Tichys Einblick
Der Urlaubstalk empfiehlt: Wandern reicht

Hart aber Fair ist reif für die Insel: „Sperrt endlich das ganze Land ab, verdammt nochmal“

Bei Hart aber Fair wird die Badehose eingepackt. Doch schnell kommt die Moralkeule. Eine Mutter mit drei Kindern, die einfach mal raus möchte? Unsolidarisch!

Screenshot ARD: Hart aber Fair

Vergangene Woche hatte Frank Plasberg frei, „Hart aber Fair“ fand nicht statt. Das hat die Redaktion wohl bei der Themenauswahl inspiriert: Am Montagabend soll es um Reisen und Urlaub gehen. Dass es sehr coronaleugnerverdächtig ist, über so etwas überhaupt zu diskutieren, fällt der Redaktion wohl auch auf. Daher leistet man fleißig Abbitte. „Sind die verrückt, die wollen über Urlaub reden“, eröffnet Plasberg. Dennoch: Die Aussicht auf Urlaub macht Hoffnung, meint der Moderator. Doch bei soviel Träumerei von Sonne und Strand verläuft die Diskussion relativ schnell im Sand.

Das geht schon bei der Technik los. Coronakonform hat man zwei Gäste per Video zugeschaltet: Den bremischen Bürgermeister Andreas Bovenschulte und Bergsteigerlegende Reinhold Messner. Letzterer kann zwar im Alleingang den Mount Everest bezwingen, wird an diesem Abend aber von der Technik besiegt werden – die Verbindung zum ARD-Studio in Bozen bricht zu Beginn der Sendung ab, sodass bald der Bildschirm mit dem eingefrorenen Bild Messners aus dem Studio getragen werden muss. So bleiben fünf weitere Gäste übrig, mit denen dann die Diskussion veranstaltet wird.

Corona-Update 22.02.2021
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Andrea Zschocher kommt zu Wort. Sie, Mutter von drei Kindern, ist seit Monaten mit der gesamten Familie auf 80 Quadratmetern eingesperrt – da kommen die Wände schon sehr nahe, meint sie. „Mal rauskommen“ wäre da eine dringende Abwechslung. Für genau diese Position wurde sie im Voraus jedoch hart aus dem Netz beschimpft – von Lockdownjüngern, die ihr aufgrund ihrer Reiselust quasi schon die alleinige Schuld für den nächsten Infektionsanstieg zuschieben wollten. Frei nach dem Motto: Wer bei „Welle“ an Meer statt an Corona denkt, handelt grob unsolidarisch.

Etwas mehr Solidarität würde sich auch Norbert Fiebig wünschen – und zwar für seine Branche. Er ist Präsident des deutschen Reiseverbandes und aufgebracht, wenn Politiker wie der Sachsen-MP Michael Kretschmer den Menschen bereits Wochen vorher den Osterurlaub absagen, ohne die Entwicklung des Infektionsgeschehens abzuwarten. Bürgermeister Bovenschulte nimmt seinen Kollegen daraufhin in Schutz, sagt aber auch, man müsse konkret kurz vor den Ferien entscheiden. Er ist zwar der einzige Vertreter der Politik, zieht sich jedoch komplett aus der Verantwortung – ganz nach dem Kretschmer-Kredo, dass die Politik gegenüber dem Virus nicht zu entscheiden habe.

Monoton sprechend erklärt er mit einem Allgemeinsatz nach dem anderen, warum er nichts erklären kann. Als Andrea Zschocher ihn auf die Schulöffnungen im Zwei-Städte-Staat anspricht, sagt Bovenschulte freimütig: „Möglicherweise – die Schule ist ein Ort wie jeder andere- kommt es da auch zu ‘ner Infektion, aber das ist ja in allen anderen Lebensbereichen auch so.“ Eine solch ruhige Haltung würde man sich auch in anderen Bereichen wünschen – wenn Hygienekonzepte in den Schulen den Bürgermeister zu solcher Tiefenentspannung verleiten, freut man sich als Bremer ja auf die ganzen schönen Restaurants, Bars und Kneipen, die hier bald wieder öffnen dürften.

