Tichys Einblick
Wahl ohne Kampf

Das Merkelprinzip: Die große weiße Wand

Es läuft bis jetzt wie geplant. Für Angela Merkel. Merkels größter Vorwahlerfolg ist sicher die Eliminierung der Flüchtlingskrisen-Thematik im Bewusstsein vieler Bürger. Ein Wahlkampf eigentlich, wie ein riesengroßes Sommerloch.

© Lukas Schulze/Getty Images

Als Kommunikationsberater befasse ich mich berufsmäßig mit der Formulierung von Botschaften. Ein Wahlkampf ist hier zunächst einmal die Vermittlung der eigenen Positionen. Auf Basis von Programmen und Personen. Man gibt sich kämpferisch. Im Wahlkampf von 2017 ist allerdings von Kampf noch nicht viel zu spüren. Die Kleinen bemühen sich. Die beiden Großen demonstrieren Arbeitsverweigerung.

Nichtkampagnen

„Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ ist eine Nichtkampagne. Denn das würde noch jede Partei für sich in Anspruch nehmen. Das gilt natürlich auch für das Masterthema der SPD, „Gerechtigkeit“. Nur hier ist es noch schlimmer, denn die SPD tritt letztlich optisch mit der Kampagne der letzten Bundestagswahl an. Nur noch mutloser, denn damals hieß es wenigstens auch mal „Currywurst ist SPD“, also die direkte Einbindung der Bürger. Übrigens ein Crowdsourcing, ein Bürgervorschlag.

Bull's Eye
Oppositionspartei CDU
Werbeagenturen sind im Wahlkampf die Dienstleister. Die Agenturen präsentieren ihre Vorschläge den Parteigremien. Und dort ist dann auch der Tod jedweder Kreativität zu Hause. Umso risikoscheuer, desto stärker die Partei unter Druck steht. Aber aus dem Risiko entsteht die Chance. Ohne Risiko geht man sicher unter. Die CDU ist hier klar im Vorteil, sie steht nicht unter Druck, muss also kein Risiko eingehen. Erst kurz vor dem Abgrund muss man wirklich etwas wagen. Wer indes nichts wagt, rutscht ab.

Man kommt doch nur aus einer schwierigen Situation, wenn man bereit ist, sich selbst auf den Arm zu nehmen. Da liegt die FDP tatsächlich vorne. Diese Selbstironie der FDP in den sozialen Netzwerken ist – zumindest in der Beurteilung der Werbetreibenden – gelungen. Mal sehen, ob der Bürger es am Wahlabend ähnlich honoriert.

Die perfekte Projektionsfläche

Angela Merkel ist die mit Abstand perfekte Projektionsfläche. Viele Bürger trauen ihr tatsächlich zu, alle Probleme zu lösen. Deshalb kann sie die wichtigsten Probleme im Wahlkampf einfach ausblenden. Sie muss Lösungsvorschläge nicht extra für sich proklamieren. Sie hat sich selbst zur Lösung gemacht. Tatsächlich ist das „Wir schaffen das“ offensichtlich beim Bürger angekommen als „Ich schaffe das“. Sonst würde man sich in den Umfragen nicht bei tapferen 40 Prozent halten. Das mag man kritisieren wollen. Aber es ist Fakt.

Das Erstaunlichste: Frau Merkel ist eigentlich eine große Unbekannte. Muss sie sogar, damit man alles Mögliche in sie hineininterpretieren kann. Das Merkelprinzip: Die große weiße Wand. Es wäre jetzt einmal Zeit für ein Buch, wer Angela Merkel ist. Nicht, wer sie wirklich ist, sondern wer sie überhaupt ist. Was da bisher auf dem Buchmarkt ist, hat meines Erachtens diese Frage noch nicht beantworten können.

Eine Person mit ihrem Machtapparat über so einen langen Zeitraum führt allerdings zwangsläufig zu Degenerierungserscheinungen. Der Absturz kann dann relativ schnell gehen wie bei Helmut Kohl. Und der hatte immerhin eine historische Leistung vorzuweisen. Die Bewältigung der Finanzkrise durch Angela Merkel klammere ich aus, denn das war keine Lösung, sondern ein Zuklatschen mit Geld. Eine klassische Lösungsverschiebung.

