Tichys Einblick
Ein Lehrer berichtet

Das Drama des Niedergangs von Schulen und Bildung

Immer mehr Schüler machen höhere Abschlüsse mit immer besseren Noten. Doch tatsächlich sinkt das Leistungsniveau seit Jahrzehnten stetig. Die politischen Vorgaben sorgen dafür. Ein TE-Leser und erfahrener Lehrer berichtet, warum er früher gerne unterrichtete und jetzt nicht mehr.

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Mir hat der Job mal wirklich Spass gemacht. Ich war gerne Lehrer – sehr, sehr gerne sogar. Und heute: Mir fehlen noch 10 Jahre an der Pension – ich werde höchstwahrscheinlich trotzdem Ende des Jahres aufhören und mich beurlauben lassen.
Ich möchte nicht mehr mit meinem Namen für dieses „Bildungs“system herhalten, was mittlerweile zu einer Verdummungsmaschinerie pervertiert ist. Ja – ich bleibe dabei: Schüler werden heute von der ersten bis zur 13. Klasse und evtl. nachgeschalteter beruflicher Bildung (wo ich ja tätig bin) verdummt! Bewusst verdummt!

Und das hat Gründe, die zunächst einmal nicht bei den Kindern und Jugendlichen zu suchen sind. Diese sind nämlich von der Natur her mit genauso vielen kognitiven Fähigkeiten ausgestattet im Durchschnitt wie wir es vor 30, 40 oder 50 Jahren auch waren. Warum gibt es aber seit ca. 15-20 Jahren eine stetig steigende Anzahl an Beschwerden seitens der Ausbildungsbetriebe und der Universitäten mit wie wenig Wissen / Fähigkeiten / Fertigkeiten / elementaren Grundkenntnissen ausgestattet die Schüler die Schulen verlassen und den nachschulischen Werdegang einschlagen, obwohl Ihnen die Zeugnisse etwas anderes attestieren?

Warum fragt mich ein diplomierter Forstwirt, der auch noch einen Lehrauftrag an einer Fachhochschule hat, was für Absolventen wir denn entlassen, die noch nicht mal über einfachste mathematische Kenntnisse verfügen.
Warum sagen mir viele Ausbilder an den Ausbildersprechtagen, wenn ich sie frage, warum sie nicht wie in den letzten Jahren fünf Azubis, sondern nur zwei eingestellt haben: „Bevor wir uns drei Pflaumen ins Nest legen und drei Jahre nur Probleme haben, lassen wir die Ausbildungsplätze lieber unbesetzt. Wir haben trotz der Vielzahl an Bewerbungen einfach nicht mehr Azubis gefunden, die unseren Anforderungen entsprechen.“ Was sagt mir das über das vorgeschaltete Bildungssystem? (Professoren: Mathematik-Kenntnisse von Studienanfängern nicht ausreichend)

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Nun – fangen wir mal mit der Grundschule an: In Sachen Bildung scheint man in Deutschland überaus experimentierfreudig zu sein. Vor gut zwanzig Jahren trat die Rechtschreibreform in Kraft. Nicht nur Schüler und Eltern waren durch diese verunsichert. Selbst Referendaren und Lehrern, die über gute orthograph(f)ische Kenntnisse verfügten, rutschte schon mal bei der Beschriftung einer Pflanze an der Tafel ein alter „Stengel“ statt ein neuer „Stängel“ heraus. Schreibt nach diesem wohl eher politisch motivierten Experiment einer Ost-West-Annäherung die heutige Schülergeneration fehlerfreier? Leider nein bzw. ganz im Gegenteil.
Der durchaus erfolgreichen, landläufig als Fibel-Methode bekannten Methode, um Grundschülern das Lesen beizubringen – meine Generation (ich bin 1971 eingeschult worden) bis in die späten 90er wurde noch danach unterrichtet – , folgte die weit weniger erfolgreiche Ganzwortmethode. Spaß am Schreiben sollten unsere jüngsten Pennäler nach Jürgen Reichens Verfahren, bekannt auch als „Schreiben nach Gehör“, finden.

