Tichys Einblick
Wokes Scheitern

ProSieben säuft mit „Zervakis & Opdenhövel“ ab

ProSieben hatte 2021 die Qualitäts-Offensive ausgerufen. Mit „We love to infotain you“ ließ der Münchner Privatsender dafür sogar einen neuen Claim entwickeln. Doch ausgerechnet das Flaggschiff „Zervakis & Opdenhövel“ schwächelt – und stellt so das gesamte Konzept in Frage.

picture alliance/dpa | Felix Hörhager

Januar und Februar waren eigentlich keine schlechten Monate für ProSieben. Der Sender konnte seinen zweiten Rang in der werberelavanten Zielgruppe halten. Nur bei RTL schalten die 14- bis 49-Jährigen öfters und länger ein. Doch der Erfolg von ProSieben kam vor allem durch die Show-Formate zustande wie „Wer stiehlt mir die Show?“. Auch die Footballer bescherten dem Sender mit dem Kampf um den Super Bowl Traumwerte.

Doch das Problem von ProSieben: Der Privatsender ist nur mittelbar von den Zuschauern abhängig. In erster Linie entscheiden die Booking-Agenturen über Wohl und Wehe von ProSieben. Und die Werbewirtschaft setzt derzeit auf woke Botschaften: Spülmittel, die den Klimawandel aufhalten; Tampons, die ein Zeichen gegen Body-Shaming setzen; oder Gefrierhalteboxen, die gegen die Armut in der Welt kämpfen. Und wer auf das Bewusstsein der Kunden setzt, um ihnen seine Ware unterzumogeln, der achtet noch mehr als eh schon auf das Werbeumfeld – da sind Schmuddelformate wie „Die Alm“ wenig hilfreich, für die der Sender bisher steht.

Also startete ProSieben die Qualitätsoffensive: Dafür ließ der Sender den etablierten Claim anpassen. Aus „We love to entertain you“ wurde „We love to infotain you“. Die Kernidee: Anspruchsvolle Inhalte so runterbrechen, dass die junge Zielgruppe sie konsumieren kann – und konsumieren mag. Ein schwieriges Vorhaben, mit dem die öffentlich-rechtliche Plattform „Funk“ regelmäßig Pleiten erlebt.

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Das Gesicht dieser Offensive sollte Linda Zervakis werden. Die 46-Jährige schien wie dazu gemacht: Ihre acht Jahre als Sprecherin der Tagesschau verliehen ihr den Schein der Seriösität, den ProSieben mit der Offensive erwerben wollte. Zudem bietet Zervakis’ Lebenslauf den Stoff, mit dem ProSiebens Kunden Tampons und Gefrierhalteboxen verkaufen wollen: Die Eltern kamen in den 1960er Jahren als „Gastarbeiter“ von Griechenland nach Deutschland; ihr Vater arbeitete sich hoch zum Geschäftsmann und eröffnete einen Kiosk; die Tochter schaffte schließlich das Abitur und kam über eine Werbeagentur zum NDR, der für die ARD die Tagesschau produziert. Von diesem Stoff ist die publizistische Landschaft in Deutschland so begeistert, dass schon drei (Auto-)Biographien über die 46-Jährige erschienen sind.

Ihr strickte ProSieben nun „Zervakis & Opdenhövel“ auf den Leib. Einmal die Woche sollten die beiden Namensgeber in einer Mischung aus Talkshow und Reportage-Plattform über aktuelle Themen berichten. Ihr Partner Matthias Opdenhövel gilt in der Branche als Multitalent. Bekannt wurde er zwar in Unterhaltungsformaten, etwa als Moderator von „Schlag den Raab“. Doch Opdenhövel kann auch Politik – glaubte zumindest die ARD und ließ ihn 2016 die US-Wahl moderieren. Da fiel er dann dadurch auf, dass er vor Mitternacht in laufender Sendung mit Sekt auf den Wahlsieg von Hillary Clinton anstieß. Und gegen 4 Uhr hörbar sprachlos wurde ob des sich anbahnenden Siegs von Donald Trump. Das Frühstücksfernsehen löste den Journalisten-Darsteller dann ab, was einer Erlösung gleichkam. Besonders für ihn.

Die Schwächen, die Opdenhövel in dieser Wahlnacht zeigte, hätten ProSieben warnen sollen. Denn letztlich scheiterte ihr neues Flaggschiff am gleichen Vorhaben: Journalismus durch Haltung ersetzen zu wollen und den Zuschauern zu erklären, dass die Welt gerettet werden müsse. Das soll und muss aber nicht nur edel sein, sondern auch unterhaltsam. Am Ende kommt dabei Murks raus. In der ARD-Wahlnacht ebenso wie bei „Zervakis & Opdenhövel“.

