Tichys Einblick
CO2-neutrale Kraftstoffe

Warum das E-Auto in die Sackgasse fährt – und Alternativen die Rettung sind

Warum CO2-neutrale Kraftstoffe, sogenannte reFuels in Europa bisher einen schweren Stand hatten - aber den Verbrenner und die Automobilindustrie retten könnten: Eine Analyse der Automobil-Antriebssysteme der Zukunft. Von Thomas Koch

imago images / Jochen Eckel

Ein Eisverkäufer in einem Schwimmbad hat im Hochsommer die Freiheit, anstatt Stracciatella-, Kokosnuss- oder Erdbeereis als Alternative für die Badegäste Glühwein, Christstollen oder Lebkuchen anzubieten. Es ist einleuchtend, dass dieses Geschäftsmodell nicht tragen und zur Insolvenz führen würde. Die Nachfrage des Marktes fehlt im Freibad.

Nun käme vermutlich niemand auf die Idee, Erdbeereis auf der einen Seite oder Dresdner Christstollen auf der anderen Seite ganz generell für unerwünscht oder ungeeignet zu erklären. Die Kaufbereitschaft, die sich durch die individuelle Situation der Kunden ergibt, also durch die unterschiedlichsten Bedürfnisse und durch den Appetit oder Durst der Menschen zu unterschiedlichen Zeitpunkten, kurzum das Marktverhalten, entscheidet über den Umsatz von Erdbeereis oder Christstollen. Niemand käme daher auf die Idee, dem Eisverkäufer im Freibad nur den Verkauf von Gewürzwein, Punsch und Christstollen zu gestatten.

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Übertragen auf die automobile Antriebstechnik stellte sich im Zuge der CO2-Emissionsgesetzgebung die Situation in den letzten Jahren gänzlich anders dar. Der Eisverkäufer wurde quasi über die geplante europäische Gesetzgebung darauf vorbereitet, in Zukunft – exakt ab 2035 – auch im Sommer nur noch Glühwein und Lebkuchen verkaufen zu dürfen. Konkret wurde über viele Jahre die ausschließlich batteriebetriebene Elektromobilität als einzige Lösung der Zukunft propagiert. Alternative umweltfreundliche Kraftstoffe (refuels) wären gemäß bisheriger Planung auf europäischer Ebene nach 2035 nicht für Neufahrzeuge möglich.

Der bisherige Höhepunkt dieser Entwicklung war die Vorlage der EU-Kommission unter maßgeblicher Federführung des niederländischen Vizepräsidenten Timmermans und das relativ knappe Abstimmungsergebnis des EU-Parlaments im Juni dieses Jahres nach intensivem Betreiben des niederländischen EU-Abgeordneten Jan Huitema. Deutlichen Widerspruch gab es im Nachgang von Vertretern des Europäischen Rates, insbesondere von ost- und südeuropäischen Ländern, welche an der Technologiefreiheit festhalten.

Die Uneinigkeit der deutschen Regierungsparteien, insbesondere das Festhalten an einer ausschließlichen zukünftigen Berechtigung der Elektromobilität durch die Grünen und Teile der Sozialdemokratie und eine gegensätzliche Forderung nach einer regulatorischen Akzeptanz von mehreren Technologielösungen durch die Liberalen wurde intensiv publiziert und diskutiert.

Der Widerstand der Fachwelt in Europa gegen eine zukünftige rein elektrische Monokultur war schon deutlich vor dem EU-Kommissionsbeschluss enorm und führte stetig und vor allem seit dem Exit-Beschluss der EU in den letzten Wochen zu einer wachsenden und zunehmend spürbaren Akzeptanz von Technologiealternativen.

Entscheidend ist hier, dass es überhaupt nicht darum geht (wieder im übertragenen Sinne), Erdbeereis oder Gewürzstollen zu vergleichen, gegeneinander auszuspielen oder gar einen Sieger zu küren. Schon der gesunde Verstand lehrt, dass beides eine erfolgreiche Zukunft hat, aber alles zu seiner Zeit. Exakt dies war und ist die Position Hunderter von Wissenschaftlern, der Mehrheit der Bürger, sehr vieler Vertreter der internationalen Automobilindustrie und hier vor allem der asiatischen Automobilindustrie.

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Sowohl batteriebetriebene Elektromobilität als auch CO2-neutrale Kraftstoffe haben ihren Charme. Beide Technologien werden weltweit betrachtet parallel weiterentwickelt werden und beide führen zum Ziel der weitestgehenden CO2-Neutralität des Automobilverkehrs.

Wie konnte nun die CO2-Gesetzgebung derart instrumentalisiert werden, dass überaus sinnvolle Technologiealternativen seit Jahren regulatorisch benachteiligt und zwischenzeitlich fast komplett ausgeschaltet wurden?