Mitt disa metode wurde aba auch nischt ales bessa. Wie denn auch, denn zwecks korrekter Schreibweise müssen die Kinder die Wörter zwei bis drei Jahre später erneut lernen – nur diesmal richtig. Zwei bis drei Jahre vollkommen rausgeschmissene Zeit. Wenn man dann noch die Tatsache berücksichtigt, dass man ein einmal falsch erlerntes Wort noch schwieriger wieder richtig lernt zu schreiben, als es ursprünglich einmal der Fall gewesen wäre, dann …. Wer bei dieser Methode keine Eltern zu Hause hat, die sich intensiv um das eigene Kind kümmern und es die richtige Rechtschreibung zu Hause parallel zur Schule lehren, ist nach vier Grundschuljahren schon abgehängt.

Deswegen können viele Kinder nach vier Grundschuljahren nicht richtig lesen und schreiben. Dies bestätigen mir jüngere Kollegen mit schulpflichtigen Kindern (meine sind Gott sei Dank schon seit fast 10 Jahren mit der Schule durch) immer wieder. Erst vor zwei Wochen habe ich darüber ein Gespräch mit einem Kollegen (spätberufener Vater mit Mitte 40) geführt, dessen Tochter jetzt in der 2. Klasse der Grundschule ist. Dort wird alles gemäß Lehrplan und politischer Vorgabe gemacht – Resultat: Die meisten Kinder können jetzt Mitte der 2. Klasse weder ansatzweise richtig schreiben noch vernünftig lesen. Nur die Kinder, deren Eltern zu Hause nach bewährter Methode nachhelfen, beherrschen die Fähigkeiten, die ein Kind als Zweitklässler eigentlich schon lockere beherrschen sollte – zumindest, wenn man ältere Standards anlegt.

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Frage also ganz salopp: Was soll der Mist – außer dass einige Utopisten ihre verqueren Ideologien zu Lasten der Kinder durchdrücken wollen?
 Wenn meine Kinder heute nochmal eingeschult werden müssten – ich würde sie definitiv auf eine Privatschule schicken. Aber da würde ich mich ja in guter Gesellschaft befinden, denn viele der Politiker, die uns den ganzen Mist eingebrockt haben, schicken ihre eigenen Kinder ja auch nicht mehr auf die öffentlichen Schulen. Warum eigentlich nicht? (Wenn Politiker ihre Kinder nicht in Schulen schicken, die sie fürs gemeine Volk wollen)
Wen mag es da noch verwundern, dass Universitäten bei Studienanfängern eine zunehmende Rechtschreibschwäche bemerken und viele Polizeischüler am Deutsch-Diktat scheitern? Man kann nur hoffen, dass demnächst die Methode „Rechnen nach Gefühl“ nicht salon- bzw. schulfähig wird. Dies wäre bestimmt nicht im Sinne von Adam Riese, aber schon gar nicht im Sinne künftiger Leistungsträger unserer Gesellschaft.

Aber so neu ist das alles nicht – sondern eine langsame, schleichende Entwicklung: Als ich im Januar 1999 auf dem ersten Elternsprechtag für meine damals sechsjährige Tochter war, hatte ich ein déjà-vu-Erlebnis – denn ich habe meiner ehemaligen Klassenlehrerin an der Grundschule gegenüber gesessen!
Ich erinnere mich noch sehr genau – es war für uns beide damals durchaus ein bewegender Moment – sagte sie doch zu mir: „Wenn die ersten Kinder meiner ehemaligen Schüler von mir unterrichtet werden, merkt man, wie alt man schon geworden ist“. Sie war damals 1998 Anfang 50.

