Tichys Einblick
Worte statt Werte

Houellebecq – Unterwerfung: Film und Diskussion bei Maischberger

Frau Gaus vertritt die nichtsahnende politische Klasse perfekt: „Da müssen wir Geld in die Hand nehmen für Integration, für Deutschunterricht für Migrantenkinder.“ Probleme pädagogisieren wir fort, weg und hin.

Screenprint: ARD/maischberger

Das fängt ja gut an mit dem Werbungeblock vor der Tagesschau vor der Fernsehverfilmung von Michel Houellebecqs  „Unterwerfung“ und vor einer sich anschließenden Maischberger-Diskussionsrunde: Hier bringt ausgerechnet eine Lidl-Werbung folgenden Opener: „Hol Dir die Lidl-Orient-Vielfalt!“

Treffsicherer kann man ja die Problemstellung kaum anmoderieren als mit „Vielfalt“ und „Orient“ in einem Wort. „Über 65 Orient-Artikel diese Woche in Deiner Filiale erhältlich“, vom ökologisch schwer bedenklichem in Plastik eingeschweißtem Fladenbrot Marke „1001 Delights“ hinüber zur klebrig süßen Sprite-Kopie „Uludağ“ für 0,59 Euro.

Nun dürfte es schwer fallen, in diesem Lidl-Angebot schon die Vorboten einer Unterwerfung zu verstehen. Aber auch Houellebecqs Unterwerfungsszenario kommt auf leisen Sohlen daher. Im Erscheinungsjahr 2015 ist schon alles über diese debattenstarke Islamisierungs-Dystopie erzählt worden. Die ARD zeigt die schleichende Eroberung Frankreichs drei Jahre später als Theaterverfilmung angelehnt an die erfolgreiche Hamburger Bühnenversion.

In der TV-Version ist das zweieinhalbstündige Einmannstück Ausgangspunkt einer Collage aus Bühne, Film und dokumentarischer Elemente rund um Hauptdarsteller Edgar Selge. Der ist zwar durchgehend über den Punkt, fast dauerhysterisch, aber doch genau so, wie man sich einen zutiefst verstörten Westeuropäer vorstellt, dem das Wasser bis zum Halse steht, der seine Wut über einen so schwer fassbaren Werteverlust nach innen gerichtet hat, also entweder Selbstmord begehen könnte, wenn er sich, seine Umwelt und alles andere bereit wäre, ernster zu nehmen – oder eben Unterwerfung.

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Und diese Unterwerfung sickert ein, so wie der Islam über Jahrzehnte nach Frankreich eingesickert ist. Und nun eben D-Day, die kritische Masse erreicht. Die Franzosen müssen sich entscheiden zwischen einer Regierungsbildung des Front National oder der einer gemäßigt erscheinenden islamischen Partei. Und weil niemand die Nazis will, bekommen eben die Muslime ihre Chance, die Kleinparteien unterstützen die Bruderschaft schon deshalb, um den Front National zu verhindern. Ja, es gibt ein paar Tote, dann aber zieht dieser sanfte grüne Vorhang über das Land. Die Intellektuellen Frankreichs bestärken sich bei Gänseleberpastete immer wieder des sanften Aspekts dieser gemäßigten Islamisierung, frei nach dem Motto: Es wird schon alles nicht so schlimm werden.

„Im Jahr 2022 wird in Frankreichs ein Muslim Nachfolger Emmanuel Macrons. Der Protagonist des Romans spielt „aus intellektuellem Überdruss und transzendentaler Leere ernsthaft mit dem Gedanken, zum Islam zu konvertieren“, schreibt die Welt. Und weil die Hauptfigur als Hochschullehrer an der Sorbonne arbeitete, die jetzt von Saudi Arabien finanziert wird, konvertiert er nach einer angemessenen Phase des Zögerns zum Islam, entscheidet sich für das dreifache Gehalt und die zwei blutjungen Ehefrauen quasi als Beigabe.

