Tichys Einblick
Das Karl-Prinzip

Bei Lanz lobt und verärgert Lauterbach die Corona-Kommission in einem Atemzug

Die deutsche Corona-Politik dreht ins Absurde ab: Im Mittelpunkt Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der es in einem Atemzug schafft, die Evaluierungskommission zu loben und abzuwerten. Im Herbst dürfte es erst recht wild werden.

Screenprint: ZDF/Markus Lanz

Zeit ist bekanntlich relativ. Den kommenden Herbst gibt es gleich zweimal. Da ist der „im Herbst“, in dem uns das Gas ausgeht. In dem wir entscheiden müssen, ob wir zuerst den Unternehmen den Strom abstellen oder den Privatleuten – oder ob es für beide nicht mehr reicht? In dem noch mehr Unternehmen wegen der gescheiterten Energiepolitik das Land verlassen, so wie es das Traditionsunternehmen V&B Fliesen GmbH bereits an diesem Mittwoch verkündet hat.

Und dann ist da noch der „im Herbst“, der dem Kampf gegen ein Virus gewidmet ist, von dem Experten befürchten, dass wir es nicht oft genug feststellen, wenn wir weniger testen. In Testzentren, die reichlich Anlass für Betrugsverfahren sind. Ein Virus, das seit zweieinhalb unser Leben bestimmt. Dem wir so viel Aufmerksamkeit gewidmet haben, dass wir darüber vergessen haben, Daten zu dem Virus zu erheben. Immerhin das hat jetzt eine „Evaluierungskommission“ festgestellt, die den staatlichen Auftrag hatte, zu prüfen, ob Eingriffe in die Grundrechte wie Lockdowns, Ausganssperren, Schulschließungen, gesperrte Spielplätze oder Maskenpflicht überhaupt etwas gebracht hätten. Die aber feststellen musste, dass dies wegen den nun mal fehlenden Daten gar nicht möglich sei.

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Nun hagelt es Kritik. Nicht wegen der fehlenden Daten. Sondern weil die Kommission ein „Bremsklotz“ gewesen sei. Man habe ja gewusst, dass die Daten fehlen. Die Kommission habe das Land nur in der Entscheidung aufgehalten, die Eingriffe in die Grundrechte als Corona-Maßnahmen weiterzuführen. Obwohl wir gar nicht wissen, ob sie helfen, mit dem Corona-Virus umzugehen – oder ob sie durch verschleppte Krebs- oder Herzinfarktdiagnosen, durch seelisch verkümmerte Kinder oder perspektivlose Erwachsene nicht mehr Schaden angerichtet als Gutes verursacht haben. Und da die Absurdität des Stückes ausgiebig geschildert ist, ist es Zeit, den Regisseur des Theaters vor den Vorhang zu bitten: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

Die Talkshows machen zum Thema, was uns „im Herbst“ droht. Also dem Herbst mit der „absoluten Killervariante“, die uns der besagte Gesundheitsminister an Ostern prophezeit hat. Am Sonntag war er bei Anne Will, am Dienstag bei Markus Lanz. Das Wort vom „Bremsklotz“ über eine Kommission aus Wissenschaftlern stammt nicht von einem Querdenker, einem „Covidioten“ oder Corona-Leugner – Lauterbach hat es zwischendrin fallen lassen. Nun ist er bei Lanz und rechtfertigt sich. Er fände ja die Arbeit der Kommission toll und sei ihr dankbar. Dass mit dem Bremsklotz habe er nicht böse gemeint.

Und klar: Nun ist ja „Bremsklotz“ ein bekanntermaßen positiv belegter Begriff. Man kennt den „Bremsklotz“ des Jahres, den Schulen am Ende an den Jahrgangsbesten verteilen. Oder die begeisterten Rufe der Fußballfans auf der Tribüne: „Auf geht’s, Bremsklotz, schieß ein Tor!“ Doch genug der Ironie. Lauterbach ist zwar nur mit ihr zu erfassen. Aber trotzdem ist er ernst zu nehmen, könnte ihm doch so viel Macht zufallen wie noch nie einem Minister der Bundesrepublik: Wenn wegen dem einem „im Herbst“ Grundrechts-Einschnitte begründet werden, die der Bundesregierung wegen dem anderen „im Herbst“ gerade recht kommen.

