Tichys Einblick
Robert Habeck

Die deutsche Regierung hat bei Atomkraft gelogen

Der deutsche Wirtschafts- und Klimaminister, ein Spitzenpolitiker der Grünen, hat über Kernbrennstäbe gelogen. Ein Beitrag von Michael Shellenberger

IMAGO/photothek

Die deutsche Regierung hält an ihren Plänen fest, die letzten drei Kernkraftwerke im Dezember abzuschalten, obwohl Europa von der schlimmsten Energiekrise seit 50 Jahren heimgesucht wird. Robert Habeck, deutscher Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, sagte, es sei sinnlos, sie zu betreiben, weil es Deutschland an Erdgas und nicht an Strom fehle.

„Die Atomkraft hilft uns da überhaupt nicht weiter“, sagte Habeck am Dienstag. „Wir haben ein Heizungsproblem oder ein Industrieproblem, aber kein Stromproblem – zumindest nicht generell im ganzen Land.“ Außerdem, so Habeck, könne nur Russland Deutschland mit den Uranbrennstäben versorgen, die für den Betrieb der Kernkraftwerke benötigt werden, und es gebe keine Möglichkeit, den sicheren Betrieb der Anlagen zu gewährleisten.

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Doch nichts von dem, was Habeck sagte, war wahr. Kohle, Erdgas und Kernenergie erzeugen alle Strom. Weniger Kernenergie bedeutet mehr Kohle oder Erdgas, weshalb das von Habeck geführte deutsche Kabinett gerade die Verbrennung von mehr Kohle genehmigt hat. Was die Sicherheit anbelangt, so erklärte der führende Anbieter von Nuklearsicherheitstests, dass die deutschen Kernkraftwerke auch nach Dezember noch sicher betrieben werden könnten. „Die Anlagen befinden sich in einem technisch hervorragenden Zustand“, sagte Joachim Bühler, Geschäftsführer des TÜV. Eine umfassende Überprüfung, die normalerweise alle zehn Jahre durchgeführt wird, könne stattdessen innerhalb weniger Monate erfolgen, so Bühler.

Es stimmt, dass ein Weiterbetrieb der drei Reaktoren nicht viel dazu beitragen wird, die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Erdgas zu verringern. Im Jahr 2022 werden die Kernkraftwerke nur 6 Prozent des deutschen Stroms liefern. Und wenn ihr Betrieb im Jahr 2023 durch einen geringeren Brennstoffverbrauch verlängert würde, könnten die deutschen Kernkraftwerke im Winter und Frühjahr nur 1,5 Milliarden Kubikmeter (bcm) Erdgas im EU-Raum einsparen, was einem Defizit von 20 bcm entspräche – vorausgesetzt, Russland hält an seinem Erdgasstopp fest, was die meisten inzwischen für wahrscheinlich halten.

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Aber in einer Krise kommt es auf jedes Bisschen an, und die Menge, die die Kernenergie ausgleichen kann, ist viel wichtiger als viele der anderen Maßnahmen, für die Habeck und andere geworben haben, zum Beispiel seltener zu duschen, nachts die Vorhänge zu schließen und mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zu fahren. Aus diesem Grund wurde Deutschland in einem neuen Bericht der Europäischen Kommission über die Erdgaskrise, der am kommenden Mittwoch veröffentlicht werden sollte, aber die letzten Tage durchgesickert ist, aufgefordert, seinen Atomausstieg zu verschieben, weil die Länder „die Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit anderer Mitgliedstaaten berücksichtigen müssen“.

Dass Habeck, ein Mitglied der Grünen, auf die Grenzen der Kernenergie hinweist, ist schon ziemlich absurd. Schließlich waren es die Grünen, die die Kampagne anführten, um die Nutzung der Kernenergie in Deutschland von 25 Prozent des Stroms vor zehn Jahren auf heute nur noch 6 Prozent zu reduzieren.

Was die Brennstäbe angeht, so könnten Australien, Kanada und die Vereinigten Staaten Brennstäbe für die Versorgung der Kraftwerke herstellen. Soeben hat Die Welt berichtet, dass Vertreter der Kernenergie bei einem vertraulichen Treffen am 4. März, zehn Tage nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine, Habeck und der ebenfalls von den Grünen gestellten Ministerin für Reaktorsicherheit, Steffi Lemke, mitgeteilt haben, dass sie die Beschaffung von Kernbrennstäben tatsächlich beschleunigen könnten.

„Bisher“, schreibt Die Welt, „hat die Bundesregierung immer auf die langen Lieferzeiten für Brennstäbe verwiesen, die allein schon ein unüberwindbares Hindernis für die Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke darstellen. Dass auch eine Beschaffung in 15 Monaten und damit ein realistischer Weiterbetrieb unter Volllast ab Mitte nächsten Jahres denkbar wäre, wird von Regierungsvertretern meist in den Hintergrund gedrängt.“

Tatsächlich hätten die Stäbe sogar schneller als in 15 Monaten beschafft werden können. Im Februar, nur wenige Tage nach Putins Einmarsch, fragte die Bundesregierung beim US-Kernbrennstoffhersteller Westinghouse, einem etablierten Lieferanten deutscher Kernkraftwerke, an, ob er kurzfristig Brennstäbe herstellen könne. Westinghouse-Manager sagten zu – und dass sie sie bis Ende 2022 liefern könnten.

Lemke und Habeck lehnten sowohl das Angebot von Westinghouse als auch das der Kernkraftbetreiber ab. Damit ist nun klar, dass Habeck, Lemke und andere deutsche Beamte wiederholt gelogen haben, nicht nur in Bezug auf die Kernbrennstäbe, sondern auch in Bezug auf die allgemeine Energiekrise.

Damit bringen die Anti-Atomkraft-Grünen Europa in große Gefahr. Eine Mehrheit der Deutschen ist bereits bereit, sich Putin zu beugen. Neue Umfragen zeigen, dass die Unterstützung der Deutschen für einen Boykott des russischen Gases von 44 Prozent von vor sechs Wochen auf nun nur noch 32 Prozent in der letzten Woche gefallen ist. Und nun wird erwartet, dass sich die Energiekosten der Haushalte in Deutschland verdreifachen werden. Regierungsvertreter äußern offen ihre Besorgnis über mögliche soziale Unruhen.

Warum stellen die Grünen ihre Anti-Atomkraft-Agenda über den Schutz der europäischen Zivilisation? Und was kann getan werden, um sie darin zu stoppen?

Dieser Beitrag von Michael Shellenberger ist zuerst bei Substack erschienen.


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