Edgar Selge ist so etwas, wie der „Birdman“. Auch er wird letztlich überwältigt von dieser unverhofften Macht der Ahnungslosigkeit gleich dem Helden in Iñárritus Hollywood-Meisterwerk. Und Selge macht das wunderbar. Diese Pathosferne, diese Leere und dieser ansatzweise Zynismus, der es nie richtig schafft, einer zu sein, den man fürchten lernen könnte, wenn er wäre, was er vorgibt zu sein. Ist er aber nicht. Alles ist gleich, egal, auswechselbar – irgendwo zwischen wertfrei und schon fast wertlos. Warum also nicht die Annehmlichkeiten ergreifen? Und auf diesen Kulturkampf zu verzichten, der doch nicht einmal das Potenzial hatte, je einer hätte werden zu können.

Oder vom Balkon springen, weil unserem Protagonisten die Menschheit schon längst völlig egal ist? Die Weinkrämpfe in einen letzten großen selbstzerstörerischen Akt umzuwandeln: in ein Fanal? Dafür müsste man aber wissen, welchem Verlust man hinterher weint. Unser tragischer Held weiß nicht, wessen er verlustig gegangen ist. Der Sinn des Lebens deutet sich ihm nur noch gelegentlich an, „um sich gleich wieder zu entziehen.“ Weil nun aber die Eliten gebraucht werden, bleiben Sie auch nach dem Systemwechsel begehrt, werden so lange umschmeichelt und umgarnt, bis sie am Ende umfallen. Den Auslöser geben ausgerechnet zwei kleine orientalischen Teigtaschen. Nicht von Lidl, sondern handgebacken von fünfzehnjährigen noch unberührten jungfräulichen potenziellen Erst- und Zweitfrauen.

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Der intellektuelle Europäer hier nicht als Baumeister oder Bewahrer eines Wertesystems, sondern als Konvertit auf dem Sprungturm, wenn nur der eigene Vorteil sichtbar bleibt: „Der Gipfel des menschlichen Glücks in der absoluten Unterwerfung“ ist schon dann keine furchterregende Vorstellung mehr für den von allen Werten entfremdeten Intellektuellen, wenn es für jeden nur ein paar Sexsklavinnen gibt, die sich ihrerseits dem intellektuellen Manne – und nur ihm – vollständig unterwerfen. Bleibt nur noch die „Selbstaufgabe“, sich vollständig als dominantes Männchen verstehen zu lernen. Da allerdings erweist sich unser Protagonist als lernfähig.

Die „Unterwerfung“ Frankreichs durch den Islam aus der komfortablen Perspektive der Eliten. Die Unterwerfung der Bevölkerung bleibt im Roman wie im Film außen vor. Wird hier ausgeblendet. Kein „Wir sind das Volk!“, keine patriotischen Aufstände, kein lästiger Zeit raubender Kampf der Kulturen. Die eine kommt, die andere geht, es tut kaum weh. Zumindest nicht denen, die sich arrangieren, weil sie noch gebraucht werden.  Was die Rezeption dieses Meisterwerkes übrigens bisher kaum beachtet hat: Unter „Islamisierung“ wurde bisher immer die Einwanderung von Menschen verstanden, die eine Religion mitbringen. Wie ist das eigentlich, wenn die fremde Religion von den Einheimischen angenommen wird? Was für Muslime werden das dann eigentlich? Könnte der europäische Islam von unterworfenen Europäern ein ganz anderer werden, als der orientalische? Wie stark ist die Furcht vor dem Islam eine Furcht vor dem fremden Menschen und in wie weit eine vor der religiösen Botschaft selbst?

„Die Islamdebatte: Wo endet die Toleranz?“

Maischberger übernimmt ansatzlos von Edgar Selge. „Eine schlaffe westliche Gesellschaft nimmt das einfach hin.“, eröffnet die Moderatorin. Das Thema: „Die Islamdebatte: Wo endet die Toleranz?“ Ihre Gäste sind Julia Klöckner, Bundesministerin. Sie fürchtet einen Rückschritt bei Frauenrechten wegen muslimischer Einwanderer. Die taz-Journalistin Bettina Gaus sagt, man könne über jede Religion und Weltanschauung so sprechen, dass man damit Angst und Schrecken erzeugt. Die Publizistin Necla Kelek warnt, der Islam sei eine Religion der Unterwerfung, in der Männer das Sagen haben und Frauen rechtlos sind. Haluk Yildiz, Gründer der Migrantenpartei „Big“ hält die Kritik an Muslimen für diskriminierend und populistisch. Für ihn herrscht im Islam Gleichberechtigung. Auch mit dabei der Spiegel-Journalist Jan Fleischhauer. Er glaubt nicht an eine schleichende Islamisierung Europas. Sieht die Angst der Leute eher in einer schwindenden Faszination für das Christentum begründet. Die wahrscheinlich merkwürdigste These der Diskutanten, mal sehen, wie Fleischhauer sie begründen wird.

