Tichys Einblick
Aus dem Leben

MobiPro ist an der Realität gescheitert

2013 wollte Angela Merkel drei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Europäischen Arbeitslosen helfen, den Fachkräftemangel in Deutschland beheben und ihrem Image als „eiserne Lady“ etwas Positives entgegensetzen. MobiPro kam auf die Welt.

© Oli Scarff/Getty Images

Fernando González ist 28 Jahre alt. Bisher hat er noch nicht viel auf die Beine gestellt. Im Ausland war er noch gar nicht. Deutsch lernen ist für den Andalusier eine Qual. Der Spanier lebte zuhause noch bei seinen Eltern. Deutschland kannte er ein wenig aus den Nachrichten. González erfuhr dort von MobiPro, bewarb sich und wurde genommen. Die Eltern weinten bei seinem Abschied, aber sahen auch keine andere Lösung für den Langzeit-Arbeitslosen. Es musste Geld reinkommen in die Familienkasse, und wer schaut einem geschenkten Gaul schon ins Maul. González hatte dementsprechend keine Ahnung, was auf ihn zukommt.

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Im vergangenen Sommer sollte er in Norddeutschland eine Lehre als Rohrleitungsbauer machen und gleichzeitig in eins der von MobiPro geförderten Ausbildungszentren gehen. „Es ist für mich eine enorme Chance,“ sagte er vor der Abreise nach Hamburg vor einem Jahr. Aber schon zwei Monate später war er wieder am Flughafen in Madrid: „Ich habe es nicht ausgehalten, es war einfach alles total anders als in Spanien. Das fing schon mit den Mahlzeiten an und hörte bei den ab 18 Uhr leergefegten Strassen auf.“
MobiPro ist eine gute Idee, aber schlecht umgesetzt

Rund 8.500 junge arbeitslose Südeuropäer wurden seit 2013 wie Fernando González mit MobiPro (Förderung der beruflichen Mobilität von ausbildungsinteressierten Jugendlichen und arbeitslosen jungen Fachkräften aus Europa) nach Deutschland in Ausbildungszentren als Lehrlinge bzw. in Betriebe als Fachkräfte verschickt: der überwiegende Anteil der Ausbildungen (Zwei-Drittel der Geförderten) im Hotel- und Gaststättengewerbe.

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Im Fachkräftesegment förderte Mobipro überwiegend Kranken- und Altenpfleger-Stellen. Vom hohen Norden bis in den tiefen Süden Deutschlands werden die jungen Leute untergebracht. Als Ergebnis einer Haushaltsanalyse hat das Bundeskabinett am 23. März 2016 beschlossen, keinen weiteren Jahrgang im Rahmen des Pilotprogramms zu fördern. Gesamtkosten für den Bundeshaushalt bis jetzt: rund eine halbe Mrd. Euro. Die zweijährige Ausbildung kostet den deutschen Steuerzahler pro Person rund 31.000 Euro. Mit 130 Mio. Euro startete die Kampagne vor vier Jahren. 2014 war man wegen der vielen Anfragen schon bei Ausgaben von 360 Mio. Euro.

Das grösste Problem und auch Hauptgrund für die hohe Abbruchrate: die Sprache. Die Kandidaten müssen schon vor Abreise nach Deutschland in Crash-Kursen auf B1-Niveau gebracht werden: „Das ist aber einfach unmöglich, wenn man noch nicht einmal ordentlich Englisch beherrscht,“ heisst es in einer an dem Programm beteiligten Sprachschule. Und selbst, wenn sie B1 Niveau erreichen würden, es reicht nicht, um eine komplizierte Lehre wie Brunnenbauer wirklich absolvieren zu können: „Es fehlt einfach das Fachvokabular,“ sagt einer der spanischen Lehrlinge, „rund 400 Deutschstunden vor der Abreise reichen einfach nicht aus, um auch noch fachbezogene Wörter zu lernen.“

Falsche Auswahl der spanischen Teilnehmer

Spanien mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 60 Prozent 2013 hatte mit Abstand die meisten Kandidaten am Start. Nur etwas mehr als die Hälfte aller Zugelassenen hält das Programm nach einem Prüfungsbericht der Bundesregierung bis zum Ende durch. Deutsches Wunschdenken knallt mit der Realität zusammen. Bei Lehrberufen wie Hotelfachfrau, Einzelhandelskaufmann oder Kellner sieht es noch besser aus bei der Erfolgsquote, bei Gleis- und Rohrleitungsbauern dagegen, sind die Absprungraten noch höher.

