Tichys Einblick
ARD und ZDF studieren die USA

Die »weiße Mittelschicht« mit der Chips-Tüte

Inmitten der Proteste und Unruhen versucht der deutsche Rundfunk erneut, aus den USA schlau zu werden. Doch die eigenen Beobachtungen mit Sinn zu erfüllen, scheint gar nicht so einfach. Vor allem verpassen beide Sender planvoll die Lösungspotentiale dieser Krise.

Screenprint: ZDF/heute journal

In den USA probt man derzeit den Aufstand. Mit Abstand ausgesprochen, scheint diese spielerische Formulierung den Tatsachen angemessener als jede eskalierende, die die Bedeutung der Proteste, der unzweifelhaften Gewalttaten, Plünderungen und Brandstiftungen, die unter ihrem Deckmantel stattfinden, übertreiben würde. Es ist inzwischen nicht mehr ganz klar, wie eine Lösung des grundlegenden Problems, das in weißer Polizeigewalt gegen schwarze Bürger besteht, so schnell erreicht werden kann, dass die Proteste wieder ein Ende finden. Nun, im Grunde ist das auch nicht zu erwarten. Übrigens war ein ostasiatisch aussehender Mann unter den vier Beamten, die am vorvergangenen Montag George Floyd festnahmen, wonach einer von ihnen Floyd dann tötete.

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Die Proteste werden irgendwann abebben, und man wird den Polizisten und der Polizei eine neue Chance geben, ihre Fairness zu beweisen. Aber eben das könnte zugleich auch erschwert werden, durch die Wunden, die die derzeitigen Proteste dem Land schlagen. An dieser Stelle lohnt es sich vielleicht, einige Unterscheidungen anzubringen: Demonstrationen für eine gute Sache? Schön und gut. Das ist die Nahrung der Demokraten, werden manche sagen. – Proteste, auch mit zivilem Ungehorsam? Auch das, wenn man mit etwas nicht einverstanden ist, muss man es sagen und kundtun. – Doch wozu dient Gewalt in diesem Zusammenhang?
Es geht auch um Trumps Wähler

Im Heute-Journal des ZDF (bei Min. 5:00) hatte Elmar Theveßen eine wirklich aufklärende Antwort auf diese Frage, folgte damit aber im Grunde nur dem Original-Ton einer Demonstrantin, den er zuvor freilich selbst eingefangen hatte. (Die Urheberschaft des Gedankens bleibt so merkwürdig in der Schwebe.) Die Demonstrantin lässt sich so zitieren: »Demonstrieren wirkt. So beendet man Rassismus. Proteste bekommen Aufmerksamkeit.« Vielleicht folgt schon aus diesen knappen Sätzen, dass die Proteste dann auch immer heftiger werden müssen, um immer neue Aufmerksamkeitswellen durchs Land zu treiben. Daher wohl die Neigung zu Straßenschlachten, daher vielleicht die Sachbeschädigungen und Graffitis, die am nächsten Morgen von bemühten Wahrern des gesellschaftlichen Friedens wieder entfernt werden. Die Mitglieder der Antifa weisen sich durch ihre Plünderungen und gezielten Brandstiftungen aus, auch durch radikale Gewalt gegen Polizisten. Aber im Fall der aktuellen Rassenunruhen scheint auch ein Teil der unorganisierten Demonstranten auf dem Weg zur Radikalisierung.

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Terrorismus-Experte Elmar Theveßen meint, dass dieser Konflikt, den es schon »in den letzten Jahrhunderten« gegeben habe, sich »in den letzten Jahren« noch einmal »ganz besonders verschärft« habe, weil die »soziale, wirtschaftliche Ungerechtigkeit in Amerika« gestiegen sei. Man staunt. Hatte Trump nicht erst vor kurzem von einem Beschäftigungsgrad unter den farbigen US-Bürgern berichtet, der höher war als je zuvor in der Geschichte der Vereinigten Staaten? Zugegeben, das war vor der Pandemie und vor der Entlassung von George Floyd als Türsteher in einem Restaurant, das nun fürs erste nicht mehr öffnen wird. Aber dennoch malt Theveßen hier ein recht plakatives Bild der US-Gesellschaft, bei dem angeblich »die Minderheiten« die Hauptlast der angehenden Wirtschaftskrise tragen. Und das passt natürlich alles etwas zu gut zum Bild des angeblichen Rassisten, das viele gerne von Trump zeichnen.

Doch es geht gar nicht nur um Trump, es geht auch gewissermaßen um seine Wähler und um jene »weiße Mittelschicht«, die Theveßen wiederum plakativ »den Schwarzen« gegenüberstellt. Diese »weiße Mittelschicht« sitze mit der Chips-Tüte auf dem Schoß vor dem Fernseher, während sich auf dem Bildschirm das Drama der Minderheiten abspiele. Es ist schon merkwürdig, wie hier eine Gruppe – die Weißen – so eindeutig in die wenig vorteilhafte Zuschauerrolle gedrängt wird, während die anderen – die Minderheiten – offenbar ein heroisches Leben zu meistern haben, dessen Probleme sie nun »in die Wohnviertel der Weißen« tragen wollen.

