Tichys Einblick
Wegen falscher Frisuren:

Schweizer Genossenschaftler brechen Reggae-Konzert weißer Musiker ab

Die Band „Lauwarm“ spielt in einem Berner Restaurant: Reggae. Obwohl sie Weiße sind. Das sei kulturelle Aneignung befinden die Genossenschaftler vor Ort und brechen das Konzert nach 20 Minuten ab.

Screenshot: via Lauwarm_music/instagram

„Besuchen Sie Europa, so lange es noch steht.“ Das sang Geier Sturzflug Anfang der 1980er Jahre. Heute wäre das undenkbar und politisch so unkorrekt, dass ein Auftritt nicht toleriert würde. Nicht wegen des Textes. Sondern wegen der Musik. Denn die Band aus dem Ruhrgebiet spielte Reggae. Das wiederum ist kulturelle Aneignung, sagen woke Aktivisten. Wenn privilegierte Weiße sich der Kultur der „People of Color“ bedienen, würden sie deren Geschichte verhöhnen. „People of Color“ heißt übrigens Farbige. Das deutsche Wort zu nutzen, gilt als rassistisch, sich des Englischen zu bedienen, ist indes politisch korrekt.

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Wer das alles für lustig oder Satire hält, liegt indes falsch. Ihre Position durchzusetzen sind woke Aktivisten fest entschlossen. So wie jetzt in Bern. Dort musste die Band „Lauwarm“ einen Auftritt nach 20 Minuten abbrechen. Nicht nur, dass sie die (für sie) verbotene Musik Reggae spielten, sie trugen ihre Haare auch noch in Dreadlocks – eigneten sich also die Kultur der Far… People of Color gleich doppelt an. Zuschauer hätten sich deshalb „unwohl“ gefühlt, wie der Veranstalter später seinen Schritt begründete. Die Erklärung der Band, sie sähen Reggae nur als Inspiration an, griff angesichts der so schwerwiegenden Vorwürfe nicht mehr. Zumal die Band auch noch Musik der Richtung „World“ spielte, also aus dem kulturellen Aneignen gar nicht mehr herauskam.

Veranstalter war die Berner „Brasserie Lorraine“. Das Restaurant wird als Genossenschaft betrieben. Diese übte sich zuerst in Selbstkritik. Die Verantwortlichen hätten „Sensibilisierungslücken“ bewiesen. Sie hätten das Publikum vor diesem Auftritt „schützen“ müssen. Reggae ist offensichtlich schwer zu ertragen, wenn er von „Weißen“ gespielt wird. Für das Wort „Weiße“ muss übrigens nicht aufs Englische zurückgegriffen werden. Das darf laut woker Logik auf Deutsch gesagt werden.

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Doch ihr Kampf für die hoch sensiblen Gefühle woker Aktivisten wurde den Genossenschaftlern auch wieder negativ ausgelegt. Man könne es durchaus als intolerant ansehen, Menschen wegen ihrer Hautfarbe den Zugang zu einer Musikrichtung verwehren zu wollen, hieß es aus der Front der Aneignungs-Befürworter. Die Genossenschaft hielt auf ihrer Internetseite dagegen: „Wir sind überrascht, dass unser Post zum Konzertabbruch wegen kultureller Aneignung solche Wellen geschlagen hat.“ Die Diskussion um kulturelle Aneignung sei nicht neu. Ein überzeugendes Argument. Und die „Gäst*innen“ sollen sich in der Brasserie schließlich wohlfühlen.

„Wenn vor zwei Jahren die gleiche Band gespielt hätte, wären die Reaktionen vielleicht anders gewesen“, teilen die Genossen mit. Sie sind also mit der Zeit gegangen. Ob sie richtig gehandelt hätten, wüssten sie selbst nicht: „Wir könnten es auch Überforderung nennen.“ Aber über Fragen wie, welche Frisuren „überhaupt noch ok“ sind, müsse eine Diskussion geführt werden. Jetzt beantworten könne man so etwas Komplexes noch nicht. Den Genossen gehe es in der Diskussion um die „Zwischentöne“ – deswegen haben sie die Haupttöne beim Konzert abgedreht.

Allerdings wandeln die Wirts-Genossen selbst auf dünnem Eis. Auf ihrer Speisekarte steht Focaccia. Ein norditalienisches Gericht. Wie sehr muss es einen Italiener verstören und verletzen, wenn ihm auf Schweizer Boden seine Kultur geraubt wird. Noch dazu in der deutschen Schweiz. Immerhin machen es die Genossen beim Sonntagsbrunch richtig. Dort gibt es Brot, Zopf, Ofenrösti und vier Sorten Käse. In einer bunten und vielfältigen Welt sollten Schweizer nur Schweizer Gerichte essen – und Deutsche nur deutsche Bananen.

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