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Haluk Yildiz sagt etwas Interessantes: Bis 9/11 hätte man Muslime als Gastarbeiter gesehen, erst danach hätte man auf einmal angefangen, sich mit ihrer Identität zu beschäftigen. Die Ethnisierung der Problematik schmecke den Muslimen nicht, sagt er. Necla Kelek hingegen ist erschüttert darüber, dass sich ehemalige zufriedene Gastarbeiter für einen Despoten wie Erdogan auf die Straße begeben.

Oder passen beide Ansichten am Ende doch irgendwie zusammen, weil nun mal eins das andere bedingt? Kelek jedenfalls hält für möglich, was sie gerade im Film gesehen hat, dafür müsste man sich nur Länder in Afrika vor fünfzig Jahren anschauen. Sie sagt, man könne die Menschen, die herkommen, nicht von ihren Herkunftsländern trennen.

Bettina Gaus ist „unverbrüchlich optimistisch, was geltende Gesetze angeht.“ Deshalb sei ihre Angst vor einer Islamisierung überschaubar. Ihre wäre es vollkommen egal, ob eine Muslima Bundeskanzlerin wird. Wie es mit einem Muslim aussieht, erfahren wir nicht. Jan Fleischhauer findet, ein Teil des Unbehagens gegenüber Muslimen in Deutschland sei, dass die noch an etwas glauben und Religion wirklich ernst nehmen. Unser Christentum wäre Greenpeace mit Kreuz.

Greenpeace mit Kreuz

Die Erregung über die Kreuzaufhängung von Söder zeige ihm, „wo die Religion, auf die wir uns verlassen“, stehen würde. Ehrlich, wer mit so einer These in eine Talkshow geht, der beweist Mut. Mutig ist Fleischhauer festzustellen, wir würden uns auf irgendeine Religion „verlassen“. Das muss er erklären. Was will Fleischhauer? Einen neuen Religionskrieg? Wie wenig vertraut er unserem modernen religionsfreien Wertesystem? Ist die religionsferne Moderne der westlichen Welt in der Gegnerschaft zum Islam automatisch unterlegen, also zur Unterwerfung geradezu verdammt?

„Es gibt einen vorauseilenden Gehorsam, den Muslime überhaupt nicht eingefordert haben.“, mahnt die Bundesministerin. Und dann streiten sich alle außer Fleischhauer eine Weile über die Frage von Schweinefleischverboten in Kitas.

Maischberger stellt die Frage nach der Rücksicht auf Minderheiten, die in unserer Kultur doch tief verankert wäre. Necla Kelek sieht hier, das die Muslime zu viel Raum fordern, keine andere Minderheit in Deutschland würde so offensiv agieren. Die deutschen Werte würden demgegenüber immer weniger akzeptiert werden, wenn man die Kinder den Koranschulen und Verbänden überlässt, die diese Werte zu wenig oder gar nicht vermitteln. Für Frau Gaus kann der Islam erst in Parallelgesellschaften seine negative Kraft entwickeln. „Da müssen wir Geld in die Hand nehmen für Integration, für Deutschunterricht für Migrantenkinder.“

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Julia Klöckner verwehrt sich gegen Erklärungsmuster von Haluk Yildiz, warum bestimmte männliche Muslime Frauen nicht die Hand schütteln. Dann folgen die üblichen Diskussionsschlingen, die sich immer weiter verheddern, wo offensichtlich ein lautes strenges Wort klärender wäre. Doch, der irgendwie dekadente Westen steht sich immer öfter selbst im Wege. Aber wie weniger wäre er Westen, wenn er in so einem Moment seine Toleranz einmal fallen lässt und intolerant agieren würde, um für den bösen Moment seine Werte zu schützen? Oder ist am Ende der Wertekanon des Westens auf seiner Flanke komplett offen? Eben das sind die Fragestellungen, die Michel Houellebecqs „Unterwerfung“ versucht zu beantworten. Die Runde hat in dem Moment vergessen, warum sie zusammen gekommen ist.

