erschreckend tief. Da der amtierende Ministerpräsident eine Koalition mit der AfD und der Linken ausgeschlossen hatte, kann er nun nur mit den Fraktionen koalieren, die sonst noch in den Landtag gekommen sind: Grüne und SPD. Ist doch alles chic, wird man sich im Rest der Republik denken. Et hätt noch emmer joht jejange – wie ich in Köln gelernt habe. Das mag aus der Sicht des WDR und des ZDF so sein, aber es hat wenig mit den Realitäten in Sachsen zu tun. 

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Kenia klingt nach Urlaub, Palmen, Strand und buntem Treiben. Kenia ist im Westen Deutschlands der Kern der Demokratie. Man hat sich im Laufe der letzten Jahre in Deutschland daran gewöhnt, dass Schwarz-Rot den Stillstand, mitunter etwas peinlich, verwaltet und die Grünen dieses Konstrukt künstlich verlängern. Ob sie das tun, um an ihrem Fernziel Rot-Rot-Grün weiter zu basteln oder zumindest immer und überall ihr spezielles Wörtchen mitzureden oder die Republik im Bundesrat mit ihren Regierungsbeteiligungen lahm zu legen, indem sie die Länder immer zu Enthaltungen zwingen, wenn sie intern ihr Veto einlegen, mag ich hier gar nicht vertiefend ausführen.

In Reinkultur droht diese politische und mentale Wagenburg jetzt in Sachsen. Die Grünen haben 2014 konsequent und entschlossen einer real existierenden schwarz-grünen Option eine klare Absage erteilt und sich weit nach links entwickelt. Sie werden als die westlichste Partei in Sachsen empfunden. Zuwanderer stärken ihre Reihen daher sehr gern. Nun müssen sie müssen, und dabei auch noch die verzwergte SPD in Schach halten, obwohl sie zumindest offiziell und im Wahlkampf partout nicht mit den Schwarzen wollten. Da ihre Blütenträume mit dem erreichten Ergebnis, das gut für ihre Verhältnisse war, aber schlecht, wenn man die bundesweiten Umfragewerte für die Grünen zugrunde legt, zerplatzten, schlagen sie jetzt auf dem Boden der Tatsachen auf.

Grüne: eine potentiell konservative Landesregierung lahmlegen

Man wolle eine sachorientierte Politik machen, ist zu hören. Man wolle die AfD nicht angreifen, tönte es vor wenigen Tagen zu unser aller Erstaunen aus grünen Mündern. Deshalb sind die Leute aber bei den Grünen eingetreten: um die AfD zu bekämpfen. Da schaffen individuelle ökonomische Gesetze, neue politische Einsichten. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben – war ein kluger Mann, dieser Gorbatschow. Nur deshalb Neuwahlen zu haben, weil man es nicht schafft, gemeinsam laut Verfassung innerhalb von vier Monaten eine Regierung zu bilden, ist doch auch blöd. Damit sie nicht gleich seelisch zerschellen, wurden ihnen langwierige Verhandlungszeiträume zugestanden, um jeden einzelnen ihrer Partei persönlich davon überzeugen zu können, das Gegenteil von dem zu machen, was sie politisch wollten und wofür auch in den letzten Monaten viele eingetreten sind. Was die sächsische Funktionärsebene der Grünen in Sachsen für Sachsen will, ist unklar. Im Wahlkampf klang es immer wie: den kulturellen Anschluss an den Westen. Posten und Gelder wecken Begehrlichkeiten. Motiviert sind sie also. Was die Grünen in Berlin wollen, ist klar: eine weitere potentiell konservative Regierung im Bundesrat lahmlegen. 

