Tichys Einblick
Langhans' Suche

Hart aber Fair: Der Kampf der 68er um sich

Zum Ende stellt Jan Fleischhauer die Methodiken von Pegida und der Neuen Rechten als Erben der 68er dar. Und Rainer Langhans findet die revolutionäre Energie auch bei Konservativen besser als nur das Bewahrende.

Screenshot ARD

Kurz ein paar Worte zu Rainer Langhans. Der 77jährige ist Gast bei Plasbergs Hart aber Fair. Anlass für die Einladung ist seine Rolle als einflussreicher Protagonist – heute würde man Influencer sagen – der 68er Studentenbewegung. Langhans polarisiert bis heute. Aber er liefert auch seit Jahrzehnten beständig ab. Er stellt sich immer, wenn Gesprächsbedarf besteht. Langhans spricht dann über die Piratenpartei, mit der er eine Weile sympathisiert hat. Über die Chancen der Digitalisierung. Langhans scheut sich nicht einmal, ins Dschungelcamp zu gehen und er nimmt an seichten Promi-Dinner-Sendungen teil, wo er ganz in weiß mitten in seiner schneeweißen Münchner Einzimmerwohnung mit grün-veganen Speisen auf blütenweißem Bettlaken punkten kann.

Eine bittere Systemkritik
Die 68er & Erben sind an der Macht - und gescheitert
Existentieller wird es, wenn Langhans als über Siebzigjähriger mit einer seiner Gefährtinnen, der schwer an Krebs erkrankten Jutta Winkelmann, quer durch Indien reist auf der Suche nach ein paar letzten finalen Antworten auf die vielen Fragen, die auch nach über siebzig Jahren Beschäftigung mit dem Sinn des Lebens noch übrig geblieben sein mögen. Entstanden ist dabei ein großartiges filmisches Requiem. Eine der anrührendsten Dokumentationen, die dieses populäre Genre zu bieten hat. Jutta Winkelmann verstarb Anfang 2017. Zu Lebzeiten galt auch sie als Ikone der 68er Bewegung. Ein Wildblumenkind mit Zwillingsschwester gleich im Doppelpack, geschätzt und gemocht auch von konservativen Publizisten.

Auf seinem Blog schreibt Langhans: „Glücklicher waren Menschen, die ihren Geist entwickeln konnten. Wirklich glücklich war der vergeistigte Mensch. Dahin streben wir – von allem Anfang an.“ Der eine oder andere TE-Leser mag das sicher doof finden. Der Begriff „Gammler“ war in den 1960er und 70er Jahren durchaus gängig für Menschen mit dieser Geisteshaltung. Aber warum nicht heute positiver auf den so lange schon Suchenden schauen, der ja quasi stellvertretend für uns auf der Suche ist, wenn er lebenslang bereit ist, darüber zu berichten.

Versöhnlich könnte man sagen: So lange sich eine Gesellschaft solche bedürfnislosen Diogenes-Adepten leisten will, kann es nicht so schlecht um uns bestellt sein. Die Alternative sind Vordenker wie Richard David Precht. Die Entscheidung, mit wem man lieber ein paar Takte sprechen möchte, kann so schwer nicht sein. Ein befreundeter Journalist des Autors hier traf sich einmal im Sommer in einem Münchner Park mit Langhans. Und er berichtete anschließend, man habe stundenlang nackt in der Sonne gelegen. Schön soll das gewesen sein. Später schrieb der Journalist ein Buch, in dem dieser Satz vorkam: „Rainer Langhans war der Körper der sexuellen Revolution.“

The Body of Revolution also bei Plasberg. Mit dabei auch der Spiegel-Journalist Jan Fleischhauer. Der Autor des Bestsellers „Unter Linken“ – ein Werk der Entzauberungen, der Zerstörung von linken Legenden und Halbwahrheiten – hatte gerade in einem weiteren Buch sein spätes irgendwie dann doch linkes Coming-out, als er mit über Fünfzig doch noch das Private politisch machte, um stellvertretend aus dem Jammertal des verlassenen Ehemannes zu berichten. Lag er auch schon nackt mit Langhans im Park und schaute lächelnd den jungen Dingern hinterher? Man kann oder will es sich kaum vorstellen.