Ich selber war Schüler ihrer ersten Klasse Anfang der 1970er Jahre, die sie als Klassenlehrerin bekommen hat, denn sie kam damals als Junglehrerin an die Schule – frisch aus dem Referendariat.
 Sie erzählte mir, was sie heute (also 1999) im Unterricht alles nicht mehr mit den Schülern machen darf/soll laut Lehrplan beziehungsweise politischer Vorgabe – im Vergleich zu der Zeit, als ich noch selber vor ihr als Schüler gesessen habe. Sie sprach von Kopfrechnen (was sie mit uns geübt hat ohne Ende), diversen Schreibübungen usw. usw. – alles Dinge, die damals wie heute für mich durchaus Sinn machen in einer Grundschule – aber nicht mehr gern gesehen wurden/werden, weil es dem pädagogischen Zeitgeist nicht entspricht – und weil es Leistung und Anstrengung verlangt!

„Ich darf heute viel weniger Anforderungen stellen, als ich das noch bei Euch vor 26 Jahren gemacht habe.“ Das war der entscheidende und prägnante Satz.
 Kann sich hier jemand vorstellen, dass das seit nunmehr 21 Jahren nicht besser wurde, sondern immer weiter in diese Richtung gegangen ist?
 Ich weiß noch, was ich ihr damals geantwortet habe: „Liebe Frau W. , bitte tun Sie meiner Tochter und der restlichen Klasse einen Gefallen. Unterrichten und bewerten Sie weiterhin das, was Sie mit uns damals auch gemacht haben. Lassen Sie sie nicht von ihrem Weg abbringen – zum Wohle der Schüler.“

Einerseits wird die Gleichheit der Kinder betont, andererseits soll aber jeder Einzelne nach individuellen Maßstäben gefördert werden. Aber, wer kann dies im täglichen Unterrichtsgeschäft jahrelang leisten? Eine blanke Illusion.
 Bislang erreichte die Politik das Gegenteil ihrer selbstgesetzten Maßstäbe. Konkurrenz- und Leistungsprinzip, mithin die einzige, regenerierbare Quelle unseres Wohlstandes, werden ad absurdum geführt – und das ab dem ersten Tag in der Grundschule bis hinauf zum Abitur. Damit das möglichst viele erreichen (Stichwort: Abitur für alle!), wird einfach das Leistungsniveau gesenkt, vor allem, weil man Kindern echte Anstrengungen und Enttäuschungen ersparen will.

Schule soll heute alles möglichst „anstrengungslos“ vermitteln – lernen/pauken ist nicht erwünscht – ja geradezu verpönt.
 Vokabeln lernen für eine Fremdsprache? – kann man doch vergessen und lernt man durch reines Sprechen und Lesen von kindgerechten Texten. Binomische Formeln – wer braucht einen solchen Quatsch? Mathematische Beweise führen in der Oberstufe – Blödsinn, wird vollkommen überbewertet. Längere Sachtexte lesen (sagen wir mal wahnsinnige 4-5 DIN A 4 Seiten – egal in welchem Fach) und sich damit sowohl inhaltlich (evtl. unbekannte Wörter nachschlagen) oder kritisch (bei literarischen Texten) auseinander setzen? – aber bitte, wo kommen wir da hin im Zeitalter von Kurznachrichten mit 180 Zeichen bei whatsapp oder facebook. Reine Zeitverschwendung.

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Zusammenfassend: Wirklich schwierige Lerninhalte, an denen die Schüler auch wachsen können, werden (egal in welchem Fach) immer mehr abgebaut – von der ersten bis zur 13. Klasse. 
Ich kann das aus meiner täglichen Unterrichtserfahrungen vollumfänglich bestätigen: Wenn der gleiche Lehrer (also ich), im gleichen Fach, im gleichen Bildungsgang (nehmen wir mal die Höhere Handelsschule), mit dem gleichen formalen Abschluss (Fachabitur) die gleichen Unterrichtsmaterialen verwenden würde, wie ich sie im Jahre 1998 verwendet habe, würde ich damit heutzutage kompletten Schiffbruch erleiden. Kaum ein Schüler würde mir noch folgen können. Im Jahre 1998 konnte das aber noch die überwiegende Mehrheit der Klasse.
 Suche den Fehler!

