Tichys Einblick
Großrazzia gegen Reichsbürger

Das große Nicken bei Anne Will

Nancy Faeser spricht bei Anne Will erneut zur Großrazzia gegen Reichsbürger. Neue Erkenntnisse gibt es nicht, dafür eine neue Sprachregelung – und eine Runde, die sich gegenseitig zunickt.

Screenprint: ARD / Anne Will

Sechzig Minuten dauert eine Sendung von Anne Will. 60 Minuten können lange sein. Marathonläufer schaffen es, in dieser Zeit rund 20 Kilometer zurückzulegen. Anne Will gelingt es, die gleiche Zeit mit dem Thema Razzia gegen Reichsbürger zu füllen, ohne eine einzige neue Erkenntnis zu bieten. Nur Innenministerin Nancy Faeser (SPD) darf Kritik an ihr selbst mit einer neuen Sprachregelung begegnen und ansonsten ganz viel nicken, weil die Will-Redaktion nur Gäste eingeladen hat, die mit Faeser übereinstimmen. Meinungsvielfalt ist für die ARD, wenn sechs Personen das Gleiche mit unterschiedlichen Worten ausdrücken.

"Staatsstreich"
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Da ist Janine Wissler. Sie hat elf Jahre Politikwissenschaft studiert, steht den Linken vor, gilt selbst in dieser Partei als Linke und führt sie zielstrebig unter die Fünf-Prozent-Hürde. Ohne die Direktmandate aus der Skandalwahl in Berlin säßen die Linken heute schon nicht mehr im Bundestag. Dazu kommt Faesers Vorgänger Gerhart Baum, der vor 40 Jahren abgewählt wurde. Er ist der Traumgast für Talkshows in ARD und ZDF, weil er wie ein Grüner redet, aber in der Statistik als FDP-Politiker geführt werden kann. Bei Will zeigte sich Baum am Puls der Zeit: Die unterschiedlichen Öffentlichkeiten, die durch das Internet entstünden, das sei ein interessantes Thema. Dem müsse man sich mal widmen.

Wobei sich die Razzia gegen die Reichsbürger als Medienmysterium erweist. Schon wenige Stunden nach dem überraschenden Einsatz verfügten einzelne Medien wie der Spiegel bereits über überraschend viele Hintergrundinformationen. Vier Tage später ist keine einzige Information dazu gekommen. Sodass sich Anne Will 60 Minuten am Wissensstand des Spiegel vom Mittwoch entlanghangeln muss – 60 Minuten können sehr lang sein.

Immerhin ist Will wenigstens am Anfang bemüht, so etwas wie Spannung in ihre Sendung zu bringen. Ob denn der Polizei-Einsatz in diesem Umfang nötig gewesen und die Gefahr wirklich so groß gewesen wäre? Die Runde ist sich zwar erwartungsgemäß einig, doch sprachlich kreativ in den Umschreibungen des Jas, das sie meinen, aber zu dem sie sich so deutlich nicht bekennen wollen – oder können: „Man sieht konkrete Ideen“, sagt der Journalist Florian Flade, der in der Kooperation eingesetzt wird, in der die ARD unter Einsatz von Rundfunkgebühren mit der privaten Süddeutschen Zeitung zusammenarbeitet. „Das sind Leute, die gehen nicht mehr zur Wahl, die wählen AfD“, umschreibt Baum sein Ja. Und Wissler sagt: Es sei „dringend notwendig, Reichsbürger ernst zu nehmen“.

Die schönste Umschreibung kommt von der Innenministerin selbst. „Es war ernst zu nehmen, sonst hätte der Generalbundesanwalt nicht 52 Objekte untersucht und 25 Haftbefehle vollstreckt.“ Dass der Einsatz durchgeführt wurde, rechtfertigt den Einsatz. Setzt sich dieses Muster durch, brauchen Politiker nie wieder einen Einwand zu fürchten. Wobei Faeser in einer ARD-Sendung wie Anne Will ohnehin keine Kritik zu erwarten hat. Sie ist zugeschaltet – was einen lustigen Effekt ergibt. Ab und an zeigt die Redaktion eine Totale, dann ist Faeser im Vordergrund in ihrem Bildschirm zu sehen und die Runde spricht so einig und nach ihrem Sinn, dass Faeser in solchen Momenten meist mit Nicken beschäftigt ist. Schön, dass es noch solch eine Harmonie gibt. Über 60 Minuten ist das aber auch etwas ermüdend.

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Eigentlich steckt Faeser im selben Paradox wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) während der Pandemie. Einerseits muss sie Angst schüren, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Deswegen „müssen wir (die Reichsbürger) sehr ernst nehmen“, die Gefahr „war sehr real“. Andererseits muss sie als souverän wirken und die Gefahr danach wieder klein reden: „Aber (die Situation) haben wir gut im Griff.“ Auf das Paradox wird sie in einer ARD-Sendung allerdings nicht angesprochen werden – dafür würden nicht mal 600 Minuten reichen.

