Tichys Einblick
Jörg Meuthen überrascht

hart aber fair: Plasberg mit pluraler Runde

Plasberg setzt tatsächlich eine Runde zusammen mit der Opposition an beiden Seiten. Ausnahme oder Strategiewechsel in Talk Shows?

Screenprint: ARD/hart aber fair

Nun ist es passiert: Frank Plasberg, ausgerechnet jener Plasberg, der wegen seines »Vogelschisses« ein dauerhaftes Einladungsverbot für Alexander Gauland für hart aber fair formulierte, moderierte in seiner Sendung den Thüringer AfD-Spitzenpolitiker Björn Höcke zwar mit dem schon Talkshow-üblichen Höcke-Einspieler an, ließ aber den Rechtsaußen der AfD dieses Mal kein kontaminiertes Zeugs reden, sondern verkünden, dass Eltern pro Kind um 200 Euro Rente extra bekommen sollen, was bedeutet, dass Eltern mit vier Kindern monatlich fast eintausend Euro mehr auf dem Konto hätten.

Nun steht in den Sternen, ob so etwas überhaupt jemals passieren könnte, aber das fiktive Angebot dürfte gesessen haben. Insbesondere bei jenen, die um ein vernünftiges Auskommen im Alter bangen. Rentenfüllhorn: Ist das die Alternative der Alternative zum Thema Zuwanderungskritik?

Dazu wird Sahra Wagenknecht ein paar Takte erzählen, denn die war auch eingeladen bei Plasberg und natürlich besonders interessiert daran, dass niemand der Partei Die Linke die Sozialbutter vom Brot nimmt, schon gar nicht die AfD. Nun hat Wagenknecht selbst vor nicht allzu langer Zeit in Sachen Zuwanderung bei der AfD gewildert, kommt nun die Retourkutsche ausgerechnet aus Thüringen?

„Straftat, ‚Flüchtling’, Abschiebung“
Hart aber fair, aber nicht zu sehr
Aber der Reihe nach: Wir erinnern uns noch an letzte Woche, als sich hart aber fair zwar thematisch gegen den Strom der anderen drei öffentlich-rechtlichen Talkformate nach vorne wagte und wieder ein Zuwanderungsthema („Warum müssen gut Integrierte gehen, während Straftäter oft bleiben dürfen?“) verhandelte, aber was die Gästeauswahl anging, auf dem Sprung nach vorne leider verhungerte. Letzte Woche fragten wir Plasberg deshalb am selben Ort:

„Warum darf der Oppositionsführer hier eigentlich nicht teilnehmen? Warum sitzt beispielsweise ein Herr Meuthen nicht bei Ihnen in der Runde? Wollen, können oder dürfen sie nicht? Beantworten sie uns das bitte gerne per Email oder rufen sie einfach an.“

Nun sind wir hier bei TE viel Aufmerksamkeit gewöhnt. Und wir danken unseren Leser gerne dafür. Fast erschrocken sind wir jetzt allerdings, wie umgehend Frank Plasberg nun dem TE-Wunsch nachkam und gleich links von ihm eben jenen Jörg Meuthen platzierte, um die Frage zu besprechen, in welchem Zustand sich die Regierung befindet und was das alles mit Herrn Maaßen zu tun hat: „Ein Jahr nach der Wahl: Verstehen die Bürger diese Regierung noch?“

Meuthen weiß offensichtlich um die Gunst der Stunde und liefert auf erstaunliche Weise, wenn er der verdutzten Runde erklärt, dass es unseriös wäre, die Probleme des Landes allein auf die Migration zu schieben. Für Meuthen ist klar: „Wir haben sozialpolitisch massive Probleme, die freilich durch die Migrationsproblematik noch verschärft werden. Aber sie können den Migranten dafür nicht die Schuld geben.“

Auweia. Ja ist denn auf niemand mehr Verlass in diesen unverlässlichen Zeiten?