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Ebenfalls mit dabei ist Dorothee Bär, die ist seit ihrem 14. Lebensjahr CSU Parteimitglied. Aber in Bamberg von 1992 fiel man damit sicher kaum auf, die Junge Union in Berlin oder Hamburg hatte es da deutlich schwerer. In einem konservativ geprägten Umfeld kann es keine konservative Revolution geben. Für den revolutionären Part ist die Feministin Stefanie Lohaus eingeladen. Mit dabei auch der charmante Klaus Wowereit ebenso wie die Schauspielerin Michaela May – ihre Schauspielkarriere begann sie mit der Rolle der „Klara Sesemann“ in der „Heidi“-Verfilmung von 1965.

Das Thema der Sendung lautet in Abwandlung einer der Kernparolen der Studentenbewegung: „Unter grauen Haaren der Muff von 50 Jahren – Streit ums Erbe der 68er.“ Plasberg war damals elf Jahre alt, erinnert er sich an die schwarz-weiß Nachrichtenbilder aus Berlin zwischen „Flipper“ und „Professor Haber experimentiert“? Nein, Plasberg möchte offensichtlich mal mit Vollgas starten mit der Frage: „Braucht das Land jetzt eine konservative Revolution, wie es CSU-Politiker fordern? Oder kann man stolz sein auf 1968, das so viel verändert hat?“

Natürlich muss Langhans als erster. Und der markiert sein Terrain gleich literweise aus dem Füllhorn der persönlichen Erinnerungen: „Diese Erfahrung war einfach unglaublich. Jenseits all dessen, was wir kannten. Und es fühlte sich so gut an, wie nie etwas zuvor in dieser Welt zu haben war. Zumal wir ja auf dem Leichenhaufen saßen von unseren lieben Mördereltern. (…) Das war eine Vorschau auf das, was kommen wird.“ Und Langhans hat eine Vision: Die Vollendung der Ideen der 68er in Gestalt der Verheißungen des Internets. Starker Tobak. Zu stark? Denn in weniger als einer halben Stunde wird er einen mörderischen Hustenanfall bekommen, aber dazu gleich mehr.

Die Feministin 2.0 Stefanie Lohaus findet es schade, dass die 68er nur abgetan werden als ein popkulturelles Phänomen. Plasberg fragte nach Sex und Kiffen. „Haha, das ist lustig, die hatten die ganze Zeit Sex.“, witzelt die Autorin des Buches „Papa kann auch stillen.“ Nein, für die 39jährige waren die 68er „eine wahnsinnig wichtige Bewegung“, die den Startschuss der gelebten Demokratie gegeben hätten.

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Dorothee Bär toleriert das sogar alles, „im Gegensatz zu den 68ern.“, die nichts anders tolerieren würden, wie sie betont. Die 68er hätte es null gebraucht. „Die Verklärung eines Mythos“, die Bundesrepublik hätte sich vielleicht noch besser entwickelt ohne die 68er. „Hammerthese“ findet Plasberg. Michaela May alias Klara Sesemann findet das „irgendwie hammermäßig, das alles den 68ern in die Schuhe zu schieben.“ Sie hat unter der Herrschaft des Vaters gelitten, der alles in der Familie entschieden hat. Ihre eigenen Kinder wären sogar etwas neidisch, es gäbe nichts mehr, gegen das man kämpfen könne.

Jan Fleischhauer meint, die 68er hätten weniger verändert, als sie sich heute ans Revers binden. „Wer zweimal mit der selben pennt …“, das sei natürlich für diese verklemmten Menschen ein Maulheldentum gewesen. Klaus Wowereit findet, man kann die Zeit bewerten, aber nicht ignorieren und erinnert an die vielen Bewegungen damals in der Welt, besonders aus Amerika, die man aufgenommen hätte. Das zu ignorieren sei abstrus. Die Repressionen könne man doch nicht leugnen, wenn der Ehemann einen Arbeitsvertrag der Frau unterschreiben musste. Und Schwule noch per Paragraf 175 verfolgt wurden. Wer will da widersprechen?

