Tichys Einblick
Politischer Wortschatz

Was aus der „Postfaschistin“ Giorgia Meloni wurde

Inzwischen ist Meloni vier Monate im Amt, und die vom "Stern" vorhergesagten „extremen Folgen“ sind nicht eingetreten. Weder „für uns“ noch in Italien, wo sie kürzlich die Regionalwahlen in der Hauptstadtregion Latium und in der Lombardei souverän gewann.

Italians Ministerpräsidentin Giorgia Meloninach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskiy in Kiew am 21.02.2023

IMAGO / ZUMA Wire

Im DUDEN (28. Auflage, 2020) ist das Wort noch nicht vermerkt, in den deutschen Medien kommt es aber seit September 2022 häufig vor: „Postfaschistin“. Wenn der Name der neuen italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni fällt, wird er sprachlich gerne mit dem Attribut „Postfaschistin“ angereichert: „Postfaschistin Giorgia Meloni“ ist zu einer journalistischen Formel geworden (bei Google rund 15.000 Einträge).

Aber weshalb und wozu?

Unter „Postfaschist(in)“ versteht man – ähnlich wie bei Postkommunist(in), Postsozialist(in) – jemanden, der nach dem Zusammenbruch eines politischen Systems, hier: des italienischen Faschismus unter Benito Mussolini (1922–1943), weiter dessen Ideologie vertritt.

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Giorgia Meloni wurde 1977 geboren – eine Generation nach dem Ende des faschistischen Italien. Mit 15 Jahren trat sie in die Jugendorganisation der – 1995 sich auflösenden – neofaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano (MSI) ein und wurde dann bei deren Nachfolgepartei Alleanza Nazionale Vorsitzende der Studentenorganisation. Es folgte eine schnelle politische Karriere als Abgeordnete (seit 1998) und Jugendministerin (2008–2011 unter Ministerpräsident Berlusconi). 2012 war Meloni Mitbegründerin einer neuen Rechtspartei, der Fratelli d’Italia (FdI), und wurde 2014 deren Vorsitzende. Aus den italienischen Parlamentswahlen am 25. September 2022 ging die FdI als stärkste Partei (26 Prozent) hervor, und eine Mitte-Rechts-Koalition wählte Meloni zur Ministerpräsidentin.

In den italienischen Medien ist von der „Postfaschistin Meloni“ wenig die Rede und, falls doch, meist als Zitat: So widmete der Stern (22. September 2022) kurz vor den italienischen Wahlen Meloni seine Titelgeschichte unter der Schlagzeile: „Die gefährlichste Frau Europas. Postfaschistin Giorgia Meloni kann mithilfe von Putin-Freunden die Wahl in Italien gewinnen – das hätte extreme Folgen für uns“. Die italienischen Medien berichteten darüber ausführlich, einschließlich des Attributs „Postfaschistin“ (postfascista).

Nach dem Wahlsieg Melonis verfestigte sich in den deutschen Medien das Attribut „Postfaschistin“ für Meloni: „Regierung der Postfaschistin Meloni vereidigt“, titelte der Stern, „Postfaschistin Giorgia Meloni als erste Regierungschefin Italiens vereidigt“ die Welt. Auch bei ihrem Antrittsbesuch in Berlin Anfang Februar 2023 wurde Meloni von den Medien als „Postfaschistin“ begrüßt: „Giorgia Meloni, die Postfaschistin, die Italien regiert“ (Berliner Morgenpost), „die Postfaschistin und neue italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni“ (Süddeutsche Zeitung), „Giorgia Meloni trifft Olaf Scholz: Eine Postfaschistin in Berlin“ (Spiegel).

Lombardei und Latium
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Was ist nun „postfaschistisch“ an Meloni? Biographisch war sie Mitglied einer neofaschistischen Jugendorganisation – so wie Angela Merkel Mitglied der DDR-treuen Freien Deutschen Jugend (FDJ). Ansonsten hat sich Meloni eindeutig vom italienischen Faschismus distanziert: „Ich habe nie Sympathie oder Nähe zu antidemokratischen politischen Systemen gezeigt, einschließlich des Faschismus (fascismo compreso)“, erklärte sie nach ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin. Zum Vergleich: Können in Deutschland linke Politiker mit DDR-Biographie von sich sagen, sie hätten nie „Sympathie oder Nähe“ für antidemokratische Systeme gehabt, „einschließlich des Sozialismus“? Übrigens werden sie in den Medien trotz ihrer damaligen Regimetreue fast nie als „Postsozialisten“ oder „Postkommunisten“ bezeichnet.

Wozu dient in den deutschen Medien das Etikett „Postfaschistin“ für Meloni? Es demonstriert mit einem einzigen Wort die „richtige“ moralische Haltung im „Kampf gegen Rechts“ und, andererseits, dass es hier auf politische Urteilskraft nicht ankommt: Gesinnung genügt.

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Inzwischen ist Meloni mehr als vier Monate im Amt, und die vom Stern vorhergesagten „extremen Folgen“ sind nicht eingetreten. Weder „für uns“ noch in Italien, wo sie kürzlich die Regionalwahlen in der Hauptstadtregion Latium und in der Lombardei souverän gewann – was auch die Süddeutsche Zeitung anerkennt: „Für die Postfaschistin und Regierungschefin Giorgia Meloni läuft es gerade ziemlich gut“ (14. Februar 2023).

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