Plasberg setzt sogar noch einen drauf und moderiert freundlich über die Referenzen von Meuthen: „Sie sind ja nicht nur Parteisprecher der AfD, sondern auch Professor für Volkswirtschaftslehre.“ Nun gut, er hätte auch daran erinnern können, dass dieser Meuthen auch Teilnehmer des rechten Flügels der AfD war, als es darum ging, auf dem Kyffhäuser rund um das Enfant Terrible der Partei, rund um Björn Höcke, ein paar düstere Traditionsraketen in den deutschen Himmel aufsteigen zu lassen – wollte Plasberg aber nicht.

Darüber gerät auch der ebenfalls eingeladene Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte ins Schwimmen, der zum Ende hin zwar bemängelt, dass es ständig Krimis und „apokalyptische Talkshows“ im Fernsehen gäbe, letzteres aber gerade nicht erlebt haben kann, auch wenn er die Entscheidung darüber den Zuschauern überlassen will.

Lächerlich
Merkel entschuldigt sich?
Als Überraschungsbonbon in dieser Runde darf übrigens Michael Müller gelten, der war ursprünglich gar nicht eingeplant, sprang aber für eine erkrankte Bundesministerin ein. Was für ein Glück, den Mann da gehabt zu haben, kann man Plasberg ins Gästebuch schreiben. Aus der Sicht von Müller allerdings leider überhaupt keine gute Idee. Aber dann saß er eben da, redete und konnte anschließend nicht mehr ungeschehen machen, was er da tatsächlich als amtierender Herr über das Hauptstadt-Chaos für einen Spreebogen-Seemansgarn zu spinnen bereit war.

Anlass war ein Einspieler. Da wird ein freundlicher weißhaariger Berliner mit dem schönen Namen Franz Ferdinand Marx interviewt und der sagt in die Kamera zum Zuwanderungsproblem: „Früher haben wir sie ja immer gerne aufgenommen, weil sie zu uns zum Arbeiten gekommen sind. Aber heute kommen eben auch sehr, sehr viele, um unsere Sozialsysteme – um sich da ins gemachte Netz zu legen und Sachen in Anspruch (zu) nehmen, wo unsere deutsche Bevölkerung für einbezahlt hat.“

Und dann ist der Einspieler vorbei und OB Müller dran, weil Plasberg natürlich will, dass sich Müller dazu äußert. Schnell wird der Sozialdemokrat schmallippig, als ihn Plasberg fragt, wie oft ihm so ein Standpunkt denn in seiner Stadt begegnen würde:

„Relativ selten tatsächlich in Berlin muss ich sagen. Das Thema Integration und Flüchtlinge spielt eine große Rolle, aber wir haben in Berlin zumindest eine Atmosphäre, wo viele auch ganz selbstverständlich sagen: Wir wollen helfen und wir werden auch weiter helfen.“ Wie kommen solche Aussagen eigentlich zustande, fragt man sich sofort? Was wird der stinknormale Berliner denken, der gerade zuschaut, wenn ihr Regierender Bürgermeister die Stadtbevölkerung politisch auf diese Weise zu verhaften versucht und ein Bild einer Stadt malt, die so nicht existiert?

Maßlos
Menschenjagd in Berlin Mitte
Wohl mit ziemlicher Sicherheit daran, dass der Regierende sich in diesem heute straßenzugsweise verrotteten Berlin selbst nicht mehr unters Volk traut. Anders  ist so eine Realitätsverweigerung nicht zu erklären. Und der Beweis folgt auf wundersame Weise direkt auf dem Fuße, als Plasberg dann zu Ingo Zamperoni umschaltet, den Tagesthemen-Mann nach dem Themen der Sendung fragt und Zamperoni erzählt: „Wir schauen auch auf neue Strategien im Kampf gegen kriminelle Großfamilienbanden, die der Berliner Innenausschuss heute vorgestellt hat.“