Fleischhauer erinnert daran, dass Willy Brandt schon Vizekanzler war, als die 68er noch in den Kojen lagen. Diese Entwicklung nach Adenauer sei doch viel bedeutender gewesen. Stefanie Lohaus ist trotzdem dankbar, das sie in ihrem Elternhaus nicht geschlagen wurde, wie es noch bei den Eltern üblich gewesen wären, als die Kinder waren.

Der Nicht-mehr-Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) wird eingeblendet mit der Losung: „Auf die linke Revolution der Eliten folgt eine konservative Revolution der Bürger.“ Wowereit sieht sich hingegen „historisch auf der richtigen Seite“, wenn er die Errungenschaften der 68er anerkennt. Was mag Rainer Langhans währenddessen so denken? Er wirkt zwischenzeitlich versteinert. Nun gab es vor den 50sten schon das 25ste, das 30ste, und das 40ste Jubiläum. Wie oft mag man immer die selben Geschichten erzählen müssen, die dann noch so klingen sollen, wie gerade erst erlebt?

1968 UND DIE FOLGEN - TEIL 2
Erfolgreicher Marsch durch die Institutionen
Fleischhauer erinnert zwischenzeitlich daran, dass Dobrindt offensichtlich die Ära Kohl entgangen zu sein scheint, die 68er hätten also mitnichten durchregiert. „Wechseln sie jetzt die Fronten?“, fragt Plasberg irritiert. Die 68er säßen nicht in den deutschen Konzernzentralen, weiß Fleischhauer. Aber dafür säßen sie in allen Bildungsinstitutionen: „Ich bin der Reiner, ihr dürft „Du“ zu mir sagen.“ Sie säßen heute in den Medien und in der gesamten Kulturlandschaft. Fleischhauer ist im Thema. Und er hat gegenüber Langhans den Vorteil nicht Beteiligter, nicht einmal Zeitzeuge zu sein. Fleischhauers emotionale Erinnerungen stammen aus der Kindheit. Nun ist Fleischhauer auch seit Jahrzehnten Medienschaffender. Ein 68er ist er deshalb trotzdem nicht. Er befindet weiter, dass wir wirtschaftlich nur deshalb noch weltweit führend sind, weil die 68er dort noch nicht aufgetaucht sind.

Für Langhans ist Joschka Fischer „ein dicker Spießer“, an dem man gut sehen könne, das der Marsch durch die Institutionen um diese zu verändern, gescheitert sei, weil man sich zuerst um den Marsch durch die innern Institutionen hätte kümmern müssen. Nun arbeitet Langhans seit 40 Jahren eben daran. Mit Erfolg? Oder doch ein auf der Stelle treten? Woran erkennt man die innere Veränderung, wenn der physische Mensch im Dschungelcamp versteinert in der Hängematte liegt? Auch solche Fragen muss man sich im Angesicht der lebenden Ikone natürlich stellen dürfen.

Fleichhauer erzählt, er hätte es in seinem Leben irgendwann nicht mehr ertragen, immer auf Leute zu treffen, die sich gegenseitig auf die Schultern klopfen, wie widerständig sie gerade wieder denken. Widerstand gegen Atomkraft, gegen Gen-Food usw., „ich könnte jetzt einen ganzen Kanon linker Ängste durchbeten.“

Und dann zerfasert diese Diskussion doch ein bisschen, die doch so lebendig angefangen hatte. Haben sich Begeisterung und Leidensdruck für und an den 68ern so schnell schon erschöpft?

Die Stille durchbricht Dorothee Bär. Sie weiß noch, wie man den Herd auf Flamme hält, indem sie die Flüchtlingsdebatte ins Spiel bringt. Wenn sie die Verlogenheit der 68er anspricht, wenn es um Positionierungen zu den patriarchal geprägten Zuwanderern geht. Das Ende des irgendwann nur noch sanft plätschernden Nostalgiegespräches. „Sie lehnen jede Form von progressiver Bewegung ab!“ kontert ihr die Feministin. Da muss Bär laut lachen, weil sie den Vorwurf nicht einmal versteht. Natürlich würde sie die ablehnen. Rainer ist da schon ganz woanders. Er schaut in den Studiohimmel. Der Zuschauer sieht nicht, was er da sieht. Und viel werden sicher ihren Ohren nicht trauen, was sie dann von Rainer Langhans erzählt bekommen: „Für uns war viel wichtiger, dieses Mörder-Gen (zu bekämpfen), was wir von unseren Eltern vererbt bekommen hatten, und das in dieser Gesellschaft auch lebte.“ Also Gen als Gen? Oder Gen nur so im übertragenen Sinne für Erbschaft? Denn wie sollte man Gene bekämpfen können außer durch Suizid?

