Tichys Einblick
Bis „Otto Kartoffel“ ist es nicht mehr weit

Deutsche Piraten, eine geknickte Merkel und ein ausfälliger Macron

Italienische Medien - Die Regierung in Rom ist stark genug, um Deutschland zu falten und Frankreich in eine hysterische Krise zu versetzen, das scheinbar nicht mehr weiß, wie es ein Land unter Kontrolle bringen kann, welches es allzu lange praktisch als eine dienstbeflissene Kolonie betrachtet hat.

Italys Interior Minister and Deputy Prime Minister Matteo Salvini speaks to the TV host and journalist, on the TV set of Italian talk show 'Porta a Porta', broadcasted on Italian channel Rai 1, in Rome, on June 20, 2018

ANDREAS SOLARO/AFP/Getty Images

Bericht vom Telefonat Merkel – Conte – Sie bemüht sich, ihn zu beruhigen, weil er per Facebook angesagt habe, nicht zum Treffen am Sonntag kommen zu wollen, wenn es schon ein „vorformuliertes Ergebnis gebe“: Merkel: „Nein, der Vorschlag von gestern werde auf Eis gelegt, das wäre ein misunderstanding“ gewesen …

Beim „Il Fatto Quotidiano“ wird erklärt, was Italien an dem von Tusk lancierten Entwurf missfällt: Der Passus zu „Anlegen Europäischer Schutzzonen in den Herkunfts- und Transitländern“ zur Prüfung der Asylberechtigung sowie dem Ausbau der Kontakte zu Drittländern, um Todestransporte zu vermeiden und die Außengrenzen zu stärken, wäre „OK“. Aber ein andere Textteil „missfalle Italien.“, es wäre erforderlich, die „sekundären Flüchtlingsbewegungen“ (also innerhalb der EU von Land zu Land, das sog. „Asylshopping“) signifikant zu reduzieren, um unrechtmäßige Grenzüberschreitungen von Zuwanderern und Asylsuchenden zwischen den Mitgliedsstaaten zu vermeiden, man müsse schnelle Verfahren festlegen, um dies in das (eigentlich) zuständige Land zu führen.“ – Denn das wäre dann wohl Italien, wenigstens was den Zustrom aus Libyen angehe. Merkel knicke ein, Macron werde ungeduldig, der Blogger beim „Giornale“, Marcello Foa, fragt sich: „Wie groß sei denn nun eigentlich dieses Italien?“

Irgendwann hat es sich ausgemogelt
Vermischtes aus den Chaostagen mit Merkel
Rekapitulieren wir mal. Merkel und Macron stricken zu zweit eine Übereinkunft, die das Recht einräumt, Migranten, die andere Länder erreichen könnten, in das Land zurückzuschieben, in dem sie zuerst ankommen, was klarerweise vor allem Italien wäre. Der Premierminister Conte und der Innenminister erzürnen, hauen mit den Fäusten auf den Tisch und drohen damit, den Brüsseler Gipfel zu boykottieren. In anderen Zeiten hätten Berlin und Paris nur mit den Achseln gezuckt, weil sie daran gewöhnt waren, dass auch das windelweiche Italien mit den Achseln gezuckt hätte. Aber nicht dieses Mal. Ein paar Stunden haben ausgereicht, dass Merkel eine kaum vorstellbare Geste macht, und die Übereinkunft mit Paris wieder einkassiert. Macron reagiert auf seine Weise, indem er nochmal die autoritäre und verächtliche Seite seines Charakters zeigt, in dem er die „sich wie die Lepra ausbreitenden Populisten“ anprangert. Er nennt Italien nicht ausdrücklich, aber der Bezug wird schon ersichtlich. Der ihm nach wenigen Minuten Paroli bietet, ist der Vizepremier Di Maio. Die Regierung in Rom ist stark genug, um Deutschland zu falten und Frankreich in eine hysterische Krise zu versetzen, das scheinbar nicht mehr weiß, wie es ein Land unter seine Kontrolle bringen kann, welches es allzu lange praktisch als eine dienstbeflissene Kolonie betrachtet hat. Wie wird sich die Welt ändern und wie groß ist also dieses Italien? Seid stolz darauf, und habt Vertrauen.

