Tichys Einblick
Lahmer UN-Papiertiger?

Der Globale Pakt für Migration – eine weitere Betrachtung

Zum Globalen UN-Migrationspakt sind eine Reihe von kritischen Beiträgen auf TE erschienen. Gastautor Daniel Frank sieht den Pakt eher als unbedenklich. Wir setzen die Serie weiter fort.

© Getty Images

Der „Globale Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration“ schlägt hohe Wellen. Das ist wenig überraschend, denn wenn im derzeitigen Klima etwas stärkere Reaktionen hervorruft als die Begriffe „global“ oder „Migration“, dann gewiss ihre Kombination garniert mit etwas angedeuteter Weltregierung.

Reizthemen haben die inhärente Eigenschaft, dass sachliche Diskussionen über sie praktisch nicht möglich sind. Bemerkenswert ist dabei immer wieder, wie der Blick auf dieselben Texte und Fakten zu völlig unterschiedlichen Interpretationen und Umdeutungen derselben führt. Der Text des Globalen Pakts ist dabei keine Ausnahme. Ein auf TE erschienener Beitrag spricht als Folge des Pakts von einer „Bedingungslosen Kapitulation“. Andere Begutachter würden in dem Pakt kaum mehr als einen weiteren lahmen Papiertiger auf der Bühne der internationalen Politik sehen, wo „virtue signalling“ derzeit hoch im Kurs steht.

UN-Migrationspakt: Bedingungslose Kapitulation
Eine einfache Regel lautet: Je mehr Zuschreibungen wie „ungeheuerlich“, „unglaublich“ und „unfassbar“ ein Thema erfährt, desto empfehlenswerter ist es, eine andere Perspektive zumindest als Ergänzung zu Rate zu ziehen – wenn man denn Wert darauflegt, sich ein ausgewogenes Urteil zu bilden. Diese Perspektive soll im Folgenden versucht werden.

Die Gründe, den Pakt in einem etwas anderen, weniger apokalyptischen Licht zu sehen, betreffen einerseits die konkreten Inhalte des Pakts und andererseits die Wahrscheinlichkeit, dass diese Inhalte in die Tat umgesetzt werden.

Der Pakt trägt die typischen Merkmale eines Dokuments, an dem sehr viele und in ihren jeweiligen Zielsetzungen sehr unterschiedliche Akteure und Interessenvertreter mitgewirkt haben. Im Ergebnis versucht er daher, es allen Beteiligten ein Stück weit rechtzumachen, was zu einer unglücklichen, aber politisch oft unvermeidlichen Vermischung von durchaus sinnvollen Vorschlägen und Konzepten mit allzu weltfremden Vorstellungen führt.

Unter den Zielsetzungen („Objectives“) des Pakts finden sich viele Punkte, deren Umsetzung sowohl für die Migranten, als auch für die Bürger und Regierungen der potentiellen Zielländer von Vorteil wäre.

Dazu gehört unter anderem Ziel 1, die Sammlung von Daten über Migration zum Zweck evidenzbasierter Politik. Ohne derartige Daten wird man hinsichtlich wichtiger Themen weiterhin nur im Trüben fischen – sowohl was die Triebkräfte der Migration, als auch ihre Auswirkungen auf Arbeitsmärkte und die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Steuerung der Migration betrifft. Migration besser zu verstehen ist zu einem Anliegen aller Beteiligten geworden.

Ziel 2 beabsichtigt, die Faktoren zu minimieren, die Menschen überhaupt erst zum Verlassen ihrer Heimatländer bewegen. Man kann und sollte darüber streiten, wie dieses Ziel erreicht werden könnte – aber gibt es irgendeinen nachvollziehbaren Grund, gegen das Ziel an sich zu sein?

Ziel 3 ruft dazu auf, umfangreich über Migrations- und Einreisebedingungen zu informieren – wer hier sein Land als Paradies mit Gratis-Häusern darstellt, sollte sich über die Folgen nicht wundern, aber es wird nicht dazu aufgerufen, dies zu tun. Eine Bereitstellung von realistischen Informationen kann dagegen sogar von der Auswanderung abhalten.

Ziel 4 fordert alle Staaten dazu auf, ihre jeweiligen Staatsangehörigen mit entsprechenden Dokumenten, die ihre Identität belegen, auszustatten – auch wenn damit die absichtliche Vernichtung der Dokumente nicht verhindern werden kann, wäre dies nicht zumindest ein hilfreicher Schritt?

Hybris
Die UN legt die Lunte an sich selbst
Diese Liste an sinnvollen Absichten des Pakts ließe sich noch erheblich verlängern. Mitunter soll der Menschenschmuggel eingedämmt (Ziele 9 und 10) und menschenwürdige Arbeitsbedingungen von Migranten garantiert werden. Auch wenn dabei oft von den Rechten der Migranten die Rede ist, die es staatlicherseits zu garantieren gilt, sollte immer bedacht werden, dass bspw. gleiche Arbeitnehmerrechte von Immigranten und Einheimischen auch für letztere von Nutzen sind, denn sie machen es weniger wahrscheinlich, dass Einwanderer als Dumpinglohnarbeiter ausgebeutet und gegen tariflich beschäftigte Einheimische ausgespielt werden.