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Die SPD wurde vom Wähler verzwergt und konnte die Fünf-Prozent-Hürde das erste Mal aus nächster Nähe in Augenschein nehmen. Umso mehr trumpft sie auf. Angesichts von sieben Prozent lachen darüber sogar die Gartenzwerge in den sächsischen Vorgärten in ihre roten Zipfelmützen. Aber einige Genossen werden bei hoher Einkommensstruktur weiter überleben und das ist ja auch schon irgendwie sozial gedacht. 

Dieses Spiel auf Zeit schafft auch die Gelegenheit, die Thüringen-Wahl abzuwarten und zu sehen, ob die SPD vor Weihnachten in Berlin den Stecker zieht. Eine neue Regierung kann in Sachsen auch im Januar noch gebildet werden. Die Verfassung hat weise Regelungen. 

Also, zwei offiziell Gedemütigte und ein angehender Pyrrhussieger schicken sich an, eine fröhliche, arbeitsame und sachorientierte Politik zu vereinbaren. Wenn sie es nicht machen, wählen die Sachsen einfach noch mehr AfD: bis es klappt mit den politischen Zierkappen in der Mitte. Sie werden in die Verantwortung gezwungen, da sie sich auf diesem sehr kleinen politischen Spielfeld haben zusammenpferchen lassen. Das ist die schon nicht einmal leichte Ausgangssituation. Und geben die Grünen und die Roten den Realitäten nach in den Verhandlungen und es kommt dann doch nicht zu dieser Koalition, sind sie in der Opposition unglaubwürdig. Ein Prokrustesbett ist harmlos dagegen.

Nun steht dem aber auch noch der Fakt gegenüber, dass Rot-Rot-Grün in Sachsen von den Wahlberechtigten auf insgesamt 27 Prozent faktisch zusammengeschossen wurde. Die Linke erfährt mit 10 Prozent, was es bedeutet, wenn man nicht auf Sahra Wagenknecht hört, sondern auf Katja Kipping. Die früheren Wähler der Linken im ländlichen Raum wählen die AfD. Das Gemetzel mit den Grünen und der SPD um die Stimmen in den beiden Großstädten Leipzig und Dresden wird nun umso dramatischer werden. Aber insgesamt wird es nicht mehr werden. Die Grünen argumentieren, viele potentielle Grünenwähler hätten CDU gewählt und deshalb hätten sie so schlecht abgeschnitten. Mag sein. Aber Grünenwähler sind oft sehr gebildet. Sie wählen taktisch. Da schon zwei Wochen vor der Wahl fest stand, dass Kenia die nächste Koalition sein soll, hätten sie das grüne Moment in dieser Koalition stärken können. Davon waren sie wohl nicht überzeugt. Der gut situierte westdeutsche Biedermeier oder das wohlfeile Lebensmodell, das die sesshaften und deren Bedürfnisse degradiert, wird im Osten eher nicht verlängert – das war auch in Brandenburg so und das wird auch in Thüringen so sein. 

Für die meisten Bürger beginnt ein politischer Albtraum

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 Für die Menschen in den Dörfern und Städten Sachsens beginnt jetzt ein politischer Albtraum: sie wollten mit großer Mehrheit konservativ und auf ihre Lebensrealität bezogen regiert werden und kriegen jetzt die Vertreter der urbanen Alarm- und Minderheitengesellschaft als Chefs. Herr Kretschmer hatte versprochen, viel für den Mittelstand zu tun, viel für den ländlichen Raum zu tun und er hatte zwei-, dreimal verstohlen angedeutet, sich auch von Merkel und AKK absetzen zu wollen, indem er zum Beispiel Putin besuchte.