Warum auch die ganze Anstrengung, die Ihnen schon von Beginn an aberzogen wird (ein gutes Pferd springt nur so hoch, wie es muss) – wir haben doch heutzutage Herrn Google, den kann man doch fragen. Egal ob den google Übersetzer für Fremdsprachen, google Rechner für mathematische Probleme – Schüler sind heute mehrheitlich (das bedeutet: es gibt noch positive Ausnahmen, die sich der jahrelangen Verdummung entzogen haben) in der Regel nicht mehr in der Lage, 10 % von 170 € im Kopf auszurechnen, kein Scherz – oder halt google Suche für die Meinung zu einer politischen Rede im Fach Politik zum Beispiel – dafür braucht man doch seinen eigenen Kopf nicht anstrengen. Paste and copy – fertig!

In den 1970ern bis Mitte der 1980er machten ca. 15 % eines Jahrgangs Abitur.
 Heute sind wir bei Abiturquoten von 45 – 50 % (je nach Bundesland etwas verschieden).
 Ich selbst bin 1975 auf die 5. Klasse eines Gymnasiums gekommen – zusammen waren wir 44 Schüler in einer Klasse. Ich habe noch ein Bild von damals bei einem Schulausflug. Von diesen 44 Schülern haben es neun Jahre später 7 in einem Rutsch zum Abitur gebracht (mich inklusive) – der Rest nicht.
 Sind die Kinder/Jugendlichen heute alle viel schlauer als „wir damals“? Ich glaube kaum.

Jedoch werden heute höhere Bildungsabschlüsse quasi mit der Gießkanne verschenkt – wer sich nicht rechtzeitig wegduckt, hat plötzlich einen. Alle freuen sich: Schüler, Eltern, Lehrer, Schulleitungen und Politiker nicht zu vergessen – alle sind ganz happy, ob der ach so tollen Abschlüsse der heutigen Jugend. Bloß niemand fragt sich ehrlich, wie diese
 a) zu Stande kommen (dazu habe ich mich schon oben geäußert) und
 b), was diese bewirken. Es bewirkt, dass wir einen gigantischen Fachkräftemangel in „normalen“ Ausbildungsberufen bekommen, weil immer mehr Schulabsolventen meinen, dass sie studieren können und auch müssen. Und nichts anderes wird Ihnen ja auch von den Schulen suggeriert. Eine Ausbildung – insbesondere im Handwerk – gilt doch bei den meisten Jugendlichen heute als verpönt. „Da verdient man nix und ich muss mir die Hände schmutzig machen“ ist der allgegenwärtige Tenor der heutigen Schülerschaft.
 Der medial allgegenwärtige Fachkräftemangel, der gerne als Grund für die unkontrollierte Massenzuwanderung aus den bildungsfernsten Gebieten dieser Welt genannt wird, ist also durchaus hausgemacht.

Und wenn man dann fragt, was sie denn studieren wollen kommt: Ja vielleicht was mit Kommunikation oder Medien. Oder auch gerne: Sozialarbeit oder ähnliches.
 Ich persönlich bezeichne das gerne als „Geschwätzwissenschaften“ – man hofft mit ein bißchen Labern und wenig (Lern-)Aufwand einen Studienabschluss zu erlangen – genau das also, womit sie erfolgreich einen „höheren“ Schulabschluss geschafft haben. Wer es nicht glaubt – ich nehme jeden gerne mal mit in Klassen mit dem Ziel Abitur oder Fachabitur. Auch gerne verbreitet ist die Antwort (kurz vor Abschluss des Bildungsganges): „Ja ich weiß noch nicht – irgendwas mit Marketing vielleicht. Ich muss mal schauen ….“
 Viele Schüler wissen zum Ende ihrer Schullaufbahn nicht ansatzweise, was sie mal beruflich machen – obwohl mit ihnen mindestens ein Jahr lang eine berufliche Orientierung (ich verzichte auf Details, was das im Einzelnen alles beinhaltet) durchgeführt wird. 
Natürlich gibt es auch die Schüler, die ganz konkrete Vorstellungen haben, darauf hinarbeiten und schon rechtzeitig ihre Fühler ausstrecken, um zu erkennen, wohin die Reise mal gehen soll und was auch Sinn für sie persönlich macht – egal ob Studium oder berufl. Ausbildung im dualen System.

