Tichys Einblick
"Entfesselung" nach 16 Jahren Merkel

Bei Hart aber Fair: Die CDU inszeniert sich als Opposition gegen sich selbst

Nur Jörg Meuthen bringt ein wenig Stimmung in die Runde am Montagabend - ansonsten belässt man es bei allgemeinem Blabla. Doch Plasberg fragt diesmal kritisch nach und landet einige Treffer.

Screenshot ARD: Hart aber Fair

„Schulden, Sparen oder Steuern hoch: Wer redet im Wahlkampf ehrlich übers Geld?“, lautete die Frage bei „Hart aber fair“ am Montagabend. Frank Plasbergs Einstieg in die Sendung ist etwas irreführend – natürlich wird kaum ein Gast ehrlich über Geld reden. Denn es ist Wahlkampf – wer redet da schon gerne ehrlich über die Staatsfinanzen? So wird eine hochkarätige Runde mal wieder im seichten Wasser herumplanschen: CDU-MdB Carsten Linnemann, der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne), SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil und Cerstin Gammelin aus dem Hauptstadtbüro der „Süddeutschen Zeitung“ sind glücklich damit, es bei formlosen Phrasen über Soli, Reichensteuern und „Entfesselungen“ zu belassen. Gähn hoch 10 – ehrlich machen will sich keiner. Wer diese gut besetzte und schlecht funktionierende Runde noch aufmischt: Jörg Meuthen, Bundessprecher der AfD. Es ist das erste Mal seit langem, dass ein Politiker der größten Oppositionspartei bei „Hart aber Fair“ sitzt.

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Schnell werden die Fronten beim Thema Finanzpolitik auch klar: CDU und AfD sind auf der Ent-, Grüne und SPD auf der Belastungsseite. „Wir wollen den Hunger des Staates nach immer mehr Steuereinnahmen begrenzen“, erklärt Carsten Linnemann. Der gibt sich engagiert, nennt sich selbstbewusst einen „Machertypen“ und spricht von „Entfesselung“ der Wirtschaft. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, hier spreche ein Oppositionsführer. Plasbergs Frage, wer denn die Wirtschaft die letzten 16 Jahre gefesselt habe, weicht Linnemann aus.

Linnemann Erzählungen gefallen auch Lars Klingbeil überhaupt nicht. „Wenn ein Christdemokrat etwas von Entfesselung der Wirtschaft sagt, dann muss man Angst haben um Arbeitnehmerrechte und Arbeitsschutz“, stänkert er. Die von der Union geplante Soli-Abschaffung lehnt er ab – damit würden 30 Milliarden fehlen, die der Staat dringend brauche. Meuthen und Linnemann weisen auf das Versprechen hin, dass der Soli mit Ende des „Aufbau Ost“ auslaufen würde – doch das interessiert den Sozialdemokraten gar nicht, der den Soli als Reichensteuer durch die Hintertür beibehalten will. Meuthen kritisiert hierbei, dass Spitzenverdiener generell schon stark belastet werden und konstatiert: „Man sollte die Kuh, die man melken will, nicht schlachten oder vom Hof treiben.“ Meuthen plädiert für Steuersenkungen – insbesondere die Senkung der Mehrwertsteuer. Das bringe für die „kleinen Leute“ eine „besondere Entlastung“. Gegenfinanzieren könne man das beispielsweise durch das Streichen unnötiger Subventionen, meint der AfD-Chef.

„Milchbubirechnung“

Dann grätscht der Grüne Al-Wazir in die Diskussion. Er wirft Meuthen eine „Milchbubirechnung“ vor. Die Subventionen, die Meuthen beklage, seien EU-Gelder. „Die gäbe es bei Ihnen ja gar nicht mehr, denn Sie wollen ja aus der EU austreten“, giftet der Wirtschaftsminister. „Ihr habt schlicht keine Ahnung von Finanzen“, keilt Meuthen zurück, „Wer finanziert denn die EU? Der deutsche Steuerzahler!“ Doch zu Al-Wazir kann Meuthen nicht durchdringen. Der fordert stattdessen, dass die Politik sich in ihrer Unehrlichkeit ehrlich mache – und den Leuten erzähle, dass der Soli eben doch bleibe. Versprechen hin oder her: Auf das Geld könne man schließlich nicht verzichten. Reagieren müsse man ja erst, wenn sich das Bundesverfassungsgericht dagegen ausspreche. Linnemann mokiert sich, dass Karlsruhe nicht der Reperaturbetrieb der deutschen Politik sein könne. Dass die Grünen aber Verfassungsbruch mit Ansage begehen wollen, spricht Bände über das Rechtsstaatsverständnis der Partei.

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Die ohnehin wabernde Diskussion verschiebt sich zum Schluss zu einer Geschichte aus Baden-Württemberg, wo die Grüne Landesregierung ein anonymes Meldeportal gegen Steuersünder aufgebaut hat. Genauer gesagt: Der grüne Finanzminister Danyal Bayaz hat die Anzeigen zu Steuerhinterziehung digitalisiert. Nun können Bürgerinnen und Bürger anonym im Netz anzeigen, wenn sie den Verdacht loswerden wollen, dass ein Nachbar, Bekannter oder ihr Arbeitgeber Steuern hinterzieht. Dabei gehe es um „Steuergerechtigkeit“, verteidigt Al-Wazir die Idee seiner Parteifreunde. Jörg Meuthen hingegen teilt mal wieder gegen Al-Wazir aus, der zu seinem Lieblingsgegner in der Runde avanciert: „Blockwart-Mentalität“ sei das, was die Grünen im Ländle aufbauen. Man könne „sich jetzt gegenseitig denunzieren. Ich kann meinen Nachbarn nicht leiden oder bin ein fieser Typ, dann melde ich den mal beim Finanzamt.“ Meuthen regt sich auf: „Wir werden zu einem wirklichen Schnüffelstaat“. Genau das sei „der tiefe Geist der Unfreiheit“, der den Grünen innewohne. „Wir werden zu einem Aushorchstaat, zu einem Schnüffelstaat, zu einem Umerziehungsstaat: das ist genau die Nummer, die Sie da machen.“

Plasberg versucht, Meuthen auszubremsen. Die AfD selbst schalte doch anonyme Online-Portale, wenn es um die politische Einflussnahme von Lehrern ginge. Solche anonymen Portale halte er grundsätzlich für falsch, meint Meuthen. „Ich bin grundsätzlich der Meinung, wenn man etwas anprangert, wenn man einen Missstand beklagt, dann muss man – ich sage das mal sehr salopp – den Arsch in der Hose haben, es offen zu machen.“ Plasberg bleibt gegen Meuthen hart – allerdings auch gegen seine anderen Gäste. der Moderator ist an diesem Abend bissig – wohl weil er merkt, dass seine Sendung eher ein Schlagabtausch mit Poolnudeln im seichten Nichtschwimmerbecken ist.

Die Eingangsfrage bleibt rhetorisch: Ehrlich reden will kaum einer, schon gar nicht vor der Wahl. Zwischen den immer gleichen Satzbausteinen und auswendiggelernten Polit-Aufsetzen über „Steuergerechtigkeit“ oder „Entfesselungen“ geht eine Runde unter, die mehr Potenzial gehabt hätte.

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