Tichys Einblick
Louis Klamroth kommt nicht hinterher

Der große Streiktag bei Hart aber Fair: Chaos in höchsten Tönen

Wild prallen die Argumente aufeinander, als sich fünf Frauen von der Unternehmerin bis zur Linken-Chefin über den „großen Streiktag“ echauffieren. Das Publikum tobt nicht weniger. Moderator Klamroth ist mal wieder überfordert. Von Michael Plog

Screenprint: ARD / Hart aber Fair

Wer hätte gedacht, dass ein Thema wie „Der große Streiktag – Gerecht oder Gefahr für die Wirtschaft?“ vor dem Bildschirm für Ohrenschmerzen sorgen könnte? Und doch: Dieser Abend ist extrem. Extrem laut, extrem durcheinander, extrem anstrengend. Immerhin: Beim Zuschauer schlägt das Herz höher. Allein schon, um die Durchblutung der gestressten Ohren sicherzustellen.

Das Publikum ist mindestens so extrem wie die Protagonistinnen auf der Hühnerleiter. Hin- und hergerissen von den aufeinanderprallenden Argumenten. Und die prallen, was das Zeug hält. Unternehmerin Marie-Christine Ostermann erzählt, dass ihr Unternehmen im Bereich der Nahrungsversorgung arbeitet und damit zur kritischen Infrastruktur gehört. Ihre Leute konnten und mussten trotz des bundesweiten Generalstreiks weiterarbeiten. Dennoch hat sie überhaupt kein Verständnis dafür, dass ein Land für einen ganzen Tag lahmgelegt werden sollte. Sie nennt das eine „Mega-Keule“ und „unverantwortlich“. Die Pandemie-Lockdowns seien schon schlimm genug gewesen. Ihre Parole hat Bundeskanzlerinnen-Niveau: „Wir brauchen endlich Bewegung, wir wollen in die Zukunft, wir wollen wieder Geld verdienen!“, ruft sie. Das Publikum tobt vor Begeisterung.

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Keine drei Minuten später, und das Publikum tobt bei der exakten Gegenposition. Janine Wissler hat gesprochen, Chefin der Partei „Die Linke“, von der niemand genau weiß, warum sie immer noch so oft in Talkshows sitzen darf. Korrigiere: Jeder weiß es. Es zeigt, diplomatisch ausgedrückt, das Bemühen der ARD um Minderheiten. Die Öffentlich-Rechtlichen wollen ganz offensichtlich die Partei, die gerade den Fünf-Prozent-Kampf zu verlieren droht, vor der Bedeutungslosigkeit bewahren. Also, Frau Wissler darf sprechen. Sie spricht von realer Lohnkürzung in den vergangenen drei Jahren wegen der galoppierenden Inflation. Und davon, dass sich der Vorstand der Deutschen Bahn gerade selbst 14 Prozent mehr Gehalt gegönnt hat. Da seien zwölf Prozent für die Beschäftigten „vollkommen gerechtfertigt“. Das Publikum, wie gesagt, es tobt.

Jede der fünf Frauen auf diesem Diskutantinnen-Ball bekommt für ihre Aussagen extremen Beifall. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass sie sich immer mehr bestärkt fühlen und immer weniger zurückstecken wollen. Diskussionskultur, das gegenseitige Aussprechenlassen, ist jedenfalls Mangelware an diesem Abend. Das Klatschvolk scheint es zu genießen. Brot und Spiele. Ein sich gegenseitig verstärkendes System.

„Es reicht nicht mehr aus, auf dem Balkon zu stehen und zu klatschen“, sagt Julia Riemer aus München. Sie ist zwar keine Krankenschwester, sondern Trambahn-Pilotin, aber egal, der Applaus ist ihrer. „Achteinhalb Stunden auf dem Bock“, Stoßdienste mit Minipausen, Überstunden und viel zu wenig Geld, um Quadratmeter-Mieten von mehr als 20 Euro in München zu stemmen. Ihre Argumente für den Streik sind stichhaltig. Doch Unternehmerin Ostermann reagiert fassungslos. Sie schreit es geradezu heraus, ihre Stimme überschlägt sich: „Meine Leute auch! Die fordern jetzt 13 Prozent Lohnplus!“. Das sei nicht zu stemmen. Man erwartet, dass sie jeden Moment einen Spendenaufruf für ihr Unternehmen startet.