Ausklammerung der wichtigsten Themen

Die völlige Ausklammerung der wichtigsten Themen im CDU-Wahlkampf wie Zuwanderung, Terrorismus und Integration ist natürlich Leistungsverweigerung. Aber offenbar verfängt diese Strategie der asymmetrischen Demobilisierung, der Vermeidung einer Stellungnahme zu den kontroversen Themen unserer Zeit.

Die eine Filterblase über die andere
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Wenn man Christian Lindner/FDP und Katrin Göring Eckardt/ Czem Özdmir/Grüne als potentielle Merkelpartner mal aus dem oppositionellen Wahlkampf ausklammert, bleiben nur noch die AfD und die Partei Die Linke. Die Querelen innerhalb der AfD sind allerdings grauenhaft. Natürlich ist das nicht nur hausgemacht. Aber das ist völlig wurscht. Denn es geht alleine um die Außenwahrnehmung dieser Kesselflickerpartei. Von Lucke über Petry zu Weidel – Neue Parteivordere am laufenden Band wie der Geist aus der Maschine. Der Konservative und Rechtskonservative will doch, dass alles so bleibt wie es ist. Da ist dann viel zu viel Bewegung drin. Zumal die CDU sich mit „In einem Deutschland ….“ schon optimal konservativ aufgestellt zu haben scheint.
Die Linke positiv unauffällig

Wie die Partei Die Linke im Wahlkampf auftritt, finde ich positiv unauffällig. Problem, wenn man „Respekt“ schreibt, aber obendrüber ein Plakat einer anderen Partei hängt: Das wirkt dann schnell wie ein Branding des Kandidaten eines Mitbewerbers, der darüber hängt. Das ist mir in Berlin aufgefallen, wo die Linke stark plakatiert. Dass Selbe gilt auch für linke Wahlkampfbegriffe wie „Kinder“, „Gerecht“, „Nähe“, „Mensch“ und so weiter. Das ist eigentlich eine gewisse Alleinstellung, allerdings wie beschriebenen mit einem Missinterpretationspotenzial technischer Natur.

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Partei und Personenwahlkampf – die Gewichtung ist interessant. Für die CDU ist das natürlich der Kanzlerinnenbonus, Merkel als Projektionsfläche. Bei den Grünen gibt es immer die Doppelspitze, da verteilt sich die Aufmerksamkeit. Die Grünen rudern hektisch mit den Armen und versuchen sich zu erklären, machen also den Anti-CDU Wahlkampf, nach wie vor setzt man hier auf die Weltretterrolle, die aber nur funktioniert, wenn auch wirklich alles schrecklich ist oder man es wenigstens glaubhaft so darstellen könnte. kann n man aber nicht. Man klammert hier auch eine Problematik aus: Die Zuwanderung. Aber offensichtlich empfindet man Zuwanderung als Gewinn und Positives findet nicht statt, also auch nicht Zuwanderung. Die kommt allerdings in den Kampagnen auch bei allen anderen Parteien nicht vor. Außer bei der AfD; aber deren Plakate sieht man kaum, werden entweder nicht gehängt oder sofort heruntergerissen.
Gravierende Ereignisse draußen Wahlkampf-irrelevant

Gravierende Ereignisse von außen können kaum noch in den Wahlkampf integriert werden. Barcelona beispielweise liegt im Ausland. Und ohne eine neue Dimension der Monstrosität auch keine emotionaler Overkill. Was sollte also passieren, um diesen Wahlkampf noch irgendwie ad absurdum zu führen? Vielleicht so: Wenn die Elefanten zu sicher sind, begeben sie sich aufs Eis, das könnte noch Potenzial für ungewollte Spannung beinhalten. Die Kleinen machen es vor: Lindner mit seiner Russland-Debatte und Katrin Göring-Eckardt, die sich zwar glaubhaft in ihrem grünen Genre verankert hat, aber dadurch fehlt ihr auch jedweder Antrieb, persönliche Akzente zu setzen.

Fazit: Es läuft wie geplant. Für Angela Merkel. Merkels größter Vorwahlerfolg ist sicher die Eliminierung der Flüchtlingskrisen-Thematik im Bewusstsein vieler Bürger. Ein Wahlkampf eigentlich, wie ein riesengroßes Sommerloch. Klar, es könnte noch etwas passieren, mit dem niemand gerechnet hat. Alle warten nun gespannt auf den Esel. Auf die Esellei eines Einzelnen in einem Wahlkampf der Einzelnen.


Hasso Mansfeld arbeitet als selbstständiger Unternehmensberater und Kommunikationsexperte in Bingen am Rhein.