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Es ist aber schwer, Lauterbach beim Wort zu nehmen. Schuld daran ist die Karl-Methode: In endlosen, genölten Vorträgen behauptet der Gesundheitsminister alles und davon jeweils das Gegenteil. So dass er hinterher zum einen richtigerweise behaupten kann, er habe das ja so gesagt. Und zum anderen keinen Lanz und keine Will fürchten muss, die ihn an das Gegenteil erinnern. Doch mittlerweile trauen sich immer mehr, aus dem Karl-Prinzip die Luft rauszulassen. So wie die Philosophin Svenja Flaßpöhler, die ihm bei Lanz vorwirft, Panik zu schüren – obwohl ihm die Daten fehlen. Lauterbach widerspricht. Er habe immer gesagt, er wolle keine Panik schüren. Was sogar stimmt. Aber die „absolute Killervariante“ hat er eben auch zur Schlagzeile gemacht. Karl-Prinzip halt.

Bei Lanz ist er nur zugeschaltet. Die räumliche Anordnung, die sich daraus ergibt, ist großartig. Hendrik Streeck sitzt im Studio. Er hat die besagte Kommission geleitet und Lauterbach nun im Nacken. Buchstäblich: Wie ein Screenshot aus „1984“ prankt der Bildschirm mit Lauterbach überlebensgroß hinter Streeck. Der trägt das Gegenteil eines Resonanzbogens. Höflichkeitstrainer empfehlen einem, in Gesprächen mit den geschlossenen Lippen ein lang gezogenes U zu bilden, um einen freundlich gesinnten Eindruck zu erwecken. Bei Streeck schlägt der Mund einen Bogen nach oben, der zu zerreissen droht. So wie der, der ihn baut.
Ihm reiche es, mit der Kritik an der Kommission. Das sagt Streeck bei Lanz, das hat er zuvor mit weiteren Kollegen in einem Beitrag für die Zeit so geschrieben. Die Kommission sei auf den Beschluss der Bundesregierung zusammengekommen; die Wissenschaftler hätten ehrenamtlich gearbeitet und müssten jetzt den Kopf dafür hinhalten, dass es an Daten fehle. Die jetzt sagen würden, man habe ja gewusst, dass Daten fehlen, hätten deren Beschaffung vorher auch nicht veranlasst. Immerhin habe die Kommission die Datenerfassung nun angeschoben. Streeck zielt auf Lauterbach, der muss es aber gar nicht auf seinen Vorgänger Jens Spahn (CDU) abschieben. Das macht Lanz für ihn. Der Moderator will sein bestes Pferd schließlich nicht im Schatten schwitzen lassen.

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Mit den Ergebnissen der Kommission geht Lauterbach nach dem Karl-Prinzip um: Was ihm passt, lässt er gelten. Etwa die Aussage, Masken würden erwiesenermaßen helfen. Was ihn stört, hat’s hinterher nicht gegeben. Etwa die Einschätzung, dass Schulschließungen mehr schaden würden als helfen. Immerhin weitere Lockdowns schließt Lauterbach aus. Das hat er bei Will getan. Aber ob das hinterher immer noch stimmt, unterliegt der nach oben und unten offenen Logik des Karl-Prinzips.

Lauterbach ist kein dummer Mensch. Das Karl-Prinizip kein Unfall. Sondern eine Methode. Eine erfolgreiche und zielführende obendrein. Sind die Maßnahmen auf ihren Erfolg überprüfbar, muss sich die Regierung daran messen lassen, bemerkt Flaßpöhler in der Sendung. Sind die Maßnahmen aber nicht prüfbar, und helfen vielleicht, nicht auszuschließender Weise gegen „absolute Killervarianten“, erweitert das den Spielraum des Gesundheitsministers. Das Karl-Prinzip ist nicht lustig. Es ist gefährlich. Und es trifft auf eine empfängliche Gesellschaft. Um 22.43 Uhr wollen mehr Menschen im ZDF Lauterbach sehen als davor zur besten Sendezeit eine Dokumentation über die Flut-Katastrophe an der Ahr und über die Katastrophe danach. Das gibt einen Vorgeschmack mit welchem „im Herbst“ sich die Deutschen in drei Monaten beschäftigen wollen. Es ist nicht der Herbst mit ohne Strom.

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