Der Nationalsozialismus war für Langhans eben gerade kein komischer Ausreißer, der nie wieder passieren würde. Der Nationalsozialismus stellte nur die entlarvte Spitze der kapitalistischen Entwicklung dar, fügt er noch an. Was war das denn? Vom reinsten Rassismus hinüber zur Systemkritik und wieder zurück in die Dialektik des Rassismus: „Wir als Kommune jedenfalls haben den Nazi in uns, der uns natürlich eingeboren wurde, versucht aufzufinden und unschädlich zu machen.“

1968 UND DIE FOLGEN - TEIL 3
Intoleranz, Hass und Gewalt als Erblast
Ehrlich, wenn man jahrzehntelang Zeit zum Nachdenken hatte, dann sollte man die Fähigkeit erworben haben, was man zu sagen hat, auch nachvollziehbar zu formulieren, sonst ist alle Nachdenkzeit für die Katz. Dann hätte man auch arbeiten gehen können und ein paar schöne Autos bauen oder kleinere Brötchen backen. Die Runde schweigt betroffen. Selbst Plasberg weiß nicht recht, wie diese so rassistisch klingende Deutsch-DNA-Düsternis von Langhans beendet werden kann. Oder wie er es doch bitte, bitte anders gemeint haben könnte, als es nun so furchtbar klingt. Und ja, natürlich ist es rassistisch, wenn ich einer bestimmten Gruppe, und sei es die eigene, die schlimmsten negative Merkmale nachsage. Oder meint Langhans gleich die ganze Menschheit? Oder meint er doch alles ganz anders? Aber was meint er dann?

Man wünscht es sich, dann hätte es noch einen Funken christliche Anmutung, in dem Sinne, dass der Mensch von Natur aus schlecht sei oder so etwas. Aber dann soll er sich bitte verständlicher ausdrücken. Was ist denn da in ihn gefahren, was war da unter der Decke zwischen den grellen Studiolampen zu sehen, was ihn so verstört hat? Rassismus lieber Rainer ist auch Rassismus, wenn er sich gegen die wirklich Bösen richtet. Vielleicht gerade da insbesondere, weil der Vorwurf ein stilles Einverständnis erhofft.

Dorothee Bär nimmt sich ein Herz, holt tief Luft und macht, was nun nötig ist: Sie benennt die gerade so absurd klingenden Gedanken von Rainer Langhans auch als solche. Betont die gesellschaftliche Verantwortung die Familien übernehmen, die hier gerade so diskreditiert wurden. Zur deutschen Killer-DNA mag sie allerdings auch nicht direkt Stellung beziehen. Vermintes Terrain.

Nun war Jan Fleischhauer mit Abstand der interessanteste Gast in einer Sendung, die zunächst so sehr auf Rainer Langhans ausgerichtet war. Zum Ende schafft es der Journalist sogar noch, die Methodiken von Pegida und der Neuen Rechte als Erben der 68er darstellen. Nun gut, daraus macht ein Götz Kubitschek keinen Hehl. Auch die Protestaktionen der Identitären Bewegung erinnern unwidersprochen an solche der 68er. Und da schließt sich dann wieder der Kreis. Das würde auch den Erfolg der Rechten begründen, meint Fleischhauer. Langhans schaltet sich noch einmal ein und findet die revolutionäre Energie auch bei den Konservativen nicht schlecht, das wäre doch alles besser als nur das Bewahrende.

Und jetzt muss der Autor kurz zurückspulen und noch einmal nachhören, ob Langhans in seinem Monolog wirklich sagte, was der Autor hier gehört zu haben glaubt. Der gute Rainer Langhans, der doch neben Jutta Winkelmann in „Good luck, finding yourself“, da auf diesem rührenden späten Indientrip, so beeindruckend menschlich und mitfühlend agierte. Was ist passiert? Was tun, wenn der gute Weise seine Verständlichkeit zu verlieren droht?