Tichys Einblick
Lauwarmer Montagabend in der ARD

Hart aber Fair: Für Lauterbach weich und entspannt

Unser Pflegesystem ist selbst ein Pflegefall. Zu diesem Thema sitzt Gesundheitsminister Karl Lauterbach bei Hart aber Fair. Doch niemand nimmt ihn in die Zange. Und Louis Klamroth schon gar nicht. Von Michael Plog

Screenprint ARD / Hart aber Fair

Mit gewohnt starrem Blick sitzt er da, blinzelt wenig, gestikuliert viel. Typische Kennzeichen eines Ertappten. Doch das ist bei Karl Lauterbach, wie man mittlerweile weiß, die Grundhaltung. An diesem Abend bei Louis Klamroth in der ARD hat er nichts zu befürchten, und das weiß er auch. Karl Lauterbach ist für seine Verhältnisse tiefenentspannt. Zeitweise klappt er sogar in sich zusammen, wenn andere sprechen. Fast so wie in jener Sekundenschlafszene aus der Bundespressekonferenz, die zu einigen bereits legendären Windows-An-Windows-Aus-Memes verarbeitet wurde.

Nur knapp ein Jahr dauert es, dann ist das Ersparte meist weg. Dann wird der Pflegefall auch zum Sozialfall. Dies rechnet eine Altenpflegerin dem Minister vor. Und das muss sich, wenn es nach ihr geht, dringend ändern. „Danach bekommt man 135 Euro Taschengeld pro Monat“, sagt Silke Behrendt-Stannies. „Ich finde das unwürdig. Das ist eine Schande.“

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Karl Lauterbach stimmt ihr zu, selbstverständlich, und kommt kurz ins Dozieren. „Die Pflegeversicherung ist eine Teilkaskoversicherung“, sagt er „Ich persönlich hielte eine Vollkaskoversicherung für richtig.“ Ball abgewehrt, Griff zum Wasserglas. Dieser Abend wird entspannt.

Schauspielerin Katy Karrenbauer hat das Haus ihres Vaters verkauft und zahlt vom Erlös seinen Pflegeplatz. Nach gut vier Jahren ist von 240.000 Euro „nicht mal mehr ein Drittel übrig“. Lauterbach bleibt locker. Ersparnisse und das Erbe müssten nunmal herangezogen werden, sagt er. Sie habe doch eigentlich noch Glück im Unglück, dass überhaupt etwas da sei. Die Schauspielerin macht gute Miene zum bösen Spiel. Wasserglas, weiter geht’s.

Pflegeheimbetreiber Kai Kasri klagt, dass er die Beiträge für den Eigenanteil jetzt von 2.500 auf 3.200 Euro erhöhen muss. Inflation und höhere Tariflöhne seien der Grund. Auch das kann Lauterbach wegwischen. 700 Euro, das sei aber ungewöhnlich. In anderen Einrichtungen wäre es aber deutlich weniger. Der Duft vom Luxus-Pflegeheim wabert durch das Studio. Die Lage sei „sehr angespannt“, sagt Kasri noch, aber so richtig in die Mangel nimmt er den Minister nicht. Will er offenbar auch gar nicht. Der ganze Abend wirkt ausgetrocknet. Wasser. Bitte nachschenken.

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Nur Altenpflegerin Behrendt-Stannies ist gelegentlich etwas forsch. Zu Lauterbachs geplanter Pflegereform sagt sie: „Wir brauchen kein neues Gesetz, das das alte System nur weiter auslatscht. Wir brauchen eine Erneuerung der Pflegeversicherung. Wir brauchen ein System, in das alle einzahlen.“ Lauterbach stimmt zu. Jaja, es gebe „ein ungerechtes Verhältnis zwischen privater Pflegeversicherung und gesetzlicher“. Wenn der Minister spricht, beißt sich Behrendt-Stannies oft auf die Lippen oder schüttelt den Kopf.