Wir haben es in der Regel mittlerweile in Deutschland mit einer Überakademisierung jeden Schuljahrganges zu tun. Dabei mache ich natürlich den Schülern keinen Vorwurf – woher sollen sie wissen, dass vielen von ihnen etwas vorgegaukelt wird (Studierfähigkeit), was überhaupt nicht ist. Es fehlt einfach immer mehr die Differenzierung nach wirklicher Leistung/Begabung/Neigung.

Ein einfaches Beispiel aus diesem Jahr – was sich so landauf, landab häufig abspielen wird, wie ich aus diversen Gesprächen mit anderen Kollegen von anderen Schulen/Schulformen bestätigt bekomme: Höhere Handelsschule Oberstufe – Klasse 12. Während meines Unterrichts kommt die Sprache plötzlich auf die letzte Mathe-Klausur. Die Schüler behaupten, sie hätten alle eine 1 oder 2 geschrieben. Ich kann das erst gar nicht glauben – bis die Schüler ihre Klausuren rausholen. Tatsache – keiner schlechter als 2! Dann lasse ich mir die Aufgabenstellung zeigen (ich unterrichte wohlgemerkt keine Mathematik) – und mir entgleiten meine Gesichtszüge. Das, was da vor mir lag, war bestenfalls ein kleiner Test, den man in 20 Minuten erledigen kann, auf unterstem Niveau – aber nicht eine Klausur in der letzten Klasse einer Oberstufe, die zum Fachabitur führt und die in der Regel 3 Schulstunden umfassen soll.
Aufgrund ihrer guten (geschenkten) Noten im Fach Mathematik meinten zum Abschluss hin einige Schüler, dass sie Maschinenbau oder ähnlich mathelastige Studiengänge absolvieren könnten. Was sollte ich dazu sagen? Sie werden – wenn nicht ein Wunder passiert – gnadenlos scheitern, weil sie den Anforderungen (hier im Bereich Mathe) nicht ansatzweise gewachsen sein werden.