ARD-Börsen-Expertin Anja Kohl mahnt: „Der Streik war legal. Die Inflation liegt bei 8,7 Prozent.“ Deshalb hätten die Arbeitnehmer drei Jahre lang Einkommen verloren. Und wenn jetzt die EVG (Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft) und Verdi erstmals gemeinsam streikten, dann sei dies „das Signal: Hallo, wir Beschäftigten haben eine neue Macht“.

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Gitta Connemann warnt vor einer Lohn-Preis-Spirale. Für die Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion MIT, geht es „nicht um das Ob des Streiks, sondern um das Wie“. Er richte sich „nicht gegen die Arbeitgeber, sondern gegen unbeteiligte Dritte, andere Arbeitnehmer, Patienten, Familien, die auch eine Entlastung brauchen“. Sie fordert Notdienste bei kritischer Infrastruktur und das „Vorschalten eines verbindlichen verpflichtenden Schlichtungsverfahrens“. Das ganze Land sei in Geiselhaft genommen worden, und vor allem: „Wissen Sie, was Ihnen von Ihrer Lohnerhöhung bleibt?“, fragt sie die Trambahn-Fahrerin. „Am Ende ist der größte Inflationsgewinner der Staat.“ Deshalb sei auch der Staat besonders in der Pflicht: „Steuern runter, Abgaben runter und aufhören mit diesem Belastungsirrsinn.“

Parolen-Schleuder Wissler hakt ein und zitiert ein Plakat, das sie auf irgendeiner Demo gesehen hat. „Nicht der Streik, der Normalzustand gefährdet die Patienten.“ Die Linke beklagt zu viel Bürokratie und Spekulationsgewinne, fordert Enteignung und Mietpreisdeckel. Das Übliche. Applaus, Applaus.

Börsen-Kohl muss zweimal ansetzen, weil Klamroth sie dauernd unterbricht. Das ist doppelt doof. Erstens: Es zeigt, wie wenig Gespür Klamroth für Diskussionen hat. Zweitens: Kohl erzählt nun alles gleich zweimal. Sie zählt auf, was diesen Streik rechtfertigt: negative Reallöhne, grüne Energiewende, überzogene Corona-Maßnahmen, Sanktionen, die Deutschland treffen und nicht Russland. Und dann hätten auch noch die Notenbanken versagt. Kohl: „Was haben wir jetzt? Ein Bankenbeben.“

Kohl selbst ist keinen Deut besser, wenn andere sprechen. Mit stoischer Penetranz fährt sie dazwischen, wenn Gegenargumente aufpoppen, redet und redet und wird zu einer Unstoppable Talking Machine. Diese Unart verfängt schnell auch bei den übrigen Damen am Tisch. Eine Qual für den Zuschauer, der doch eigentlich nur einen bunten Argumente-Cocktail möchte und keinen Smoothie, bei dem man nichts mehr erkennt. Klamroth – wie üblich – gibt irgendwann einfach auf. Er hat die Sendung nicht im Griff, kann nicht verhindern, dass die Talkrunde zu einer Art Walpurgisnachttreffen auf dem Brocken verkommt. Der blasse Plasberg-Paria fasst sein Versagen in Worte: „Und ich dachte, mit fünf Frauen in der Runde wird es einfacher …“

Dem Zuschauer klingen mittlerweile nicht nur die Ohren. Er hat Visionen. Vor seinem geistigen Auge taucht Frank Plasberg auf, der Klamroth verschmitzt antwortet: „Das hätte ich Dir früher sagen können …“

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