Hinzu kommen Tränendrüsenmomente, die dem Abend zusätzlich eine gewisse Grundstimmung aus Milde und Mitgefühl geben. Der Angestellte Jochen Springborn etwa pflegt seine MS-kranke Gattin seit 20 Jahren daheim – neben seinem Beruf, den er im Homeoffice erledigt. Für den Mann ist die Pflege ein Vollhzeitjob. Jetzt soll er für weniger Leistung sogar noch mehr Eigenanteil berappen. „Es kommt keiner, der einen ablöst. Die Schicht ist nie zu Ende“, sagt er. 2015 ist er zusammengebrochen, weil sein Körper nicht mehr konnte.

Jetzt sitzt der Minister neben ihm; was er ihm denn sagen wolle, will Klamroth wissen. Lauterbach setzt sofort an, doch der Moderator bremst ihn. Nein, Springborn sei gemeint. Der hat zwei Anliegen: Zum einen gebe es keine Pflegeplätze für jüngere Menschen. Pflegeheime seien ausgerichtet auf Ältere und Demenzkranke. Und das größte Problem: „Pflege zu Hause geht nicht allein.“ Er sagt es zweimal. Nach dem Einspieler, der ihn daheim zeigt, ahnt der Zuschauer: Das alles wird er auch nicht ewig allein schaffen. Und Lauterbach? Zeigt Verständnis für die Situation, klagt an (wen eigentlich?), aber konkret wird er nicht. Klamroth hakt auch nicht nach. Der blasse Moderator wirkt an diesem Abend noch blutärmer als sonst ohnehin schon.

Verantwortung in der Corona-Krise
Sollbruchstelle Lauterbach
1.300 Euro durchschnittliche Rente und ein Eigenanteil von 2.000 Euro für die Pflege – das führt in die Armut, macht ein Einspieler klar. Dass aber Lauterbach unterdessen für seine überzogenen Corona-Maßnahmen Zig Milliarden Steuergeld zum Fenster hinausgeworfen hat und mit einer einrichtungsbezogenen „Impf”pflicht Pflegekräfte aus dem Job trieb, das stellt hier niemand zur Debatte.

„Es macht die Leute ängstlich und depressiv“, sagt Altenpflegerin Behrendt-Stannies. „Man geht ein Leben lang arbeiten und ist selbstbestimmt, auch finanziell und das ist plötzlich weg. Viele ziehen sich einfach zurück. Für die ist es etwas Schlimmes, zum Sozialamt gehen zu müssen. Vielleicht hätte man besser Herrn Lindner eingeladen.“

Nun sitzt aber Lauterbach da, und der nimmt alle Bälle volley: Die Lage könne „dazu führen, dass der Einzelne von Armut bedroht ist, das ist leider wahr“, sagt er, aber: „Was ist falsch dabei, nach einem Leben als Steuerzahler etwas von der Steuer als Zuschuss zurückzubekommen?“ Schließlich schlägt er allen Ernstes vor, das Geld könne ja auch die Kommune auszahlen. Dann müsse niemand zum Sozialamt. Problemlösung à la Lauterbach.

„Ich glaube, in der Pflege und auch in den Krankenhäusern haben wir die Ökonomisierung dramatisch übertrieben“, sagt der Minister, der genau diese einst so vehement forcierte. „Wir sind da zu weit gegangen.“ Seine 180-Grad-Kehre wird nicht demaskiert an diesem lauwarmen Abend. Lauterbach hat leichtes Spiel. Er kann sogar noch ein neues Corona-Märchen auftischen: Man habe in den Heimen die Covid-Sterbezahlen von 15 auf 3,5 Prozent reduziert“, behauptet er. Keiner weiß, wo er das her hat. Und keiner will es wissen. Mangels Obduktionen oder auch nur einfacher Datenerfassung wissen das Robert-Koch-Institut und das Paul-Ehrlich-Insitut bis heute nicht, wer an und wer mit Covid verstorben ist. Aber bei Hart aber Fair, da erfährt man es.