Tichys Einblick
Niedergang eines Magazins

Zum 30. Geburtstag des „Focus“: Statt Jubelfest ist ein Trauerspiel angesagt

Das zweite Nachrichtenmagazin Deutschlands als liberal-konservative Alternative zum linken „Spiegel“ war eine Erfolgsgeschichte, die Focus-Gründer Helmut Markwort und Verleger Hubert Burda schrieben. Heute verliert der „Focus“ – brav im grünen Meinungsstrom mitschwimmend – immer mehr Leser.

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Was war das für eine Erfolgsgeschichte vor 30 Jahren, als Focus-Chefredakteur Helmut Markwort und Verleger Hubert Burda zwei Tage vor dem Verkaufsstart am 18. Januar 1993 auf den Knopf in der Offenburger Großdruckerei drückten. Die Walzen liefen gleich auf Hochtouren. Die erste Startauflage betrug 600.000 Stück.

Endlich gab es zum rot-grünen Spiegel aus Hamburg eine bürgerliche Alternative aus München am Kiosk. Privat finanziert ohne staatliche Hilfen mitten in einer Wirtschaftskrise schrieb Focus, das moderne Nachrichtenmagazin, mit durchschnittlich 495.327 verkauften Exemplaren wöchentlich schon im ersten Erscheinungsjahr schwarze Zahlen. Der Spiegel verkaufte damals noch 1,05 Millionen Hefte pro Woche.

TE-Interview 12-2022
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Die Redakteure des Nachrichtenmagazins füllten mit teilweise 70-Stunden-Wochen in den folgenden Jahren schnell die Kasse des Verlegers – von gut einer Milliarde Euro ist intern im Burda-Verlag die Rede. Am wirtschaftlichen Erfolg waren die Focus-Mitarbeiter anders als beim Spiegel jedoch nicht beteiligt. Ausschüttungen gab es nicht, sondern nur für die Verlagseliten.

Immerhin hat der Focus sogar den Spiegel verändert. Zwar nicht in der politischen Ausrichtung, die Hamburger blieben linksgrün. Aber das bis Anfang 1993 einzige Nachrichtenmagazin wurde nach dem Vorbild des Focus farbig, grafischer und kürzer.

In seinen besten Zeiten verkaufte Focus im Jahr 1998 noch 782.685 Exemplare pro Woche. Die Hefte waren bis zu 400 Seiten dick. In der Offenburger Burda-Druckerei musste der Verlag extra eine Heftmaschine anschaffen, die solche Umfänge tackern konnte. Sie ist längst abgeschafft. Schließlich kommt selbst die Jubiläumsausgabe zum 30. Geburtstag nur noch mit dünnen 116 Seiten daher. 

Im Jahr 2000 hingegen war Focus mit insgesamt 7.556 Anzeigenseiten eine regelrechte Werbeplantage, die Burdas Verlagskassen füllte. Davon kann der heutige Rest-Focus nur noch träumen. Dieser Tage zählt man die bezahlten Anzeigen bestenfalls an zwei Händen ab. Die derzeitige Jubiläumsausgabe präsentiert neben Verlagswerbeseiten höchstens neun bezahlte Anzeigen und wohl zwei im Austausch mit anderen Medien. Wirtschaftlicher Erfolg sieht ganz anders aus.

Fakten, Fakten, Fakten und nicht mehr an die bürgerlichen Leser denken

Markworts einstiges Arbeitsmotto – „Fakten, Fakten, Fakten und immer an die Leser denken“ – gilt schon lange nicht mehr. Fakten für die „Infoelite“ wurden durch belanglose und bunte Geschichten ersetzt, die am Wochenende nicht stören sollen. Deswegen kommt Focus auch in den Nachrichten nicht mehr vor und ist damit politisch wie gesellschaftlich irrelevant geworden. Die liberal-konservativen Leser von Handwerkern über Mittelständler bis hin zu Ärzten und Ingenieuren hat die Verlagsspitze mit der Degradierung und späteren Entlassung des letzten noch etwas konservativen Chefredakteurs Ulrich Reitz im Februar 2016 aufgegeben.

Wie man aber kritisch denkende Leser mit klarer konservativer Kante gewinnen kann, bewies Focus am 17. Januar 2015. Dank des mutigen Titels zu den Terroranschlägen in Paris „Das hat nichts mit dem Islam zu tun – Doch!“ gingen im Einzelverkauf erstaunliche 120.248 Exemplare über den Ladentisch. Damals verkaufte Focus im Schnitt ansonsten 72.000 Exemplare am Kiosk.