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Die Genehmigung, bei Mobipro teilzunehmen, wurde über 10.000 europäischen Jugendlichen erteilt. Einzige Bedingung: Zwischen 18 und 35 Jahre müssen sie alt sein. Alejandro Stranz von Humanus Consulting in Barcelona glaubt, dass die Absprungrate niedriger gewesen wäre, hätten die Projekträger bei der Vor-Rekrutierung nicht schon so viele Fehler gemacht: „Die Auswahl der Kandidaten hätte viel gezielter erfolgen müssen. Es wurde fast jeder, egal mit welchem Hintergrund, zugelassen. Das ist realitätsfremd. Jemand, der aus der hintersten Ecke von Andalusien oder Galizien kommt, wird es kaum in einem anderen Land lange aushalten, wenn man die engen Familiebande in Spanien betrachtet.“

Aber auch der Anspruch an Lehrlinge im dualen deutschen System haut viele Spanier nach jahrelangem Rumjobben oder Arbeitslosigkeit regelrecht um. Vor allem die Südländer bekommen nicht nur Heimweh, sondern sind sprachlich und fachlich schlicht überfordert, weil es ein duales Ausbildungsystem in ihrem Land nicht gibt. Die geförderten deutschen Betriebe setzen zudem die für sie zusätzlich vom Bund bereitgestellten Gelder nicht immer optimal bei der Begleitung der ausländischen Fachkräfte oder Lehrlinge um. Es gibt aber auch zu wenig Strafen und Druck auf den Auszubildenden. Wer nicht beim Sprachkurs erscheint, wird nicht gleich rausgeschmissen etc..

Mobipro hat Merkels Image verbessert und Deutsch populär gemacht

Das Pilotprojekt Mobipro hat nicht die Jugendarbeitslosigkeit in Europa verbessert, aber sie hat einen Zweck komplett erfüllt: Es sollte Merkel helfen, die wegen der strikten Sparauflagen verärgerten südeuropäischen Regierungen wieder auf ihre Seite zu ziehen und das Image Deutschlands innerhalb der EU aufzubessern. Dieses Ziel wurde absolut erreicht. Deutsch wurde zur Modesprache und Deutschland war auf einmal das Paradies für alle Arbeitslose. Das sprach sich sogar bis nach Nordafrika herum.

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Es bleibt jedoch abzuwarten, wieviele nach der Lehre in Deutschland bleiben und ihre Stelle wirklich antreten. Diese Auswertung kann erst nach 2019 gemacht werden, wenn das Pilotprojekt ausläuft, das in wesentlichen Teilen als gescheitert gilt. Grund: zuviele Versprechungen, zuviele Geschenke und zu wenig Eigeninitiative von den Geförderten. „The Job of my Life“, wie das Sonderprogramm des Bundes wird für fast die Hälfe der Geförderten zu einem „I want to go back“, weil ihre Erwartungen nicht erfüllt werden.

„Die Spanier bekommen alles umsonst, den Sprachkurs, die Flüge, ein Teil der Wohnung wird bezahlt, sie bekommen sogar ein Lehrgehalt, das mit durchschnittlich 818 Euro über dem deutschen Tarif liegt. Das alles ist super, aber was sie nicht wirklich wissen ist, dass sie zwei oder drei Jahre lang meist in der Einöde leben werden, in einer kleinen Stadt irgendwo in Deutschland, nicht in Berlin oder Hamburg. Sie scheitern an der deutschen Realität und auch an der Sprache, für die sie intellektuell und interkulturell in einer so kurzen Zeit gar nicht vorbereitet werden können,“ sagt eine der Deutschlehrerinnnen, die noch in dem Programm arbeitet und deswegen nicht genannt werden will.

Vicente Milán, Geschäftsführer der TTA Personal GmbH vermittelt deswegen seit Jahren spanische Fachkräfte ohne staatliche Hilfen nach Deutschland und investiert viel in die Vorauswahl auf beiden Seiten: „Die Betriebe und Fachkräfte müssen den Schritt selber finanzieren, sonst ist der Wille, durchzuhalten nicht gegeben und die Leute springen bei jedem kleinsten Problem ab. Es muss ein klarer Kompromiss von beiden Seiten vorhanden sein.“

Die Jugendarbeitslosigkeit wurde durch MobiPro nicht verringert

Heute liegt die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien zwar nur noch bei 40 Prozent, 20 Prozentpunkte niedriger als 2013. Aber der Rückgang hat wenig mit MobiPro, sondern mit einer verbesserten wirtschaftlichen Situation in Spanien seit 2015. Aber einen guten Nebeneffekt hat Mobipro auf die spanische Wirtschaft gehabt, der nicht zu unterschätzen ist: „Jeder weiss hier inzwischen, was eine duale deutsche Ausbildung ist und viele spanische Betriebe denken jetzt auch über solche Programme nach,“ sagt Georg Abegg, Partner der Kanzlei Rödl & Partner in Madrid.

Marketingtechnisch hat Mobipro deswegen auf jeden Fall funktioniert, auch im Fall von González, der zwar wieder in Cádiz bei seinen Eltern wohnt, aber immer noch glaubt: „Die Deutschen sind sehr großzügig.“

Nachwort der Redaktion: Was bedeuten diese Erfahrungen für die Immigranten aus viel ferneren Kulturen in mehrfacher Bedeutung von fern?