Stattdessen bekommt Faeser von Will die Chance, eine Kommunikationspanne zu beheben. Bei Sandra Maischberger hatte die Ministerin am Mittwoch offen gesagt, Mitarbeiter könnten künftig auf Verdacht aus dem öffentlichen Dienst entlassen werden. Um die Entlassung rückgängig zu machen, müssten sie beweisen, dass sie staatstreu sind. Juristen nennen das Beweislastumkehr. Manche Journalisten schreiben vom Ende der Unschuldsvermutung – allerdings nicht die von der ARD oder der Süddeutschen Zeitung.

Sooo habe sie das nicht gemeint, korrigiert sich Faeser bei Will: „Ich will nicht die Beweislast umkehren.“ Sie wolle das Disziplinarrecht „neu aufstellen“. Die Entlassung aus dem Dienst solle nicht mehr über ein Verwaltungsgerichtsverfahren laufen, sondern über einen Verwaltungsakt. Das heißt, die Behörde entscheidet selbst, ob der Mitarbeiter verfassungsuntreu genug ist, um gefeuert werden zu können. Der kann dann immer noch vors Gericht ziehen. Dort hat er dann die Last, zu beweisen, dass er verfassungstreu ist – aber eine Beweislastumkehr sei das nicht. Im rot-grün-„Liberalen“ heißen Schulden halt Sondervermögen und die Beweislastumkehr nun Verwaltungsakt. Die Runde springt der Ministerin bei – und Faeser kann ganz viel nicken.

Über den Spiegel vom Mittwoch geht Will nur in einer Frage hinaus: Warum so viele Journalisten beim Einsatz vor Ort waren. Ob sie vorher von der Generalbundesanwaltschaft informiert wurden, will Will wissen, und ob das Ganze dann nicht doch einer Inszenierung gleiche. „Gewollt“ sei es „mit Sicherheit nicht gewesen“, dass die Journalisten vorab zum Polizeieinsatz eingeladen werden, behauptet Faeser. „Ob vorher informiert wurde seitens der Sicherheitsbehörden, muss man aufklären“, kündigt die Innenministerin an. Allerdings sagt sie nicht, ob diese Aufklärung noch am Dienstag kommt, am Freitag oder doch eher so 2097.

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Wissen könnte es der Journalist Florian Flade. Schließlich wusste er vor dem Einsatz von dem Einsatz. Doch der ARD-SZ-Mann war lange genug mit Politikern zusammen, um nicht journalistischer Klarheit zu verfallen, sondern sich im schönsten Sondervermögen-Deutsch um die konkrete Antwort zu drücken: „Wir sind nicht von einer Behörde oder einem Ministerium eingebunden worden“, sagt er noch recht deutlich. Doch wenn es um das „Sondern“ geht, wird Flade amüsant: „Durch Recherchen und Kontakte“ statt von einer Behörde oder einem Ministerium sei er informiert worden.

Ansonsten gab Faeser noch ein paar Punkte durch, zu denen die Runde erst nickte und sich dann selbst so äußerte, dass die Innenministerin nicken konnte: In den Behörden müsse man aufpassen. Die Gefahr komme von rechts. Zwar dürfe man niemanden unter Generalverdacht stellen. Aber Durchgreifen sei halt notwendig, weil die Gefahr von rechts komme. Auch im Netz wolle sie durchgreifen und „gegen Hass und Hetze vorgehen“. Was denn mit den unkonkreten Begriffen „Hass und Hetze“ gemeint sei, will Will nicht wissen. Dafür wäre in der ARD auch in 6.000 Minuten kein Platz. Aber dafür, dass die Gefahr von rechts komme, dafür reicht die Zeit. Allein bei Anne Will gut zwei Dutzend Mal.

Als Quoten-Konservativer ist noch der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul da. Aber er hat sich in die Merz-CDU eingereiht und stellt für die Nickrunde bei Will keine Herausforderung dar. Zur Frage, ob der Einsatz gerechtfertigt gewesen sei, steuert er noch eine schöne Sprachblüte bei: Das „weiß man am Ende erst“. Allerdingst sagt er auch: „Es gibt kein strukturelles Problem“ im öffentlichen Dienst. Das ist das garstigste Widerwort, das sich der Quoten-Christdemokrat rausholt. Aber Faeser ist nicht in Gefahr. Denn wenn es um Entlassungen im öffentlichen Dienst geht, sagt Reul auch: „Die rechtlichen Instrumente reichen nicht.“ Die Merz-CDU hat gesprochen und die SPD-Innenministerin genickt.

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