Reitz, der preiswerteste Chefredakteur unter allen fünf hochbezahlten Markwort-Nachfolgern, musste jedoch gehen, auch weil der Focus anders als die schweigenden öffentlich-rechtlichen Medien die Sexattacken auf deutsche Frauen von Migranten aus dem nordafrikanischen Raum zum Jahreswechsel 2015 in Köln auf seinen Titel hob. Am 8. Januar 2016 erschien das Magazin mit dem Thema „Die Nacht der Schande“ unter dem Titel „Frauen klagen an – Nach den Sex-Attacken von Migranten: Sind wir noch tolerant oder schon blind?“. Zu sehen war auf dem Cover eine nackte Frau mit symbolisierten schwarzen Händen auf der Haut. Das jedoch ging dem Medien-Mainstream, der vorher alles vertuschen wollte, jetzt plötzlich zu weit. Eine Rassismus-Kampagne gegen Focus lief in den ÖRR-Medien an, statt die arabischen Täter ins Visier zu nehmen. 

Anstelle mutig Haltung zu zeigen, sprach der frühere Verlagsgeschäftsführer Burkhard Grassmann intern davon, „so ein Pegidablatt“ werde es nicht mehr geben. Das war das Ende des liberal-konservativen Focus. Statt die Marktlücke in der links und grün dominierten Presselandschaft zu nutzen, fiel das Haus Burda um und schwamm lieber im Medienstrom mit. Der Verleger ließ es geschehen.

Dabei beklagte sich Hubert Burda Jahre später intern, der Focus sei ihm und seinem Sohn Jakob nicht mehr konservativ genug. Altgediente Redakteure sollten das in Konferenzen einmal thematisieren. Die winkten ab. Ihnen gehörte ja der Laden nicht und sie hatten die Leute in der Chefetage für die bunte Ausrichtung nicht eingestellt. Die Altgedienten gingen lieber, nahmen ihre Abfindung oder wurden wegen Personaleinsparungen gefeuert.

Konservatives Feigenblatt statt Focus-Blattlinie

Wohl auch deswegen kaufte sich der Burda-Verlag als konservatives Feigenblatt dann Jan Fleischhauer als Autor vom Spiegel ein, der dort zuvor seinen „schwarzen Kanal“ in einer Nische verbreiten durfte. Die Hamburger Spiegel-Chefredaktion soll den Abgang in der Konferenz mit den Worten kommentiert haben, berichten Mitarbeiter, der Kollege Fleischhauer sei „mit einer Badewanne voll Geld“ von Burda für Focus abgeworben worden. 

Den Niedergang des Focus hat die teure Personalie genauso wenig aufgehalten wie die Verschwendung von Millionen für neue Chefredakteure und deren Abfindungen nach Markworts Ägide.

Sendung 29.09.2022
Tichys Einblick Talk: Vorbild-Land abgebrannt?
Auf Wunsch von Burda-Zeitungsvorstand Philipp Welte driftete der Focus seit 2016 unter dem neuen Chefredakteur Robert Schneider schon nach wenigen Monaten ins beliebige und seichte Fahrwasser ab. Aus dem bürgerlichen Nachrichtenmagazin von Gründer Helmut Markwort wurde eine etwas politischere Bunte. Doch welcher Leser wollte als konservative Alternative zum linken Spiegel so ein buntes Blättchen noch kaufen?

Statt knallharter Politik-, Kriminalitäts-, Fakten- und Wirtschaftsgeschichten wie in früheren Erfolgstagen, füllten immer mehr Beiträge über Mode, Musik, Kunst und Kultur bis hin zu Kochrezepten das Blatt. Einzig Gesundheitsthemen sorgten für einigermaßen erwartbare Auflagen. 

Für den gesellschaftlichen Boulevard gab es bei Burda jedoch die Bunte. Sie ist laut IVW mit 350.234 verkauften Exemplaren pro Woche im 3. Quartal 2022 wieder das Flaggschiff des Burda-Konzerns, was Focus gut ein Vierteljahrhundert lang war.

Es war insofern eine historische Fehlentscheidung des verantwortlichen Printvorstandes Philipp Welte, die zu einem dramatischen Auflagenverlust in nur wenigen Jahren führte. Ausgerechnet ein gelernter Journalist wie Welte, der in seiner Amtszeit Burdas Printprodukte ausmelkte oder verhökerte, um den Profit zu sichern, leitete mit seiner gewünschten Ausrichtung des Focus als banales Mainstreammedium den Niedergang eines journalistischen Erfolgs im politischen Spektrum rechts der Mitte ein.