Unzweifelhaft sieht der Pakt auch einiges vor, was in einem Land, in dem bereits ein „NetzDG“ existiert, gelinde gesagt zweifelhaft erscheinen muss. Darunter fällt bspw. die beabsichtigte Förderung eines evidenzbasierten öffentlichen Diskurses (Ziel 17). Auch wenn Evidenz im öffentlichen Diskurs nie fehl am Platze ist, so werden gegenwärtig bedenkliche Versuche unternommen, die Auswahl der Evidenz in wenigen, staatlich „lizensierten“ Händen zu monopolisieren. Die Neutralität der selbsternannten „Faktenfinder“ wird zurecht bezweifelt und es ist unklar, ob der Pakt diese Institutionen stärken oder ergänzen würde.

Dies führt zu der Frage, inwiefern der Pakt überhaupt das Risiko – oder die Möglichkeit – birgt, in geltendes Recht umgesetzt zu werden. Der Pakt stellt unter Punkt 7 seiner Präambel selbst heraus, dass er rechtlich nicht bindend ist. Zudem betont der Pakt unter Punkt 15 das souveräne Recht der beteiligten Staaten, ihre jeweilige Migrationspolitik selbst zu bestimmen, solange sie im Einklang mit internationalem Recht steht. Eine „bedingungslose Kapitulation“ liest sich gewiss anders.

Dennoch haben mehrere Regierungen Bedenken gegenüber den möglichen rechtlichen Implikationen des Pakts angemeldet. Wissen die Österreicher, Ungarn, und US-Amerikaner also etwas, das wir nicht wissen? Es gilt zu bedenken, dass einige Regierungen der Gegenwart es als politisch erstrebenswert erachten, sich möglichst human und migrationsfreundlich darzustellen, während andere Regierungen sich gegenüber ihrer Wählerschaft gerne skeptisch und ablehnend gegenüber jeglichen Maßnahmen positionieren, die auf dem Gebiet der Migration die nationale Ebene überschreiten. Von daher mag es wenig überraschen, dass ungarische und österreichische Regierungsvertreter zumindest in der öffentlichen Debatte zu anderen Schlussfolgerungen gelangen als deutsche. Ein Schweizer Politiker der SVP, ebenfalls keine migrationsfreundliche Partei, hat davon gesprochen, dass der Pakt zwar nicht rechtlich, jedoch aber „politisch bindend“ sein könnte. Das besagt jedoch nichts anderes, als dass es in der Hand der jeweiligen nationalen Regierungen liegen würde, inwiefern der Pakt in staatliche Handlungen umgesetzt werden würde. Eine migrationsfreundliche Regierung wird dies tun, eine migrationsskeptische Regierung nicht und mit Regierungswechseln wird sich auch die Relevanz des Paktes ändern. Ein nationaler Kontrollverlust ist deshalb nur schwerlich erkennbar.

Dokumentation
Globaler Pakt für Migration - Der Entwurfstext in voller Länge
Des Weiteren wird im Beitrag von Frau Koenen – und nicht nur dort – behauptet, der Pakt schreibe ein Menschenrecht auf Migration fest. Diese Behauptung ist unrichtig. Der Pakt spricht ausschließlich von den „human rights of migrants“, den Menschenrechten von Migranten, welche in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte niedergelegt sind (welche nebenbei erwähnt ebenfalls keinen rechtlich bindenden Charakter hat). Der Pakt betont, dass diese allgemeingültigen Menschenrechte nicht durch den Status als Migrant verlorengehen und fordert die unterzeichnenden Staaten auf, diese Menschenrechte zu garantieren. Man kann darüber diskutieren, ob diese Forderung besonders realitätsnah ist. Aber sie begründet kein neues Menschenrecht.

Abgesehen von den subjektiven Wertungen im „Kapitulation“-Beitrag der tatsächlichen Inhalte des Pakts ist letzterer eines jedoch ganz gewiss: Ungeschickt. Wie eingangs beschrieben hat das Thema Migration eine so polarisierende Wirkung, dass es auch nur noch zum Zweck der Polarisierung genutzt wird. Die sinnvollen Punkte des Pakts gehen deswegen unter, weil die Bereitschaft, sich sinnvoll mit dem Thema Migration auseinanderzusetzen, nicht mehr gegeben ist. Migration soll entweder unkritisch bejubelt oder unkritisch verdammt werden und der Pakt liefert beiden unseligen Tendenzen Nahrung. Politisches Gespür für die Sprengkraft des Themas lässt er dagegen schmerzlich vermissen.


Daniel Frank ist freier Publizist.