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Schändung einer Bildschirm-Ikone

Haltungsjournalismus in Bestform: Wie der „Verein zur Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises für Fernsehjournalismus e.V.“ das Vermächtnis seines Namensgebers mit Füßen tritt.

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Es gibt Sätze, deren Frequenz in der öffentlichen Debatte viel über die aktuelle gesellschaftspolitische Wetterlage verrät. Die Rede von der „unter keinen Umständen antastbaren Würde des Menschen“ ist so ein Satz. Kaum eine Bundestagsrede, kaum ein Leitartikel, geschweige denn Talkshow, kommt gegenwärtig ohne ihn aus.

Den zweiten Satz hört man zwar nicht ganz so häufig, dafür ist er aber auch um einiges länger. Man könnte ihn, etwas überspitzt, als den kategorischen Imperativ der Vierten Gewalt unseres Staates bezeichnen: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten.“

Wie Satz eins kommt auch Satz zwei mit der ganzen moralisierenden Wucht eines Credos daher und löst, in öffentlich-rechtliche oder private Kameras gesprochen, zuverlässig begeisterte Klatschbekundungen in sämtlichen TV-Studios aus. Seine Urheberschaft wird dem 1995 „Tagesthemen“-Moderator Hanns Joachim (Hajo) Friedrichs zugeschrieben. Jeder Wald- und Wiesen-Journalist, ob im Mainstream oder auf Nebenflüssen unterwegs, vermag ihn noch im Schlaf zu repetieren.

Wie das mit Glaubensbekenntnissen aber so ist: Kaum einer hält sich dran. Weder an Satz eins noch an Satz zwei. Oder kennen Sie jemand mit Presseausweis, dem nicht Stimme und/oder Schreibhand vor gerechter Empörung zu vibrieren beginnen, sobald ihm auch nur der dürftigste Anlass über den Weg läuft, sich mit einer guten, was sag’ ich: mit der besten aller guten Sachen gemein zu machen: dem „Kampf gegen Rechts“?

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Und damit sind wir beim Kern des Problems. Denn wenn sich alle – oder sagen wir fairerweise: fast alle – Journalisten mit einer Sache gemein machen, aber ihr verehrtes Vorbild Friedrichs sagt, dass sie das, sofern sie gute Journalisten sein wollen, nicht dürften, bleibt eigentlich nur die deprimierende Erkenntnis nach dem Maßstab, den sie selbst aufstellen: Es gibt kaum noch gute Journalisten hierzulande.

Dafür gibt es sogar eine Auszeichnung der journalistischen Championsleague: den „Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus“, der seit dem Tod des längst als unfehlbar gehandelten Großjournalisten alljährlich von einem „Verein zur Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises für Fernsehjournalismus e.V.“ verliehen wird. Gegründet von Fernsehjournalisten wird der Efeukranz wem aufs Haupt gedrückt? Man ahnt es – er geht an Fernsehjournalisten. Und zwar überwiegend – um nicht zu sagen: ausschließlich – an solche, die das nicht minder legendäre Glaubensbekenntnis des Namenspatrons zwar bei jeder unpassenden Gelegenheit im Munde führen, bei ihren Mattscheibenauswürfen aber zuverlässig den Eindruck vermitteln, als hätten sie noch nie davon gehört.

So lesen wir in der Begründung für Frau Illners Erhebung in den journalistischen Adelsstand im Jahr 2000 (so lange macht die das schon?) zwar viel von ihrer Fähigkeit „intensiv zuhören“ und „spontan intervenieren“ zu können. Auch ihr Talent, „das Gespräch nicht in rhetorischen Rüpeleien“ ausufern zu lassen, wird als preiswürdig hervorgehoben. Wo Frau Illner schwadroniert, ist Herr Kleber nicht weit. So überrascht es nicht, dass Illner sich in der Liste der mit dem Preis Beglückten tummelt.

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Ein beeindruckendes Who´s Who des zeitgeistigen Gesinnungsjournalismus: Von Tina Hassel bis Oliver Welke, von Marietta Slomka über Sandra Maischberger bis Anne Will, von Gabi Bauer bis Frank Plasberg – kaum ein zwangssubventionierter Bildschirm-Belehrer, den die preisverleihende Vereinsjury verschont hätte. Apropos Vereinsjury. Spätestens beim Abscrollen der beeindruckenden Mitgliederliste – aktuell 39 aktive Preisverteiler – erlebt man ein Déjà-vu der Liste der Preisträger: Kleber (Preisträger 2010), Slomka (2015), Hassel (1999), Will (2007), Illner und Maischberger und Bauer (alle 2000) und der Plasberg (2005). Und auch Welke (2012) taucht doppelt auf: als Preisträger und als Mitglied des Vereinsbeirats.