Unter Chefredakteuren des Burda-Verlags gilt Welte schon wenige Jahre nach seinem Amtsantritt 2008 wegen seiner Eitelkeit, Kälte und Arroganz als „Fürst der Finsternis“, der wie im Film seinem Zaren den Profit auf Kosten von Qualität und Mitarbeitern sichert. 

Legendär soll Weltes Auftritt vor dem Konzernbetriebsrat in München im Februar 2016 gewesen sein, wo er die Berufung von Reitz-Nachfolger Robert Schneider rechtfertigte. Redakteure konfrontierten ihn zuvor mit dem Vorwurf, der Focus sei angesichts seiner Trainerwechsel im Jahrestakt seit 2010 der HSV unter den Zeitschriften. Welte behauptete frech, Schneider habe versichert, „dass wir mehr Focus verkaufen als früher“. Was für ein Lacher aus heutiger Sicht – siehe die Zahlen weiter unten.

Obendrein verblüffte Welte den Konzernbetriebsrat mit der radikalen Aussage: „Kein Mensch auf der ganzen Welt braucht ein Nachrichtenmagazin.“ Nachrichtenmagazine hätten keine Relevanz mehr, sie stünden ja im Netz. Nur, wie kommen sie dahin, Herr Welte? Keine Relevanz – genau das hat Welte erreicht. Der Focus wird kaum noch zitiert und ist politisch wie gesellschaftlich irrelevant. Diese Rede im Februar 2016 war der Anfang vom endgültigen Untergang.

Weltes Chefredakteur Schneider, menschlich ein netter Typ, brachte es seit 2016 fertig, den Focus allein am Kiosk weit mehr als zu halbieren. Zuvor verkaufte Focus dort immer noch rund 70.000 Exemplare und der Gesamtverkauf lag bei 501.000. Doch vor dem 30. Jubiläum sind es 2022 im Schnitt von Heft eins bis 42 nur noch 31.260 Stück pro Woche an den Verkaufsstellen. Was für ein Verlust!

Den verantwortlichen Chefredakteur braucht das nicht mehr zu jucken. Robert Schneider soll in nächster Zeit als Co-Chefredakteur zur Bild-Zeitung wechseln. Das Jubiläums-Editorial zum 30. Focus-Geburtstag durfte er jedenfalls noch schreiben. Darin gratulierte er sogar am Schluss brav den Grünen zur Fusion mit Bündnis 90 im Jahr 1993 – „herzlichen Glückwunsch von Geburtstagskind zu Geburtstagskind!“ Es klingt fast wie eine Entschuldigung für eine vor allem in früheren Zeiten sehr kritische Berichterstattung. Was soll man dazu noch sagen?

Zu dieser weichgespülten Focus-Haltung passt auch der Titel über den grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in Heft 50/2022. Das Magazin brachte es fertig, den Kinderbuchautor im Politikergewand, für den Betriebe nicht bankrott gehen, wenn sie nichts verkaufen, auf dem Cover fast mitleidig darzustellen als „Der Getriebene“. Die Krise, die widrigen Umstände und natürlich Putin zwingen den armen Grünen sozusagen zu seinen Taten gegen den Wirtschaftsstandort Deutschland.

„Der Versager“ hätte früher auf dem Focus-Titel gestanden. So wie einst der linke Spiegel am 15. November 1992 in Heft 47 keine Probleme hatte, den früheren Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) als „Der Versager“ auf dem Titel anzuprangern. Dabei hatte Waigel aus heutiger Sicht seine Finanzen fast noch im Griff und war im Gegensatz zu FDP-Bundeskassenwart Christian Lindner nur ein kleiner Herr der Schulden.

Der bunte, wie seichte Focus will keinem mehr weh tun

Mit so viel Feigheit vor den Grünen schreibt sich der Focus halt noch seinen letzten Leser weg. Das frühere Nachrichtenmagazin will keinem wehtun. Schon gar nicht den Ampelakteuren. Wie das wirkt, zeigt ein Beispiel aus jüngerer Zeit: Der banale Focus-Titel „Die Krise und ihr Kanzler“ in Heft 48/2022 verursachte mit nur noch 19.665 Einzelverkäufen am Kiosk das absolute Allzeittief in der Focus-Geschichte. Und dies nur wenige Wochen vor dem 30. Jahrestag des Erscheinens. Tiefer scheint es nicht mehr zu gehen – womöglich doch.

Laut IVW-Zahlen vom 3. Quartal 2022 verkauft Focus insgesamt nur noch überschaubare 243.659 Hefte pro Woche. Die harte Auflage aus Einzelverkäufen am Kiosk und Abonnenten, die wirklich noch Geld bringt, findet in dem Zeitraum nur 206.301 Abnehmer. 

