Tichys Einblick
Unprofessionelles Verhalten

Lauterbach bestätigt sich selbst – und kann unmöglich im Amt bleiben

Karl Lauterbach will keine Aufarbeitung der Corona-Politik. Zu sehr hat er sich in seinen Aussagen selbst verstrickt. In immer kürzeren Abständen demontiert sich das Bild des Professors, zuletzt in einer Antwort des Gesundheitsministeriums auf eine Nachfrage von Wolfgang Kubicki. Von Friedrich Pürner

IMAGO / Political-Moments

Die Gerberei ist ein sehr altes Handwerk. Manche Gerber verarbeiteten Tierhäute zu Leder, das zu Schuhen und Sätteln verarbeitet wurde. Für die Herstellung brauchten die Gerber viel Wasser. Damit die Felle weich und geschmeidig wurden, mussten sie viele Stunden lang gewässert und eingeweicht werden. Da konnte es schon mal passieren, dass das eine oder andere Fell plötzlich in den Fluss trieb und davon schwamm. Die ganze Arbeit war dann umsonst.

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Es muss tragisch für Karl Lauterbach sein. Nach und nach schwimmen ihm die Felle davon. Seine ganze Arbeit zur Befeuerung der Angst und Panik quasi umsonst. Seine Fernsehauftritte waren Balsam für seine Seele und die Seelen derer, die er ständig verängstigt hatte. Lauterbach genoss das Rampenlicht – und der öffentlich-rechtlich erzogene Bürger genoss die Anwesenheit von Lauterbach in seinem Wohnzimmer.

Doch in den letzten Wochen kühlte die Beziehung zwischen Lauterbach und seinen Fans spürbar ab. Diese wohlige Stimmung vergangener Pandemiezeiten wollte sich einfach nicht mehr einstellen. Zu oft musste der Bürger nun feststellen, dass Lauterbach auch fachlich doch nicht so richtig auf der Höhe war – und das von Anfang an. Früher konnte der beliebte Talkshow-Gast wenigstens noch Studien aufsagen. Wenn man mal vom Inhalt – ob nun falsch oder richtig – völlig absieht, so schwang doch ein wenig Autorität mit. Immerhin war der „Professor“, wie sich Lauterbach gerne ansprechen ließ, mal in Harvard. Das machte bei den älteren Zuschauern schon Eindruck. Verständlich.

Ein Kritiker der ersten Stunde

Durch jedes entlarvte Pandemie-Narrativ verlor der Bundesgesundheitsminister ein Stück Autorität. Zugegebenermaßen dachten die Kenner der Szene bereits des Öfteren, dass DIES nun wirklich sein letzter Unsinn gewesen sein muss, den er als Gesundheitsminister von sich geben durfte. Aber falsch gedacht. Wacker hält er sich noch im Sattel. Zwar ziemlich ramponiert, aber er sitzt noch – leider auf einem toten Pferd namens Pandemie.

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Hätte er doch nur auf Experten anstatt nur auf sich selbst und Drosten gehört. Wie ein Indianerhäuptling könnte er auf einem rassigen Pferd ganz und gar ohne Sattel sitzen und stolz durch die Medienprärie reiten.

Da gibt es beispielsweise einen Lungenfacharzt aus Moers. Er heißt Thomas Voshaar, ist Chefarzt der Lungenklinik am Bethanien-Krankenhaus und wurde bereits zu Anfang der Pandemie 2020 durch seine fachliche Kritik bekannt. So sagt der mutige Chefarzt aktuell, dass eine Corona-Infektion praktisch nicht zu verhindern sei. Weiterhin weiß der Mediziner zu berichten, dass auch Haustiere Virenträger sein können. Weshalb jedwede Null-Covid-Politik von vornherein zum Scheitern verurteilt sei und vorbeugende Testungen oder Quarantäne die Ausbreitung praktisch nicht hemmen würden. Insgesamt seien diese Maßnahmen – auf die Breite gesehen – demnach sinnlos. Die landesweiten Lockdownmaßnahmen und Schul-, Universitäts- oder Kitaschließungen seien nicht notwendig gewesen.

Der Platz hier reicht nicht aus, um sämtliche Kritikpunkte weiter auszuführen. Daher erfolgt an dieser Stelle nur ein kurzer Ritt durch die wesentlichen Punkte, die der Facharzt Voshaar anführt: Der Verzicht auf die Beatmung würde die Überlebensrate erhöhen. Eine durchgemachte Covid-Infektion schütze – bei wiederholter Infektion – besser als die Impfung vor einem weiteren schweren Verlauf. Die Wirksamkeit der Impfung gegen Covid würde sich derzeit nicht seriös bewerten lassen. Masken würden die Infektion nicht verhindern.

Anekdoten werden zu Belegen

Wie bitte? Hier muss also schon mal nachgehakt werden. Masken verhindern nicht die Infektion? Aber sagte Karl Lauterbach nicht vor wenigen Wochen noch bei Markus Lanz im Talk, dass sich durch die Verlängerung der Maskenpflicht „viel weniger Leistungsträger (…) infiziert“ hätten?

Sendung vom 9. Februar 2023
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Ja was nun? Hier der erfahrene Chefarzt einerseits, dort der erfahrene Politiker andererseits. Wem soll man glauben? Zumindest hat Lauterbach bei Lanz keine Studie zitiert. Nein. Er schwurbelte freihändig. Seine Behauptung fußte einzig und allein darauf, dass er einen anekdotischen Fallbericht aus dem eignen Ministerium zum Besten gab. Tatsächlich! Genau das machte Lauterbach. Eine Nachfrage des Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki brachte das ans Licht. Kubicki machte von seinem Fragerecht Gebrauch. Er wollte sinngemäß wissen, auf welche Grundlage Lauterbach seine Behauptungen stützen könne. Die Antwort seines Staatssekretärs erstaunt sehr.