Agenzia Nazionale Stampa Associata (ANSA.It) schreibt zum Skandal um die deutsche „Lifeline“:

Neue Konfrontation zwischen der Staatsmacht und einer NGO im Mittelmeer. Das NGO-Schiff „Lifeline“, das zur Rettung von 300-400 Migranten vor Libyen eingegriffen hat, ersucht um einen Ankerplatz in einem sicheren Hafen und behauptet, dabei im Rahmen der Regeln gehandelt zu haben. Die Minister Salvini und Toninelli erwidern jedoch: „Sie handeln in Libyschen Gewässern außerhalb jeglicher Legalität oder internationalen Rechts.“ Und verlangen eine Untersuchung durch die Küstenwache, wobei sie hinzufügen, dass hier Migranten ohne die geeigneten technischen Möglichkeiten an Bord genommen worden wären, ohne weder deren Sicherheit noch die der Besatzung sicherstellen zu können.“

Das Merkel-Ultimatum
Infrastrukturminister Toninelli auf Facebook: „Die Lifeline kann sich nicht bewegen, hat eine Kapazität von 50 Personen und hat 224 Migranten an Bord, die sie nicht an Libyen übergeben will. Obwohl wir uns in Libyschen Gewässern befinden, übernehmen wir die Verantwortung, sie (die Migranten, Anm.) auf unsere Küstenwachschiffe und weiter nach Italien zu bringen, und das Schiff werden wir dort beschlagnahmen, denn es ist in der Tat staatenlos und darf nicht in internationalen Gewässern fahren.“ Und er ergänzt: „Das NGO-Schifff Lifeline fährt illegal unter holländischer Flagge, da es nicht dort registriert ist. Man kann es als Piratenschiff bezeichnen.“ Innenminister Salvini legt nach: “Wenn sie nach Italien kommen, dann beschlagnahmen wir das Schiff und klagen die Mannschaft an, die illegale Einwanderung zu unterstützen. Geisterschiffe will ich in italienischen Häfen nicht“.

ANSA zitiert aus dem Account von Minister Toninelli: „Leben auf dem Meer zu retten ist eine fundamentale Mission, vor der sich Italien nie zurückzieht. Das muss sich aber in Sicherheit und Legalität abspielen, was beim Schiff „Lifeline“ nicht gegeben ist.

Die EU-Vertretung der Niederlande sagt auf Twitter dazu: „Seefuchs und Lifeline fahren nicht unter holländischer Flagge, gemäss der Seerechtskonvention der Vereinten Nationen (Unclos). Diese Schiffe gehören deutschen NGOen und sind nicht in Holland registriert. Deshalb kann Holland ihnen auch keine Instruktionen geben. Italien kennt die holländische Auffassung“.

Der Corriere della Sera zitiert IM Salvini mit den Worten, „die seien jetzt für immer aus dem Schlepper-Geschäft raus …“

Das „außerhalb des Rechts stehende“ Schiff wäre zur Sicherheit von Passagieren und Besatzung nach Malta geschickt worden – sei klar, nun müsse es beschlagnahmt, und seine Mannschaft festgesetzt werden …“

Il Giornale schreibt: „Die NGO habe Italien nicht gehorcht und sich so der Flüchtlinge bemächtigt …“ … „Lifeline würde gegen alle Regeln und alle Gesetze der Seefahrt verstossen…“ … Minister Salvini zeige sich „sehr verärgert“.

Anschließend geht die Zeitung auf das Vorgehen der beiden deutschen NGO-Schiffe ein:

Geschäftsmodell "Seenotrettung"
EU-Operation Sophia bekämpft keine Schleuser, sondern hilft ihnen
„Das sei nicht zum ersten mal passiert … Sie hätten bereits mehrfach die Marine Tripolis daran gehindert, ihre Arbeit zu machen, schon mit Sea Watch 2017. Und kurze Zeit später sei dieselbe deutsche NGO wieder im offenen Meer mit der afrikanischen Küstenwache zusammengerauscht: Ein Video, beim „Giornale“ veröffentlicht, habe die – ohne Regeln agierende – humanitäre Maske des Schiffes gelüftet. Während die Migranten darauf gewartet hätten, von dem libyschen Boot übernommen zu werden, habe sich tatsächlich die NGO – die Bitte des Kommandanten ignorierend, sich zu entfernen – in der Nähe aufgehalten und die Verzweifelten dazu „gedrängt “ sich unter Gefahr fürs eigene Leben ins Wasser zu stürzen, um nicht zurückgeführt zu werden …“

„Und heute, hat der Innenminister erklärt, hat sich etwas ähnliches ereignet. „Lifeline“ hat die Anweisungen Roms und Tripolis, nicht einzugreifen nicht befolgt und etwa 200 Migranten an Bord geholt … und nicht nur das … sie haben auch nicht die Verpflichtung eingehalten, das AIS des Schiffes (Automatisches Identifikations System) und das LRIT (Long Range Identification and Tracking) weder auszuschalten, noch zu verzögern oder zu verändern … sondern laut Salvini die Geräte sogar tagelang ausgeschaltet.“

„Bleibt die Frage, so „Il Giornale“, was denn nun mit den Migranten passiert, die Lifeline transportiert habe?“ Schwer zu sagen. Auf jeden Fall kommen sie nicht nach Italien. „Unsere Küsten – habe der Minister wissen lassen – sehen sie nur auf der Landkarte“.