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Am Aschermittwoch bewarb ProSieben sein Infotainment-Flaggschiff: In der Sendung werde heute die Frage geklärt, ob man trotz des Kriegs in der Ukraine Karneval feiern könne. Am Aschermittwoch. Jenem Tag, der am weit möglichsten von der nächsten Karnevalsparty entfernt liegt. Als Servicestück ist so etwas peinlich. Als Haltungsstück sowieso. In der Woche berichteten Zervakis und Opdenhövel über die Schäden, die durch gefälschte Impfpässe und Wirte entstünden, die nur lax die diversen 2-3G-plus-Regeln kontrollierten. Nachdem die Regierung den Ausstieg aus den Maßnahmen schon verkündet hatte. Zervakis und Opdenhövel greifen die heißen Eisen an – unmittelbar nachdem sie erkaltet sind.

Entsprechend konsequent floppt „Zervakis & Opdenhövel“: Die Seite Wunschliste.de „kürte“ zum Jahreswechsel die größten Flops in 2021 und setzte das Infotainment-Flaggschiff auf Platz zwei, Erster wurde „Das Supertalent“. Gerade mal rund eine halbe Million Zuschauer sehen sich „Zervakis & Opdenhövel“ insgesamt an. Selbst in der für ProSieben wichtigen Zielgruppe kommt die Show nur mit Mühe auf 5 Prozent – für den Sender verheerend. Dabei hat der es schon mit einem neuen Programmplatz versucht: vom Montag auf den Mittwoch. Mit dem erfolgreichen Nostalgie-Format „TV Total“ als Zugpferd.

Das Fachportal dwdl.de erklärte jüngst, wie es zu den abstürzenden Quoten komme: TV Total starte stark in den Abend, schwächele aber nach der ersten Werbepause. „Zervakis & Opdenhövel“ profitiert zwar danach noch von dem guten Restwert. Aber nach deren ersten eigenen Werbepause befinden sich die Quoten im freien Fall. Anders als ARD und ZDF muss das werbebasierte Privatfernsehen seine Zuschauer alle halbe Stunde neu gewinnen. Die Öffentlich-Rechtlichen profitieren von einem zuverlässigen Stock, der einfach sitzen bleibt, egal was man ihm vorsetzt. In der Konsequenz ist bei den erfolgreichen Filmen des ZDF meist nur jeder zehnte Zuschauer jünger als 50 Jahre. Der Rest dämmert bei der immer gleichen Story vor sich hin.

Privatfernsehen kann seinem Publikum keine Weltsicht überstülpen. Es muss seine Zuschauer überzeugen. Und entsprechend scheitern in dem Umfeld die Versuche, woke Botschaften zu setzen. Nicht erst im „Infotainment“, auch schon vorher in der Unterhaltung: So brachte ProSieben bereits zwei Staffeln der Sitcom „Frau Jordan stellt gleich“. Katrin Bauerfeind kämpft darin für Gleichstellung. Beide Male waren die Quoten so schlecht, dass ProSieben die letzten Folgen en bloc wegsendete. Die dritte Staffel ist produziert, läuft aber vorläufig nur auf Joyn.

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Bauerfeind ist so etwas wie das Gesicht gescheiterter woker Gehversuche im Privatfernsehen. Besonders kläglich ging das Experiment „Du musst dich entscheiden“ auf RTL aus. Nur vier Shows waren geplant, doch schon nach zwei Ausstrahlungen setzte RTL das Ganze bereits ab. Nicht nur die Quoten waren mies. Auch die konzeptionelle Idee ging komplett nach hinten los. Dabei hatte RTL „Du musst dich entscheiden“ im April 2021 noch als Kulturrevolution angekündigt: „Denn nur wer sich vom üblichen Klischeedenken verabschiedet, kann am Ende die Nase vorn haben.“

Die prominenten Kandidaten sollten erraten, welche Qualitäten ein nicht prominenter Kandidat für ein Spiel mitbringt. Die Promis tippten nach folgendem Schema: Das ist ein Hobby, das als so feminin gilt, wie Kandidat X wirkt – also ist es Y, der maskulin wirkt. Und damit hatten sie recht. Die Klischees blieben somit bestehen und wurden lediglich umgedreht. Das war zwar auf seine Weise lustig, aber halt nicht abendfüllend. Zumal nahezu alle anschließenden Spiele von anderen, älteren Shows geklaut waren.

Eben das ist in dem erfolgreichen ProSieben-Format „Wer stiehlt mir die Show?“ besser gelaufen: Mit gut gecasteten Stars in abwechslungsreichen Spielen holt der Sender die Zuschauer auch noch nach der dritten Werbepause zurück. Genau da liegt der Schlüssel für eine Rückkehr von ProSieben zum Erfolg: Sich wieder am Zuschauer ausrichten. Dann folgt auch der Werbekunde. Denn unterm Strich ist es ihm egal, wie er sein Produkt verkauft. Woke ist er nur, weil sich derzeit alle gegenseitig versichern, woke sein sei gefragt.

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