So wurde allen Ernstes verlautbart: „Im Bundesministerium für Gesundheit wurde während der Corona-Pandemie regelmäßig das innerbetriebliche Infektionsgeschehen beobachtet. Die gewonnenen Erkenntnisse belegen die Wirksamkeit der im Ministerium für Gesundheit geltenden Hygieneschutzregeln.“

Es werden also innerbetriebliche Beobachtungen als Beleg für eine Wirksamkeit ausgegeben. Das ist schon der Hammer. Dieser klägliche Erklärungsversuch zeigt, dass man den Aussagen von Karl Lauterbach keinen Glauben mehr schenken darf. Lauterbach steht mit dem Rücken zur Wand und redet sich raus wie ein kleiner Schulbub, der beim Lügen erwischt wurde. Der Schaden für das Amt des Bundesgesundheitsministers kann nicht größer sein. Gewiss werden zu der dürren Aussage des Staatssekretärs noch weitere Ausführungen und Erklärungen folgen. Deshalb kann an dieser Stelle die Aussage erst einmal als das stehen gelassen werden, was sie ist: eine Frechheit.

Lauterbach mangelt es an Grundkenntnissen – oder er versucht zu täuschen

Doch damit nicht genug. In der erwähnten Lanz-Sendung vom 9. Februar gab Lauterbach noch mehr Haltlosigkeiten zum Besten. Seinen Ausführungen zufolge hätten Lockdown und Kontaktbeschränkungen verhindert, dass ungefähr eine Million Menschen in Deutschland an Corona verstorben wären. Dass es sich bei dieser Zahlenangabe um eine bloße Schätzung handelt, wird wieder erst aufgrund einer Nachfrage durch Kubicki klar.

Corona-Aufarbeitung ist notwendig
Zu den Opfern der Corona-Politik gehörten vor allem Kinder und Jugendliche
Die gesamte Aussage des Bundesgesundheitsministers steht auf sehr wackligem Fundament. Ein renommierter Statistiker aus München findet die Aussage von Lauterbach sogar „hanebüchen“ und rät seinem Professorenkollegen, dass man sich wissenschaftlich so nicht äußern solle. Dafür hat der Statistiker gute Gründe. Die Sterberate pro Infektion hängt wesentlich vom Alter ab. Dies ist bereits seit 2020 bekannt. So würde die Sterberate pro Infektion bei den Ü-60-Jährigen bei etwas über einem Prozent liegen. Dies entspräche in etwa 760.000 bis 860.000 Todesfällen, wenn die Bevölkerung rein aus Ü-60-Jährigen bestünde.

Aber: Bei 30-Jährigen beträgt der Anteil der Todesfälle pro Infektion nur noch 0,05 Prozent. Bei Kindern sogar nur 0,002 Prozent. Jeder mag sich nun selbst ein Bild davon machen. Logischerweise besteht unsere Bevölkerung eben nicht nur aus Ü-60 Jährigen.

Weiterhin bemängelt der Statistik-Professor, dass sich die Sterberate nur auf die nachgewiesenen Infektionen beziehe. Dabei sei seit Beginn der Pandemie völlig klar, dass es auch symptomlose Verläufe gäbe. Damit sei auch klar, dass die Sterberate pro Infektion stets zu hoch angesetzt sei, wenn man sie auf alle Infizierten berechne.

Die Bundespolitik besteht nicht nur aus dem Gesundheitsminister

Indes rät Wolfgang Kubicki dem Gesundheitsminister, dass dieser sich vernünftigerweise mit seinen Einschätzungen zur Corona-Politik zurückhalten solle. Lauterbach habe mit seinen Warnungen zu oft falsch gelegen und zu viele Ängste geschürt. Kubicki ist auch der Überzeugung, dass Lauterbachs Versuch, die damalige Corona-Politik als besonnen und fundiert darzustellen, im Falle einer Aufarbeitung keinen Bestand haben werde.

Dabei vergisst Kubicki allerdings, dass seine Partei wesentlich die Corona-Politik seit Dezember 2021 in Deutschland mitgestaltet hat. Es läuft vieles falsch unter Lauterbach. Lauterbach macht viele Fehler. Und es ist gut möglich, dass sein Auftritt bei Lanz am 9. Februar einer seiner letzten als Bundesgesundheitsminister war. Doch ehrlicherweise muss man hinzufügen, dass es nicht Lauterbach allein war, der ein ganzes Land in Angst und Schrecken versetzte und mit falschen Zahlen hausieren ging. Beispiele dafür gibt es genug. Man braucht nur einen Blick nach Bayern zu werfen.

Was bleibt, ist ein fahler Geschmack. Die Felle schwimmen ihm weg. Karl Lauterbach ist nicht willens, eine ordentliche Aufarbeitung zu betreiben. Zu sehr hat er sich in seinen Aussagen und Erklärungen verstrickt. In immer kürzeren Abständen demontiert sich das Bild des Professors. Dabei gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder er kann es nicht besser oder aber er verdreht bewusst Tatsachen und biegt sich Zahlen zurecht. Beides ist derart unprofessionell, dass er unmöglich im Amt bleiben kann.

Dr. med. Friedrich Pürner, MPH
Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen, Epidemiologe