Tichys Einblick
Die Schuldfrage

Bei Hart aber Fair: „Merkels Doppelzüngigkeit rächt sich jetzt“

Bei Hart aber Fair wird die Schuldfrage gestellt: Hat am Krieg wirklich nur Putin Schuld - oder die Russen? Oder machten nicht Merkel & Co. durch ihre Nordstream-Politik Putins Aggression erst möglich?

Screenshot ARD: Hart aber Fair

Plasbergs „Hart aber Fair“ kommt wieder im Ukraine-Kontext zusammen – doch um das attackierte Land soll es an diesem Abend nicht gehen. Stattdessen wirft die Runde einen Blick nach Russland. „Wie weiterleben mit diesen Nachbarn?“, fragt Frank Plasberg. Ist es wirklich nur „Putins Krieg“ oder auch der des russischen Volkes?

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Wenn man sich russische Umfragen anschaut, scheint letzteres zuzutreffen. 82 Prozent sind laut ihnen für den russischen Angriffskrieg. Diese Umfragen müsse man mit Skepsis genießen, heißt es in der Runde: Aber dass die Zahlen zumindest nicht viel niedriger sind, liege nahe. Auch, weil es in der Vergangenheit bei russischen Militärinterventionen immer einen Anstieg der Zustimmung gab. FDP-Urgestein Gerhart Baum weist aber Gedanken von Kollektivschud zurück: „Ich bin nicht der Meinung, dass wir alle Russen in Haftung nehmen können“. Das „andere“ Russland sei noch präsent, meint Baum. Würden sie die Wahrheit sehen, wären sie schockiert, meint Baum. „Ich nehme die russische Bevölkerung vor Putin ein bisschen in Schutz“. Auch Michel Friedman bläst ins gleiche Horn.

„Ich bin der Meinung, natürlich ist es nicht mehr Putins Krieg sondern es ist Russlands Krieg – leider“, meint Marina Karitzky. Daran habe vor allem die russische Propaganda schuld. Diese sei ein wirksames Instrument, erklärt die Russlandforscherin, die selbst Russin ist. Die Berichterstattung sei zensiert und verzerrt. „Ein Land, das so massiv die Meinungsfreiheit unterdrückt, hat etwas zu verbergen.“ Die ukrainischstämmige Publizistin Marina Weisband will nicht jeden Russen in Mithaftung nehmen – das sei „nicht ihre Position“. In der russischsprachigen Diaspora habe die Situation seit 2014 eine riesige Spaltung entwickelt, zwischen denen, die russischer Propaganda glauben oder nicht glauben. Aber der Krieg lasse kein Urteil über die Russen zu: „Es sagt etwas über uns als Menschen aus“, wenn man sehe, wie Propaganda funktioniere. Baum beschreibt: „Putin verführt das russische Volk mit einem Mythos, der besagt: Ich rette euch.“

Der Geschichtsprofessor Stephan Creuzberger ordnet die Umfragen ein: Russland sei eine Diktatur, wo man keine offenen Antworten mehr erwarten könne. „Wir sollten solche Umfragen nicht zu hoch hängen. Sie sind für mich nicht repräsentativ.“ Gerade auf dem Land und in der älteren Bevölkerung könnte die Zustimmung hoch sein – bei denen, die in der sowjetischen Diktatur sozialisiert wurden. Gerade die Landbevölkerung sehe viel in Putin und seiner Mission, „russische Erde“ zu sammeln.