Doch jetzt geht’s erst los! Es gibt in diesem Land einen von Oberhaus-Journalisten ausgekungelten, sich in seiner Satzung als „selbstlos tätig“ tarnenden und vom Staat als gemeinnützig gepamperten Verein, dessen hauptsächlicher Sinn und Zweck darin besteht, sich gegenseitig Hände zu waschen.

  • Der Vereinsvorstand: Vier der sechs Mitglieder, darunter der Vorsitzende, sind Träger des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises.
  • Die Vereinsjury: 25 der 39 Mitglieder sind Träger des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises.
  • Der Vereinsbeirat: 15 der 15 Mitglieder sind Träger des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises.

Finanziert wird der HJF-Preis laut Verein „ausschließlich aus den Beiträgen der Jury-Mitglieder und der Beiräte“, woraus wiederum die Preisgelder für den mit 5.000 Euro dotierten Haupt- und zusätzliche Sonder- und Förderpreise (je 2.500 Euro) entnommen werden. Im Klartext: TV-Journalisten entrichten Mitgliedsbeiträge an einen von ihnen gegründeten Verein, um sich anschließend aus eben diesen Beiträgen finanzierte Preistrophäen nacheinander gegenseitig in die Hand zu drücken. Einzig die Namen der beiden Schirmherrren der exklusiven SB-Waschanlage, Tom Buhrow, der WDR-Intendant, und sein NDR-Pendant Lutz Marmor fehlen in der Hall of Fame der Preisträger. Bisher jedenfalls. Gut Ding will manchmal Weile haben.

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Täte sich ein solcher Abgrund von Spezlwirtschaft im Bauhauptgewerbe oder beim Verband der Automobilindustrie auf, die Republik stünde Kopf, die mit dem HJF-Preis geschmierten TV-Ankläger in vorderster Linie. Der laut Eigenlob des Vereins „renommierte“, im Lichte seiner Praxis aber wohl eher korrumpierte Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis genießt dagegen allerhöchstes Ansehen im gesamten Mainstreammilieu.

Wenn Sie sich schon immer grün und blau darüber geärgert haben, verehrte Leser, bei Tagesschau und Konsorten mit Ihrem Anliegen kein Gehör zu finden, gründen Sie doch einfach einen Verein – sagen wir: „Verein zur Verleihung des nationalen“, nee, besser: „multikulturellen Nazis-Raus-Preises“. Erklären Sie sich, Ihre Frau, Ihre Kinder, notfalls auch die Großmutter, zu Vorstands-, Jury- und Beiratsmitgliedern in Personalunion. Und melden Sie das Ganze beim Finanzamt als gemeinnützig an. Sollten die Finanzbeamten sich wider Erwarten stur stellen, mobilisieren Sie Kai Gniffke von der „Tagesschau“ und machen Sie ihm mit dem der Vermutung „rechter Umtriebe“ in deutschen Finanzämtern den Mund wässrig. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn Sie und Ihr Verein nicht postwendend in seine Sendung kämen. Alles Weitere läuft anschließend wie von selbst.

Ach ja, ganz wichtig noch: Sie brauchen natürlich ein knackiges Credo. Ohne Friedrichs legendären Glaubenssatz gäbe es vermutlich keinen HJF-Preis. Unser Vorschlag: „Wir schaffen das!“ So wird gewährleistet, dass eine positive Antwort
aus dem Bundeskanzleramt auf Ihr Anliegen, die Schirmherrschaft zu übernehmen, eine absolut sichere Bank ist.

Zurück zum HJF-Preis. Ende November 2018 war es wieder soweit: Fanfarenschall aus allen Mainstream-Newsrooms, „Tagesschau“-Hauptausgabe inklusive: „Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Anja Reschke“. Ein Hochfest des schulterklopfenden Haltungs-Journalismus ging uns mal wieder gehörig auf den Geist.

In seiner Selbstwelt
Claus Kleber: Neue Doku „Unantastbar- Der Kampf für Menschenrechte"
Die 46jährige mit dem Trotzköpfchen-Charme eines ganz frischen Backfisches (Lieblingsflokeln: „sozusagen“ und „keine Ahnung“) moderiert seit endlosen 17 Jahren das linke Kampforgan „Panorama“ und wird wegen ihrer außergewöhnlichen Befähigung, möglichst viele Zuschauer zum Boykott der öffentlich-rechtlichen Zwangsgebühren zu animieren, von allen Kolleginnen und Kollegen ehrfürchtig bewundert. Die schnoddrige ARD-Blondine hat sich spätestens mit ihrem Aufruf für ein Revival des „Aufstands der Anständigen“ den Nimbus einer unerschrockenen Frontkämpferin gegen alles und jedes erobert, was von ihr und ihresgleichen als „rechts“ angesehen wird.