Wenige Wochen später bin ich von der Schulleitung zu einem „Gespräch“ eingeladen worden – ich hatte nämlich im Fach BWL (auch wie Mathe verpflichtendes Prüfungsfach in der HöHa) 3 mal die Note ungenügend (6) auf dem Halbjahreszeugnis in der gleichen Klasse verteilt. Der Schulleiter fand, dass das ein bisschen viel wäre und ob ich mir das nicht nochmal überlegen wolle (wohlgemerkt: es lag keine Beschwerde eines Schülers gegen meine Notengebung vor). Und reingrätschen in die Notengebung darf er mir so nicht – außer er weist mir schwerwiegende Vergehen nach.
Ich habe meine Unterlagen geholt und habe dem Schulleiter/stellvertr. Schulleiter genauestens erklärt, wie die Noten zu Stande kommen: massive entschuldigte und unentschuldigte Fehlzeiten; angekündigte und unangekündigte Tests alle 5 oder 6 geschrieben; häufig keine Hausaufgaben angefertigt; Mitarbeit im Unterricht nicht vorhanden (wie auch, wenn man so häufig fehlt, kann man dem Stoff in der Regel nicht folgen); Klausuren waren 6 oder nicht mitgeschrieben (auch Nachschreibetermine wurden nachweislich nicht wahrgenommen). 
Über all das hatte ich dezidierte Aufzeichnungen – es war also nachweisbar. 
Meine Frage an den Schulleiter: „Welche andere Note als 6 hat der Schüler verdient? (es traf mehr oder weniger auf alle 3 Schüler zu). Jede andere/bessere Note wäre ein Schlag ins Gesicht der Schüler, die Leistung gezeigt haben, sich angestrengt haben und hier tatsächlich was lernen wollen.“ Denn die gibt es durchaus – und die muss ich vor solchen Leistungsverweigeren (meistens sind das auch die Störenfriede in einer Klasse) schützen und auch deutlich abheben. Denn sonst lohnt sich Leistung nicht mehr. Das ist jedenfalls meine Sicht der Dinge.
 Großes Staunen beim Schulleiter, damit hatte er wohl so nicht gerechnet – ein paar gestammelte Worte von wegen „Strenge“ der Notengebung – aber nachvollziehbar, mehr Angebote an den Schüler machen, jeden Schüler versuchen „mitzunehmen“ und sonstiges politisch gewolltes – aber völlig inhaltsloses, realitätsfernes Geschwafel. 
Bevor ich rausgegangen bin, konnte ich mir eine Bemerkung aber nicht verkneifen: „Laden Sie jetzt auch die Kollegen zu einem Gespräch ein, die genau den gleichen Schülern in den prüfungsrelevanten Fächern eine 2 oder 3 gegeben haben, wenn ich Ihnen gerade bewiesen habe, dass dieser Schüler ein kompletter Lauschepper ist? Denn wie erklären Sie sich deren Notengebung? Oder glauben Sie ernsthaft in Englisch, Mathe und Deutsch gab es keine unentschuldigten Fehlzeiten, ist die Mitarbeit im Unterricht plötzlich Bombe und die Leistungen in Klausuren und Tests plötzlich entsprechend der Note?“ Auf die Antwort warte ich bis heute …..

Was ich sagen will: Wer sich als Lehrer politisch korrekt verhalten will, wer keinen Ärger mit den Schülern, Eltern oder der Schulleitung haben will, verhält sich wie zum Beispiel der Mathe-Kollege und gibt gute Noten trotz Nicht-Leistung. Jeder andere fällt auf. Viele Kollegen wissen um das dramatisch gesunkene Bildungsniveau an unseren Schulen, das höre ich immer und immer wieder, wenn man mal unter vier Augen spricht – schweigen aber dazu und verhalten sich dementsprechend (siehe oben). Das ist einfacher und nicht karrierehinderlich.

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Mir ist das zuwider – geht es doch hier um die Zukunft der jungen Menschen, die wir Ihnen ob unserer Kuschelpädagogik und Bildungsabsenkung entweder erschweren oder grundlegend verbauen. Denn viele Schüler könnten mehr leisten – aber auf Grund der fehlenden Differenzierung nach Leistung werden alle (besser: die Meisten) zu einer einheitlich grauen Bildungsmasse, wo zwar jeder einen höheren Abschluss bekommt – diese Abschlüsse auf Grund der Inflationierung jedoch überhaupt keine Aussagekraft mehr haben.
 Ich habe vor einigen Monaten den Ausspruch im Lehrerzimmer getätigt: „Wenn wir so weitermachen, macht in 20 Jahren der erste Affe aus dem Zoo hier seinen Abschluss.“ Das haben viele Kollegen gehört – es gab nicht den leisesten Widerspruch.

Ich könnte noch viel, viel mehr aus dem Alltag der Schule erzählen – Dinge, die Aussenstehende gar nicht mitbekommen – wie auch?