Zunächst wurden die jahrzehntelangen Bemühungen der Automobilindustrie zur Reduzierung der klassischen unerwünschten Emissionen wie Ruß, Stickstoffoxide, Kohlenwasserstoffe etc. durch die Dieselthematik quasi entkräftet. Bei aller berechtigten Kritik an ehemaligen Verantwortlichen des Volkswagenkonzerns auf der einen Seite wurden jedoch leider pauschal erhöhte NOx-Emissionen mit Betrug und erhöhte Immissionen mit Hunderttausenden von Toten assoziiert. Was entweder nicht legal oder andererseits technisch notwendig, akzeptiert und Ergebnis integrer Entwicklungsarbeit ist, wird der EU-Gerichtshof voraussichtlich in diesem Jahr bewerten.

Vieles war geradezu kurios. Das Kartenhaus der Behauptung einer flächendeckenden NO2-Vergiftung der Bürger ist aber ebenso in sich zusammengefallen wie die Versuche, vorhandene Dieselfahrzeuge circa bis Produktionsjahr 2013 von den Straßen zu verdammen. An einer der meistbefahrenen Straßen der Republik, dem Stuttgarter Neckartor liegt seit Jahren der NO2-Immissionswert auch direkt an der Straße deutlich unterhalb des Immissionsgrenzwertes.

Die Notwendigkeit von Elektrofahrzeugen aus Immissionsgründen ist also vorgeschoben, dies zeigen seit vielen Jahren modernste Fahrzeuge mit Hybridantrieb oder nur mit Verbrennungsmotor. Auch das Fahrzeuggeräusch taugt nicht als Argument für eine elektrische Monokultur. Moderne Hybridantriebe auch ohne elektrische Lademöglichkeit (bereits kein Plug-in Hybrid) fahren bei niedrigen Geschwindigkeiten überwiegend elektrisch. Die Reifengeräusche sind bereits ab ca. 30km/h dominant. Insgesamt ist der relevante Technologievergleich generell nicht Verbrenner versus Elektromobilität, sondern moderner Hybridantrieb versus Batteriefahrzeug. Bei beiden sind keine wesentlichen Einflüsse auf die Stadtimmission vorhanden.

Ein weiteres mächtiges Argument gegen kraftstoffbetriebene Fahrzeuge der Zukunft war zudem immer der angeblich klare Wunsch der Industrie nach reiner Elektromobilität. Auch dies ist ein konstruiertes Argument, wurde doch die CO2-Nullanrechnung von Elektrofahrzeugen durch die regulatorische Sektortrennung eingeführt, sodass elektrische Energie nicht dem Sektor Verkehr zugeordnet wird, auch wenn sie für den Sektor Verkehr zur Verfügung gestellt wird! Es ist nur eine Fußnote, dass über 400 Wissenschaftler zudem die in den relevanten Beratungspapieren der EU falsch berechneten CO2-Mehremissionen des Sektors Energie kritisieren, da fälschlicherweise Durchschnittswerte und nicht die real anfallenden CO2-Grenzkosten für die CO2-Entstehung angesetzt wurden. Unter Kaufleuten würde man von Bilanzbetrug sprechen.

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Unabhängig hiervon folgten nun die Hersteller der einzigen Chance, überhaupt die niedrigen CO2-Grenzwerte zu erreichen. Dies ist gezwungenermaßen die intensive Orientierung zur regulatorisch vorgegebenen Nullemission der Elektromobilität. Trotzdem betonte auch in diesem Jahr der Vorsitzende von Renault-Nissan Luca de Meo sehr deutlich: „Wir brauchen einen Plan B. Elektromobilität alleine funktioniert nicht.“ Sein Kollege C. Tavares von Stellantis wurde noch deutlicher: „Wir hätten mit dem Strom statt den Autos starten sollen“, und weiter: „Wenn Strom nicht sauber ist, dann ist Elektroantrieb nicht zielführend.“

Trotz Unterzeichnung des Klimaschutzabkommens COP26 zum Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor weigert sich ferner Ford, klare Ziele zum Verbrennerende zu benennen. Vielmehr betont der CEO Farley die Alternativlosigkeit von Verbrennungsmotoren. Die asiatischen Hersteller sind noch eindeutiger in ihrer Strategie und formulieren Sätze wie der Deutschland-Chef von Toyota: „Wir sollten nicht so tun, als ob die Elektromobilität die Welt retten könnte.“ So ist auch dieses Argument, die Industrie reagiere ja eh und rechtfertige den Ausstieg aus der Verbrennertechnologie, konstruiert und nicht belastbar.

Eines der vermeintlich wichtigsten Argumente für eine rein elektrische Zukunft war jedoch immer das Effizienzthema. Batteriefahrzeuge seien viel effizienter und deshalb die einzige Option. Abgesehen davon, dass man mit dieser Argumentation auch die Produktion von Butter verbieten könnte, denn für ein Kilogramm werden circa 20 Liter Milch benötigt, ist es irreführend und nicht belastbar. Trickreich wurden Extremszenarien entwickelt und sogar zeitweise ein irreführender Faktor 12 definiert, den refuels mehr elektrische Energie benötigten als reine Batteriefahrzeuge.