Warum das eine problemlos geht, das andere aber gefährlicher Infektionstreiber ist, kann keiner so genau erklären, aber es ist eben so. Selbst auf Kreuzfahrtschiffen, die schon vor der Pandemie bei Kritikern als Petrischalen verschrien waren, hat man mittlerweile verlässliche und nachweislich sichere Hygienekonzepte entwickelt. Warum man auf Kreuzfahrt gehen dürfen sollte, wenn der Zoo-Besuch noch nicht geht, fragt Plasberg in diesem Zusammenhang. „Wenn jemand ein überzeugendes Hygienekonzept liefern kann, dann sollte er die Möglichkeit haben, sein Geschäft und sein Produkt entsprechend anzubieten“, entgegnet der Tourismusvertreter.

Urlaub nur für die Impfelite? 

Doch Plasberg kann es nicht lassen – unmöglich, dass ausgerechnet Kreuzfahrer effektive Hygienemaßnahmen realisieren. Ob man bei Landgängen dann eine Polizeikohorte um die Reisegruppe bildet, spöttelt der Moderator. Auch die Leipziger Virologin Dr. Corinna Pietsch, die in dieser Runde die im ÖRR unabdingbare dauermahnende Stimme „der Wissenschaft“ darstellt, geht zum Angriff über. „Sie wissen doch gar nicht, wieviele [Fälle auf dem Kreuzfahrtschiff] nicht entdeckt wurden!“, wirft sie ein. Da es immer noch ein Minimum an Kontakten zur Außenwelt gäbe, sei auch dieses gute Hygienekonzept nichts wert, scheint der Ton zu sein, der jetzt angeschlagen werden soll. „Hören wir doch mal auf, das zu strapazieren und zu problematisieren“, entgegnet ein genervter Fiebig – nach einem Jahr Lockdown müsse man jede Möglichkeit nutzen, um so viel Leben wie möglich zu ermöglichen, anstatt jede Chance direkt kaputtzuquatschen.

Der Urlaubstalk empfiehlt: Wandern reicht
Auch Andreas Bovenschulte muss einräumen: „Wirtschaft und Gesellschaft halten es auf Dauer nicht weiter aus, wenn wir gar keine Schritte gehen können“. Dass dieser Mann in der Ministerpräsidentenkonferenz sitzt, gibt da ja fast sowas wie Hoffnung – mal sehen, ob er seine gestrigen Einsichten auch im Kanzleramt vorträgt.

Mehrere Reiseveranstalter gaben zuletzt bekannt, geimpfte Personen Urlaub machen lassen zu wollen, das wird bei Hart aber Fair natürlich aufgegriffen, die Diskussion dann aber ziemlich schnell vertagt. In Deutschland ist der Gedanke ohnehin etwas skurril: Geimpfte 85-Jährige machen dann Kreuzfahrt, während der Rest der Bevölkerung auf seinen Impftermin wartet, um die Risikogruppen auf Kreuzfahrt zu schützen.

Die Front der Lockdownbefürworter bricht dieses mal aus den Zuschauerzuschriften über die Sendung herein. Einige Musterbürger haben anscheinend gar kein Verständnis für Urlaubswünsche: „Es kann doch wirklich nicht so schwer sein“, meint ein Kommentator im Gästebuch der Sendung, mal ein Jahr nicht in den Urlaub zu fahren. Was mich nicht kratzt, hat die anderen gefälligst auch nicht zu stören, scheint das Motto zu sein. Ein anderer Zuschauer macht eine ganz klare Ansage.

„Wahnsinn!“, beginnt er seinen Kommentar durchaus treffend: „Sperrt endlich das ganze Land ab, verdammt nochmal. Ein- und Ausreiseverbote und der Komplett-Lockdown sind jetzt zwingend.“ Fast scheint es so, als ob die Kanzlerin am Montagabend auch „Hart aber Fair“ guckt. Zum Schluss entbrennt noch eine Diskussion darüber, wie man Kinder zum Wandern überredet. Denn anstatt wegzufahren, sollte man doch seine eigene Umgebung erkunden. Brilliant: Bei der Aussicht „Wanderurlaub“ wird kein junger Mensch mehr in den Urlaub fahren wollen und das Tourismus-Problem löst sich ganz von selbst. Da soll mal einer sagen, ÖRR-Talk führe zu nichts.

Und gar nicht debattiert wird, dass die Mittelgebirge ebenso wie die Düsseldorfer Rheinpromenade gesperrt wird. Zu viele Menschen, das erträgt kein Corona-Rechthaber. Also fallen wohl auch Wanderungen und Baggerseen aus…

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