Doch selbst die letzte Zahl liegt wohl noch darunter, denn Focus-Mitarbeiter berichten, dass der frühere Geschäftsführer am Rande einer Belegschaftsversammlung erzählt hätte, dass nicht alle rund 174.000 verbliebenen Abonnements „hinterlegt seien“. In der Tat gibt es zahlreiche Empfänger von digitalen Focus-ePapern, die keinen Cent dafür zahlen.

Obendrein dürfte auch der Tiefdruck in der Burda-Druckerei rote Zahlen aufweisen, denn Druckgewerkschafter berichteten schon 2017, dass Tiefdruck schon unter 300.000 Exemplaren Verluste einfahre. Da aber Personal-, Papier- und Energiepreise seither rasant stiegen, dürfte dies schon seit Jahren der Fall sein. Denn die jüngsten Druckauflagen von Focus liegen Ende 2022 längst unter 235.000. 

Insofern müsste das Magazin in seinem 30. Jahr mit seiner Restauflage tiefrote Zahlen schreiben, was die Verlagsführung bestimmt öffentlich bestreitet. Dennoch schwirrt nicht nur auf den sich leerenden Focus-Fluren das Gerücht umher: Sollte die Lebenszeit von Hubert Burda zu Ende gehen, werde das gedruckte Blatt umgehend eingestellt und von Focus-Online bestenfalls noch eine digitale Ausgabe für die übriggebliebenen Abonnenten gefertigt.

Die Focus-Büros in Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf, Leipzig, München, Stuttgart sowie im Ausland schloss die Geschäftsführung ohnehin endgültig vor fünf Jahren. Gleichzeitig folgte die große Fehlentscheidung, die Focus-Zentrale in München aus dem Leserstammland Bayern in die Hartz-IV-Hauptstadt Berlin zu verlagern, natürlich um viele Mitarbeiter loszuwerden, denn Leser hat der Focus dort nur wenige.

Dazu passt: Im 30-jährigen Jubiläums-Focus findet man nicht einmal mehr das Impressum. Es wurde im Inhaltsverzeichnis falsch ausgewiesen, statt auf Seite 112 steht es auf Seite 90. Womöglich spiegelt dieser Feiertagsfehler auch den Zustand des Blattes und seiner verbliebenen Mitarbeiter wider.

Zahlreiche Redakteure hatten schon Jahre zuvor das Blatt freiwillig verlassen, weil sie keine Lust hatten als Nachrichtenjäger oder Korrespondenten ihre Gesprächspartner vor allem aus Politik und Wirtschaft nach den Marken ihrer Uhren, Anzüge oder Schuhe zu fragen. Denn das war der neue bunte Stil des Focus, seit 2016 Robert Schneider das Amt als Chefredakteur im Auftrag von Burda-Vorstand Welte übernommen hatte. Zudem füllte man in den letzten Jahren die politische Redaktion immer häufiger mit Praktikanten und Volontären auf, von denen man viele gar nicht mehr übernimmt. Dafür kauft die Redaktion Inhalt von außen ein, den freie Autoren billiger als Festangestellte liefern.

Von einst 340 Focus-Machern in den ersten 15 Erfolgsjahren sind heute nur noch rund 60 übriggeblieben und darüber hinaus auch ausgewechselt worden. Der grüne Zeitgeist ist so in die Großräume eingezogen. Viele neue Redakteure erregen sich inzwischen über das wöchentliche Tagebuch des Gründers Markwort auf der letzten Seite, das ihnen „viel zu weit rechts“ ist.

Tagebuchautor und Chefredakteur Markwort musste 2010 bereits gehen, weil Verleger Burda „frischen Wind“ an der Focus-Spitze wollte. Doch alle vier folgenden Chefredakteure (Wolfram Weimer, Jörg Quoos, Ulrich Reitz, Robert Schneider) erreichten bestenfalls das Gegenteil – nämlich sinkende Auflagen. Lediglich Markworts Stellvertreter Uli Baur konnte im Jahr 2012 als kurzeitiger alleiniger Chefredakteur letztmalig eine gute Bilanz vorweisen.

Sicher leiden alle Printprodukte unter dem Internet. Aber wäre ein Chef wie Markwort bis heute noch an der Focus-Spitze, würde wohl die Auflage sicher weitaus höher liegen. Aber das war nicht der Plan von Weltes Trauerspiel 30 Jahre nach dem ersten Erscheinen.

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