Was passiert nach dem Drücken der Pausetaste?

All dem liegt natürlich die Akzeptanz eines neuen Dogmas der politischen Klasse zugrunde: Dass die Zukunft der USA sich daran entschiede, wie das Verhältnis der gleichsam kantonalisierten Ethno-Gruppen zueinander gestaltet wird. Diesen Schnack kann man seit Jahren der transatlantischen Berichterstattung entnehmen, ohne dass daraus viel Sinn für ein Verständnis US-amerikanischer Politik erwüchse.

Eines kann Theveßen aber noch: Er kann ganz gut gegen eine Dominanz des Rechtsstaats polemisieren, wie sie Trump von den Gouverneuren gefordert hat. Darin liegt für Theveßen anscheinend eine Art Aufstachelung zum Rassenkonflikt. Dabei dürfte es die einzige Lösung der derzeit verfahrenen Lage sein. Und natürlich müssten Polizei und Nationalgarde dabei eine zentrale Rolle spielen. Doch Trump, so glaubt auch die deutsche Presse von Süddeutscher bis zur FAZ, setzt auf Eskalation.

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Doch in der Tat, im Moment scheint es weltweit nur eine Bewegung von einigem Einfluss zu geben, jene, die Solidarisierung mit den Schwarzen Amerikas einfordert. Diesem Dogma beugen sich nicht nur zahlreiche Polizisten in den USA mit ihren Kniefällen – womit sie ihrer ordnenden Aufgabe durchaus nachkommen könnten –, sondern auch Großstädter, Fußballspieler und Plattenfirmen, die jeweils eigene Formen der Beistandsbekundung üben. Die amerikanischen Plattenfirmen beugen sich der allgemeinen Forderung, indem sie den Dienstag unter das Motto »The show must be paused« stellen. Keine Musik für einen Tag? Das soll uns angeblich zum Zuhören bringen.

Die Tagesschau beginnt mit den Graffiti-Reinigern am Weißen Haus, die zwar die Proteste gut finden, aber keine Zerstörung wollen. Dann ein LKW, der versucht seine Funktion zu erfüllen, nämlich Waren von A nach B zu transportieren, doch dabei auf eine Gruppe von Protestlern trifft. Er kann gerade noch rechtzeitig bremsen. Die Tagesschau kommentiert das fast so, als hätte er mit Vorsatz gehandelt – um dann anzuhängen: »wohl ohne Vorsatz«. Überhaupt sah es bei verschiedenen Gelegenheiten eher so aus, als ob die Demonstranten passierende Autos angriffen als umgekehrt. Mutig stellen sie sich den Autos entgegen, als wären es Panzer auf dem Platz des Himmlischen Friedens.

Die Tagesschau verfälscht Nachrichten

Doch es sind diese Vehikel, die Amerika derzeit noch irgendwie am Laufen halten. Ein Land, das corona-bedingt nichts zu tun hat, gerät gerade vollends in Aufruhr und setzt den Stillstand und die Blockade an die Stelle eines sinnvollen Miteinanders. Das scheint das Fazit dieser »Proteste« zu sein, die ihren Gegenstand allmählich aus den Augen verlieren. Von einer Kombination aus »frischem Nihilismus« und »lockdown rage« sprach Freddy Gray, der kundige Herausgeber von Spectator USA. Auch davon sprachen die Protestler, dass sie seit drei Monaten zu Hause eingeschlossen seien, während zugleich auch mehr Schwarze an Covid-19 zu sterben scheinen als Weiße. Dass Aggressionsniveaus nach mehreren Wochen Lockdown steigen, scheint zumindest für einen Teil der Menschen zu gelten.

Daneben ist man sich bei der Tagesschau auch zum radikalen Missverstehen der Nachrichten nicht zu schade, man könnte es auch ihr Verfälschen nennt. Aber über Pfingsten wird es wohl keiner merken. Wenn Trump also sagt: »Die Gewalt und der Vandalismus werden von der Antifa und anderen gewaltsamen Gruppen des linken Flügels angeführt«, dann hält die Tagesschau-Redaktion dagegen, dass »nach Aussagen des Gouverneurs von Minnesota die meisten Verhafteten ihren Wohnsitz im Bundesstaat haben. Sehr wohl sind aber einige Gruppen bestens vorbereitet gewesen.« Das ist leider nur die halbe Wahrheit. Denn in allen Veröffentlichungen, bis hin zum eher Trump-unholden CNN, stammen gemäß Gouverneur 80 Prozent der Festgenommenen von außerhalb des Bundesstaats. Es sind also sehr wohl einige Gruppen bestens vorbereitet gewesen.

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