Dann verlassen wir die Runde – Plasbergs Einspieler ist ein Interview mit dem ehemaligen Moskau-Korrespondenten der ARD, Fritz Pleitgen. Der ist überzeugt: „Ich weiß, dass nicht die Russen den Angriffskrieg erklärt haben. Es ist Putins Krieg.“ Seine Russlandliebe sei ungetrübt, bekennt er. Auch andere Länder seien nicht dagegen gefeilt, Propaganda auf den Leim zu gehen – er verweist ausdrücklich auf Hitler und die Nazizeit – und die russische Propaganda sei besonders effektiv. Plasberg fragt, wie die Russen nach dem Krieg mit ihrer Schuld umgehen können. Wir sollten ihnen gegenüber „klar unseren Standpunkt zum Ausdruck bringen“, sagt Pleitgen. Plasberg bekennt, fast schuldbewusst, dass er im Weihnachtsurlaub immer eine russische Familie treffe. Dürfe er mit der noch reden? Er solle und müsse sogar, entgegnet Pleitgen. „Das ist doch interessant, zu hören, was die zu erzählen haben“. Nur durch Reden könnte man auch Lügen kontern.

Michel Friedman wirft der Politik vor, zu spät gehandelt zu haben. „Der Krieg hat sich nicht verändert. Unsere Betroffenheit hat sich verändert“. Es gäbe nicht wenige, die der Idee einer imperialen russischen Politik anhängen, meint der Publizist: „Hier gibt es einen Kampf zwischen Diktatur und Demokratie als Ideen“. Die Ukraine sei ein „Stellvertreter für alles, was der Westen ist“. Die deutsche Diskussion sei „viel zu zurückhaltend“. Auch Baum meint: „Eine Expansionspolitik war das doch. Und deswegen gibt es mit Putin keinen Frieden, denn er wird das weiter machen.“ Seine großrussischen Ideen würden ihn weiter motivieren. Wieder betont er: „Es wird mit Putin keinen Frieden geben. Wir müssten „entschieden die Demokratie verteidigen.“

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Professor Creuzberg gefällt dieser Diskurs nicht: „Ich bin doch immer wieder überrascht, wie viel Leute jetzt wissen, was eigentlich falschgelaufen sein soll.“ Merkel habe eine Sanktionsfront geschmiedet, erinnert er. „Haben wir eigentlich vergessen, wie die Kontexte waren?“ Friedman entgegnet mit Verweisen auf CDU und SPD mit ihren Russland-Verstrickungen. „Die Kanzlerin unterschreibt Nord Stream 2, während sie nach Sanktionen sucht. Diese Doppelzüngigkeit rächt sich jetzt.“ Creuzberg fordert eine Rückkehr zur Realpolitik – man werde nach wie vor miteinander reden müssen – eben mit „Realpolitik, die sich auch in Zeiten des kalten Krieges bewährt hat“. In den 90ern seien wir vom Frieden verwöhnt gewesen, meint Creuzberg. Michel Friedman grätscht wieder rein: „Wenn wir jetzt alles Putin zuordnen, dann entlasten wir uns selbst.“ Er meint: „Wir sind aktiv mit dafür verantwortlich, dass sich ein imperialistischer Diktator mit seinen Expansionsgelüsten ausgebreitet hat“. Er sei auch für Realpolitik – aber „in einer Phase des blutigen, heißen Krieges müssen wir Deutschen uns entscheiden – sind wir neutral oder sind wir in einem Krieg, der uns betrifft, Partei.“ Wir sollten keine Angst haben – dass Bundeskanzler Scholz von einem Atomkrieg rede, sei unverantwortlich. Gerhart Baum stimmt ihm zu: „Wir sind mitten im Krieg – wir alle, der Westen beteiligt sich doch aktiv. Das ist doch in Ordnung“. Das glaubt dann auch Friedman nicht so ganz. Plötzlich sind wir im Krieg.

Wie es aber mit den Russen und ihrer Schuld aussieht, bleibt nach einer von Plasberg als „nachdenklich“ bezeichneten Runde offen. Russland begeht Verbrechen, darauf müsse man reagieren, sagen die einen. Die Anderen stimmen zu, bedenken aber, dass Russland auch noch mehr ist als Putin. Der Hitler-Vergleich, der immer wieder aufkommt – ob explizit oder implizit – wird am Ende durch Friedman treffend abgeräumt: „Um den Krieg zu verurteilen und einzuordnen, brauchen wir nicht unbedingt wieder Hitler.“

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