Die HJFP-Jury nennt Reschkes Agitpropsprech „klar, unmissverständlich und nicht belehrend“ und hebt – die journalistische Distanzmaxime des Preispaten souverän ignorierend – ausdrücklich die mainstreamschlüpfrige „Haltung“ der im Dauereinsatz gegen den Wiederaufbau des Führerbunkers kruppstahlhart durchtrainierten Moderatorin hervor.

Die räumt denn auch, wenig überraschend, bei der Preisübergabezeremonie des
privaten Klüngelvereins – Schirmherr Marmor hat generös öffentlich-rechtliche Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt – eventuelle Restzweifel am in Zeiten wie diesen gebotenen Umgang mit Friedrichs´ Vermächtnis rigoros beiseite. Sein berühmter Satz, so hat sie exklusiv herausgefunden, werde „seit Jahren falsch zitiert“. In Wahrheit sei Friedrichs „durchaus ein engagierter Mann“ gewesen. Nix Distanz, nix sich „nicht gemein machen“ (Reschke-Orthographie) mit einer guten Sache. Friedrichs habe nicht einmal davor zurückgeschreckt, seine Stimme für einen Prolog zu einem Protestsong von Udo Jürgens zur Verfügung zu stellen.

Sie hat es tatsächlich gesagt. Nein, nicht nur gesagt, sondern allen Ernstes auch so gemeint: Ein Journalist, der nach Feierabend in einem Tonstudio einen fremden Text ins Mikrofon spricht, macht sich zwangsläufig mit diesem Text gemein. Uiuiui, da konnte Friedrichs der Große zu Lebzeiten ja noch von Glück sagen, dass es kein Text aus „Mein Kampf“ war, den er da auf dem Zettel hatte.

WDR Monitor: Georg Restle, Retter des untergehenden Abendlandes
Ein Gutes verdanken wir Reschkes Fake-Comedy immerhin: Wir wissen jetzt, wie die berüchtigte investigative Recherche bei „Panorama“ geht. Fast 25 Jahre nach Hajo Friedrichs´ Tod präsentiert Deutschlands brutalst-investigative TV-Journalistin den faktenfesten Beweis, an dem künftig kein Medienhistoriker mehr vorbeikommt: Der berühmte Satz war eigentlich nur so dahingequasselt. Würde Friedrichs noch leben, dessen glaubt sich die Riesenjournalistin im Kleinen Schwarzen auf der Bühne des NDR absolut sicher, hätte auch er sich „eingebracht in diesen Kampf“ gegen das dräuende Unheil von „rechts“ und sein Vermächtnis selbstredend längst umgeschrieben. Und so würde der berühmte Satz heute nach ihrer Meinung lauten: „Wir müssen uns gemein machen mit einer Sache!“

Beistand in ihrem medialen Bekenntnisdrang bekommt Frau Reschke durch Georg Restle, seines Zeichens Chef des WDR-Magazins „Monitor“. In der Hauspostille seines Arbeitgebers, des WDR, war Restle einem „Journalismus im Neutralitätswahn“ auf die Schliche gekommen. Aus seinem Befund hat er die postwendende Forderung abgeleitet, dass „wir endlich aufhören sollten, nur abbilden zu wollen, was ist’“. Alexander Wallasch hat ihn dafür einfühlsam gewürdigt. Herr Restle ist sich mit Frau Reschke, mit der er die gemeinsame Echokammer teilt, völlig einig, daß „Hajo Friedrichs´ berühmter und oft missinterpretierter Satz“ dem stürmisch ans Licht drängenden Haltungsjournalismus nur im Wege ist. Und daher schleunigst durch einen zeitgemäßeren kategorischen Imperativ ersetzt gehört.

Ziffer eins des deutschen Pressekodex´ müsste also künftig wie folgt lauten: „Wichtigste Aufgabe des deutschen Journalisten ist es, Haltung zu zeigen.“ Nur „wenn Sie, verehrte Jury“, setzt Deutschlands führende Haltungs-Heroine ihren Preisverleihern, wenn auch völlig überflüssigerweise, die Pistole auf die Brust, nur „wenn Sie meine Arbeit in diesem Sinne anerkennen“, sei sie, Anja Reschke, gewillt, den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis anzunehmen.

Die Jury war bereit.


Wolfgang Moser, Journalist (früher unter anderem bei Report Baden-Baden).