Er hat versprochen, dass die CDU nach langer Zeit das Wirtschaftsministerium wieder übernimmt. Sachsen wird mit dem Wohl oder Wehe seines Mittelstandes stehen oder fallen. Ihn in den nächsten Jahren zu stabilisieren, hat absolute Priorität. Nun kriegt die CDU Koalitionspartner, die sich darauf nicht verstehen und das Steuergeld für ganz andere Dinge ausgeben wollen. Sie haben sich auf entsprechende Wählerklientele in den beiden Großstädten spezialisiert. Die Fördermittelkulisse geht in drei Monaten in Größenordnungen zu Ende, was 30 Jahre nach dem Mauerfall auch nicht zu früh ist. Die Bevölkerung in den Landkreisen, die sich viel mehr drehen muss als früher, um die Produktivität zu halten, obwohl weniger Menschen da sind, ist mit einer Landesverwaltung konfrontiert, in der viele ganz oben noch ein paar Jahre ihrer Rente entgegen dämmern wollen. Die Härte des Lebens, die Geschäftigkeit des Alltags, die Klarheit über die wesentlichen Fragen im Leben liegen um Welten auseinander.

Mehr Beamte in die Produktion könnte manches Fachkräfteproblem zumindest in der Buchhaltung lösen und wäre effektiver. Nun werden diese Klüfte zwischen Stadt und Land, West und Ost, Weltenbummler und Sesshaften weiter vertieft. Die Kluft zwischen Jung und Alt übrigens nicht. Viele Junge haben konservativ gewählt. Viele Sachsen weigern sich einfach, alles Erreichte traumtänzerisch dranzugeben. Sie kriegen jetzt eine Regierung, die das Gegenteil von dem sein wird, was sie wollten.

Es gibt freie Wahlen und es wird frei gewählt: in wenigen Monaten in Leipzig ein Bürgermeister, vielleicht auch schon ein neuer Bundestag. Die nächsten Landtagswahlen in Sachsen könnten auch schon in ein bis zwei Jahren kommen, denn die Klage der AfD auf Ungleichbehandlung durch den Landeswahlausschuss ist in der Sache nicht von der Hand zu weisen. Beim nächsten Mal hat die AfD dann eben 40 Prozent. Das ist wie früher in der DDR beim Kampf um die Zuteilung einer eigenen Wohnung im zarten Alter von 27 Jahren: jeden Dienstag dem Amt konsequent auf die Nerven geben, bis die erschöpft aufgeben und so zuteilen, wie man das will. Bleibe im Lande und wehre Dich täglich – eine leichte Übung der Sesshaften.

Die kleinräumige politische Wagenburg macht’s möglich: das, was im Westen für den demokratischen Kern gehalten und mit „Kenia“ euphemisiert wird, ist in Sachsen eher ein Ritt durch das wilde Afghanistan mit einigen kampfeslüsternen Zwergstämmen, die um den Palast in der Hauptstadt kämpfen und die alle denken, sie wären der Chef. Da wäre eine Loya Jirga besser. Ein Runder Tisch regierte Sachsen. Alle Parteien stellen einen oder zwei Minister. Die Kabinettssitzungen sind öffentlich. Da wird sich Spreu schnell vom Weizen trennen und alle haben Klarheit darüber, wer es ernst mit den Leuten meint und wer nicht. Die Landbevölkerung lebt bis dahin weiter nach dem Paschtunwali, bildet mit den AfD-Vertretern Fraktionsgemeinschaften, wählt ordentlich alle in ihre Ausschüsse und obert nicht wichtigtuerisch herum.

Es gibt viel zu tun. Gelaber hat keine Wertschätzung. Die Menschen lassen sich nicht stören, sondern machen ihr Ding, bis die Wirrköpfe die Zeichen der Zeit miteinander erkennen. Man kann sie auch gerne noch einmal eine wehmütige Runde durch die Wagenburg ziehen lassen, so anstandshalber, damit das ZDF nicht in Schnappatmung ausbricht, aber helfen wird das alles nichts. Was haben die Sachsen zu befürchten – wie die Chinesen 1989 auf dem Tienamenplatz erschossen zu werden? Es lebe die Demokratie! Es lebe die Republik!


Antje Hermenau ist Unternehmerin und Beauftragte des BVMW für den Landeswirtschaftssenat Sachsen. 


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