Nun ist der Vergleich eines modernen Hybridfahrzeuges, also ein moderner Verbrennungsmotor mit refuels und zusätzlicher elektrischer Einheit, gegenübergestellt einem reinen Batteriefahrzeug entscheidend, wobei die Gesamtbilanz aller Verluste erstellt werden muss. Beim Hybridfahrzeug sind Kraftstofferzeugung durch Strom in Amerika, Afrika, Arabien oder Australien, die moderaten Transportkosten über den Ozean bis zur Tankstelle und die Fahrzeugverluste zu berücksichtigen. Man landet bei circa 75 kWh/100km Strombedarf mit modernen Hybrid-Fahrzeugen.

Bei einem Elektrofahrzeug inklusive Überlandverluste, Verteilerverluste, Hausanschlussverluste, Ladeverluste von der Wallbox bis zur Batterie, Ladeverluste im Stand und Fahrzeugbetrieb und -antrieb kommt man schnell ohne extreme Schnellladeszenarien auf Werte von 25kWh/100km, auch wenn vielfach geringere Werte möglich und ausgewiesen sind, wie auch beim Hybrid. So benötigen refuels-Hybride rund dreimal mehr Energie.

Dafür kann der benötigte Kraftstoff an den Gunststandorten der Erde hergestellt werden, wo Windkraft und Photovoltaik zwei- bis viermal effizienter nutzbar sind als bei uns. Beide Technologien sind also in Summe in erster Näherung ein Nullsummenspiel, Strom aus dem Schwarzwald oder Kraftstoffe aus Südamerika. Zudem ist bei refuels das Energiespeicherthema gelöst. Am Ende sind zwei Kenngrößen entscheidend: Kosten/Kilometer und CO2-Emission/Kilometer.

Die Effizienz eines Fahrzeuges taucht nicht mehr auf, weil sie alleine nicht relevant ist. Die Gesamtsystemeffizienz ist entscheidend! Diese findet sich in diesen entscheidenden 2 Kenngrößen wieder. So ist auch das Effizienzargument ein konstruiertes. Zudem wurde die ganzheitliche Umweltbetrachtung, also die Lebenszyklusanalyse inklusive Produktion und Recycling, an dieser Stelle noch gar nicht erörtert.

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Die Auflistung weiterer irreführender Argumente gegen umweltfreundliche refuels neben der Immissions-, Industrie- oder Wirkungsgradthematik lässt sich beliebig fortsetzen. So seien schon fossile Kraftstoffe kostenseitig nicht kompetitiv, gleichzeitig wirken jedoch Steuerbelastungen von circa 70 Milliarden Euro im Jahr durch Mehrwertsteuer, CO2-Steuer, Energiesteuer und Fahrzeugsteuer. Dafür sprechen auch die Robustheit aller Sicherheitskonzepte sowie die bewährten Versicherungseinstufungen. Die Infrastruktur liegt bereits vor. Die Rohstoffsituation ist etabliert, ebenso wie Recycling- und resiliente Zulieferprozesse für die Verbrennerproduktion. Eine eindimensionale Verbotslösung kann nicht die umweltfreundlichste sein.

Nun stellt sich die Frage, warum permanent gegen Physik, Mathematik und wirtschaftliche Vernunft argumentiert wird. Nicht nur ein Schelm vermutet, sondern Vizepräsident Timmermans betont bereits, dass es gerade auch um gesellschaftliche Transformation geht. Ist es nur eine Ahnung, dass zweifellos wichtiger Umweltschutz in Europa als Argument benutzt wird, um andere gesellschaftliche Verhaltensmuster zu erzwingen? Vor allem die Menschen am unteren Ende der Einkommensskala, die jetzt schon durch die steigenden Energiepreise schwere Einbußen erleiden, werden in einem nächsten Schritt weitere Einschnitte bei der automobilen Mobilität ertragen müssen, was als sozial ungerecht bezeichnet werden muss.

Weltweit werden CO2-neutrale Kraftstoffe aus Strom oder Biomasse hergestellt, eine Erfolgsgeschichte. Internationale Investoren engagieren sich. Ob und in welchem Ausmaß Europa von dieser umweltfreundlichen und wertvollen Alternative partizipiert, hängt von der Akzeptanz vieler Politiker ab. Hoffentlich werden die sozialen Auswirkungen der Politik rechtzeitig berücksichtigt. Der deutsche Durchschnittsverdiener würde sich sicherlich freuen. Der Liter CO2-neutralen Kraftstoffs kostet in Zukunft in der Herstellung deutlich weniger als eine Kugel Erdbeereis im Schwimmbad. Niedrige Grenzkosten deutlich unterhalb von 1 Euro pro Liter zeigen das Potenzial der umweltfreundlichen Technologie.


Prof. Dr. sc. techn. Thomas Koch ist Institutsleiter des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), Institut für Kolbenmaschinen

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