Plasberg begreift die wunderbare Steilvorlage natürlich sofort, dreht sich zu Müller um und grinst dann in die Kamera: „Schon wieder Berlin!“ Und an der Stelle muss man dem Moderator wirklich einmal gratulieren zu einer rundum gelungenen Sendung. So wie an diesem Montagabend im Herbst 2018 ist Talkshow beste Unterhaltung – allen Unkenrufen zum Trotz. Aber die Unkenrufe werden wahrscheinlich gerade deshalb danach um so lauter werden, wenn sich ein öffentlich-rechtliches Format einmal weigert, nur Verkündungsorgan von Bundespolitik zu sein bzw. der per Zwangsgebühren verlängerte Arm und als Herold Sprachrohr der Kanzlerinnendemokratie, und es dann in den Talkshows weiter geht wie bisher.

Nun dürfen wir am Ende Stephan Mayer (CSU) nicht vergessen. Der parlamentarische Staatssekretär in Horst Seehofers Innenministerium gehört sicher aktuell zu den intelligentesten Köpfen im Hintergrund der Bundesregierung. Nun ist Mayer auch nur ein Mensch. Aber neben OB Müller platziert, hat er alle Chancen, noch einmal mehr zu glänzen. Die beiden Herren illustrieren die Distanz zwischen den Koalitionspartnern SPD und Union schon aus sich heraus.

Besonders dann übrigens, wenn einer wie Müller ausreden darf. Niemand unterbricht und das Kopf-und-Kragen-Schicksal nimmt seinen Lauf. Schöner Kalauer, als Plasberg Stephan Mayer anschließend fragt, ob der das alles unterschreiben könne, was der Partner der großen Koalition da gerade gesagt hat und was wir Ihnen hier ersparen wollen. Mayer jedenfalls muss grinsen und stellt erst einmal an einem Detail klar, dass es die CSU war „und nicht die SPD“, die sich beispielsweise für die Verbesserung der Mütterrente eingesetzt hätte.

Bleiben noch Sahra Wagenknecht und Karl-Rudolf Korte. Nun gibt es über die „Aufstehen“-Erfinderin und den Politikwissenschaftler an diesem Abend bei Plasberg nicht viel Aufregendes zu sagen. Korte gelang es immer mal wieder, eine Art Meta-Ebene einzubauen, irgendetwas Generelles aus wissenschaftlicher Perspektive zu behaupten. Aber braucht es das in so einer gelungenen Talkshow wirklich noch, wenn nicht als Bremser oder beruhigendes Element in einer zu großen Aufregung?

Ausgeraubtes Land
Einer Lüge folgen viele Lügen
Beunruhigend war an diesem Abend allenfalls die Ruhe und Gelassenheit, mit der hier die unterschiedlichen Standpunkte intelligent ausgefochten wurden in Anwesenheit eines Vertreters des Oppositionsführers im deutschen Bundestag, der, ob man mag oder nicht, nun einmal unerlässlich ist für solche politischen Debatten. Man stelle sich nur zu früheren Regierungszeiten der Unionsparteien eine solche Sendung ohne Teilnahme der SPD als Oppositionspartei vor.

Schnell noch zu Sahra Wagenknecht. Diese Frau bleibt rätselhaft. Ihre neue außerparlamentarische Bewegung ist fulminant mit über einhunderttausend Freunden gestartet. Aber was bedeutet das eigentlich? Mitgliederbeiträge, wie sonst in Parteien üblich, werden keine erhoben, nein es gibt nicht einmal eine Konkurrenz zu den Parteien, wenn beides möglich ist: Bewegung und Partei. Aber wo es keine Hürde gibt, wo eine Entscheidung für etwas streng genommen nicht mehr sein muss als ein Klick im Internet, da bleibt die Gewichtung einer solchen Entscheidung schwer einzuordnen. Wird Wagenknecht, wenn es ihr darauf ankommt, diese Massen mobilisieren und auf die Straßen bringen können? Aber wenn es gelingen sollte, wofür bzw. wogegen eigentlich?