Mein Fazit: Unser bis vor 2-3 Jahrzehnten weltweit so geschätztes Bildungssystem ist mittlerweile in vielen Bereichen im Eimer. 
Ich bin bis vor 8-10 Jahren als Lehrer sehr, sehr gerne zur Schule gegangen – im Nachhinein betrachtet auch deshalb, weil ich bis zu meinem Auslandseinsatz in Ägypten an einer Schule war, die das Bildungsideal noch sehr hoch gehalten hat und zwar weil Kollegium, Abteilungsleitungen und Schulleitung dahinter standen. Wir haben uns des öfteren mit unserem Vorgehen am Rande der Legalität bewegt, manchmal auch darüber hinaus. Aber wir haben Bildung und Tugenden wie Disziplin, Fleiß, Einsatzwille etc. noch vermittelt und auch von den Schülern verlangt. 
Wir haben dieses Konzept des Förderns und Forderns in der Vollzeitschule (Wirtschaftsgymnasium und Höhere Handelsschule) damals Ende der 90er Anfang der 00er Jahre entwickelt. Bis das merklich wirksam wurde, sind zwei bis drei Jahre ins Land gegangen. 
Danach war es für alle Beteiligten von Vorteil:
a) Schüler: Zu uns kamen die lern- und leistungswilligen Schüler. Hatte sich doch mal jemand „verirrt“, so haben wir diesen nicht fallen gelassen, sondern entsprechend seiner Begabung in separaten Klassen gefördert und gefordert und möglichst schnell in die betriebliche Praxis vermittelt. 
Bei stärkeren oder häufigeren Verfehlungen gegen die Regeln des Schulgesetzes war allerdings sofort Schluss. Auch diese Konsequenz vermisse ich heute. 
b) Eltern aus den umliegenden Städten haben ihre Kinder bewusst bei uns angemeldet, trotz einer weiteren Anfahrt. Tenor war: Wir wollen eine inhaltlich gute Bildung für unser Kind.
 c) Lehrer: Das Unterrichten verlief viel angenehmer, weil wir homogenere Gruppen hatten. 
d) Ausbildungsbetriebe: Absolventen unserer Vollzeitbildungsgänge wurden mit einem durchschnittlichen 3er Zeugnis lieber genommen, als Absolventen der umliegenden Schulen mit 2er oder sogar 1er Zeugnissen.
 Das alles gibt es mittlerweile an dieser Schule auch nicht mehr (ich bin seit 2012 dort weg – habe aber noch zu vielen Kollegen Kontakt). Die Schulleitung ist neu, die Abteilungsleitungen sind neu – jetzt wird alles so gemacht, wie es politisch gewünscht/vorgeschrieben ist. Die Schüler werden durchgewunken – irgendwie. Hauptsache die Abschlußquote und die Noten stimmen. Wie diese zu Stande kommen ist quasi egal.

Mittlerweile fällt mir der Gang zur Schule allerdings immer schwerer – es ist einfach nicht mehr das, für was ich einmal gerne angetreten bin.
Ich bin froh, dass ich das alles nur noch mit einer selbst gewählten halben Stelle/Stundenzahl miterleben muss – das ist noch irgendwie erträglich. Und auch das tunlichst nicht mehr so lange. Es gibt da ein Schlupfloch in NRW, durch das ich ganz legal raus kann. Zwar ohne Bezüge – dafür aber mit Erhalt der bisherigen Pensionsansprüche. Die wären nämlich bei einer Kündigung (hatte ich vor 3 Jahren schon vor) nämlich weg gewesen – komische Gesetze des Beamtentums halt.

Nochmal zum Abschluß: Es gibt Schulen, die noch eine gute Bildung vermitteln – sie werden jedoch immer weniger. Der Virus der flächendeckenden Bildungsabsenkung und der damit einhergehenden Verdummung ist momentan nicht aufzuhalten. Das kann mir keiner schönreden – dafür habe ich schon zuviel mitbekommen.


Der Name des Autors ist der Redaktion bekannt

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