Jan Fleischhauer druckst dann ein bisschen herum, macht sich erst ganz klein, wie bei Mutti, wenn ein Extra Stückchen Schokolade mehr erbeten wird, um dann doch loszuschießen und Julia Klöckner zu fragen, wie es denn sein könne, dass die Union einerseits eine Million Fremde ins Land holt um dann erschrocken festzustellen: „Huch, da gibt es ja Probleme“. Julia Klöckner betont, dass Asylrecht hätte nichts mit Religion zu tun. Wirklich nicht? Klöckner macht es sich zu leicht. Das ist der Wechsel in die Grundsätzlichkeit. Grundsätzlich ermöglicht das Asylrecht dieses und jenes. Aber im Speziellen kommen so aktuell vornehmlich Hunderttausende Muslime nach Deutschland, auch junge Männer, die aus Ländern kommen, wo Frauen, die ihre Männer verlassen, ermordet werden. Müssen.

Katholiken und Muslime

Interessant wird es, als Julia Klöckner Haluk Yildiz kritisiert, weil sein Verein etwas gegen Schwule hätte: Aber es stellt sich heraus, dass er näher an der CSU dran ist, als es Klöckner vielleicht lieb sein kann, wenn er die sexuelle Früherziehung an Schulen anprangert, das Hantieren mit Plastikgeschlechtsteilen und den Genderwahn an Schulen kritisiert. In dieser Kritik nähern sich gläubige Katholiken und Muslime theoretisch schnell an. Diese religionsübergreifende Phalanx könnte in Zukunft noch in vielen Kitas und Grundschulen zu einer wirkmächtigen Stimme werden. In Houellebecqs  „Unterwerfung“ war es auch die kleine katholische Partei, die den Ausschlag für die demokratisch legitimierte Machtübernahme der Muslime gab.

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Wäre das Sofa bei Maischberger die Besetzungscouch für  „Unterwerfung“, dann würde die Regisseurin in dieser Runde fündig werden: Als Gegenüber des überzeugten Haluk Yildiz erkennt man in Jan Fleischhauer vielleicht besonders gut die Unernsthaftigkeit der Hauptfigur Francois in „Unterwerfung“. Der Intellektuelle, der auf Knopfdruck prinzipiell alles denken kann, wenn er denn muss. Der wohl die Beschäftigung mit der Beschneidung weiblicher Geschlechtsorgane aus Selbstschutz aus seiner kultivierten Denkfähigkeit ausblenden muss, um so jede all zu kritische Erschütterung zu vermeiden.

Hinzu kommt eine materielle Komfortzone als Kirchenersatz. Eingebettet in die Wohlfühlzuckerwatte aus der Edelfressgasse. Hier können Werte zwar exzellent benannt werden. Wenn es aber darum geht, sie zu verteidigen, wird die Luft schnell dünn. Welche aber sind die Werte der Intellektuellen im Format eines Jan Fleischhauers? Vielleicht das Recht, wenn es eng wird, keine Werte haben zu müssen? Gepaart mit der Neugierde, morgen bei Lidl ein Six-Pack Uludağ abzuholen und eines dieser Fladenbrote, weil die so provokant umweltfreundlich verpackt sind?

Ja schon, diese auffällige Gleichgültigkeit, dieser Schuss Dekadenz, dieses dandyhafte, das kann ja alles liebenswert sein. Spleenig. Aber wenn es wirklich ernst wird, wenn es darum geht, sich zu verteidigen oder zu unterwerfen, dann befinden wir uns jenseits von Eden. Oder eben neben zwei glutäugigen fünfzehnjährigen verschleierten Jungfrauen – hingeschenkt als Trostpflaster der männlichen Eliten.