Tichys Einblick
Neue Besen kehren – nicht immer – gut

Das Ende des „Stern“ als Zeitschrift mit Charakter

Die Zeitschrift "Stern" und andere Blätter aus dem Verlagshaus Gruner + Jahr sollen in den Trash-Sender RTL integriert werden. Die Grenzen zwischen Anzeigen und Redaktion stören. Regierungsnähe wird zum erklärten Programm.

IMAGO / Steinach

Mitarbeiter des „Stern“ werten die Personalie als Supergau: Stephan Schäfer wird Nachfolger von Julia Jäkel, die seit 2013 den Verlag Gruner+Jahr als Chefin führte und nun gegangen ist. In einer persönlichen Erklärung teilte sie mit: „Mein Schritt, G+J zu verlassen, ist eine ganz persönliche Lebensentscheidung. Das vergangene Jahr hat auch bei mir Gedanken darüber ausgelöst, was das Leben noch mit einem anstellen kann. Diesen Gedanken möchte ich nun mehr Raum geben. Darum habe ich Bertelsmann gebeten, mir dies zu ermöglichen.“ Sie verlasse Gruner + Jahr voller Dankbarkeit. Was natürlich Beschönigung ist: In den vergangenen 10 Jahren hat Jäckel den Umsatz des einst glanzvollen Verlagshauses glatt halbiert. Der Einstieg in das Internet ist ihr nicht gelungen. Wertvolle Auslandsbeteiligungen mußte sie verkaufen, um dem Mehrheitseigner Bertelsmann Cash zu überweisen. Als weiblicher Star am Firmament der Publizistin einst gefeiert endet sie als Abwrack-Unternehmerin. Jetzt zieht sie die Konsequenzen ihres Totalversagens. Mit ihr endet die Ära des Hauses Gruner+Jahr, das einst die Medienlandschaft Deutschlands geprägt, streckenweise auch Frankreichs mitgestaltet hat. Die verbliebenen Reste werden jetzt über den Trash-Sender RTL zu Cash gemacht. Dazu gehört auch n-tv, früher ein Nachrichtensender; heute eine Art Außenstelle des Bundespresseamts.

Die Ära Schäfer beginnt

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Schäfer, Mitglied des Trios, das G+J leitet, war bislang Chief Product Officer, was so etwas wie ein Redaktionsdirektor auf Geschäftsführungsebene ist. Seit Februar 2019 ist er gleichzeitig Geschäftsführer Inhalte & Marken bei der Mediengruppe RTL Deutschland. In dieser Funktion ist er für das Senderportfolio, Marketing, Produktionsmanagement sowie den Programmeinkauf der Mediengruppe RTL Deutschland zuständig. Schäfer ist Mitglied des Content Alliance Board von Bertelsmann. Wenn man den Journalisten des Hauses glauben kann, dann gehört Schäfer zu den meistgehassten Figuren des Verlages.

Denn er soll internen Einschätzungen zufolge weniger an sauberem und interessantem Journalismus Interesse haben als vielmehr an segensreichen Kooperationen mit der Anzeigenwirtschaft. Das sähe man schon an seiner Vita. Der 47-Jährige habe zwar die Axel-Springer-Journalistenschule absolviert, sei dann aber vom Redaktionellen ins Management abgedriftet und 2009 als Chefredakteur und Verlagsgeschäftsführer unter anderem von „Schöner Wohnen“, „Essen & Trinken“ und „Brigitte“ zu Gruner + Jahr gekommen. Dieser Karriereweg wird unter Redakteuren im Hause als verräterisch gewertet und weise eindeutig darauf hin, dass geschäftliche Interessen mit der Anzeigenwirtschaft im Vordergrund stünden. Sein Lieblingshassobjekt sei seit eh und je der „Stern“, dessen ehedem kritische Haltung allen Mächtigen gegenüber er nicht verstünde.

Aber die Zeiten seien ja ohnehin passé, denn mutmaßlich auf höchstes Geheiß sei von der journalistischen Ausrichtung in dem inzwischen mehr als 70 Jahre alten Blatt nichts mehr zu spüren. Außerdem würde Schäfer, der den größten Teil seiner Arbeitswoche bei RTL in Köln verbringe, vor allem von zwei Zielen geleitet: Zusammenlegung aus Kostengründen und Eingrenzung der journalistischen Inhalte, wenn sie die sonstigen Geschäfte gefährden würden. In punkto Zusammenlegung ist er erfolgreich gewesen: Erst kürzlich wurde der „Stern“ mit „Capital“ verheiratet und obendrein die gewollte Nähe zu RTL hergestellt. Das heißt: Weniger handfester Journalismus als vielmehr Society und sonstiges Unterhaltungstralala. Investigative Stories? Daran kann sich so recht keiner der Redakteure mehr erinnern. Oder gar gesellschaftlich bedeutende Geschichten? Die sind nur noch Erinnerungen.

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Die Mannschaft beklagt mehrheitlich, „dass vor allem weichgespülte Kacke“ im Blatt sei, die niemanden interessiere. Entsprechend sei die Auflage. Wenigstens noch ein Schuss gesellschaftliche Verantwortung? Ebenfalls längst vorbei! Das liege vor allem an der aktuellen Chefredaktion mit Florian Gless und Anna-Beeke Gretemeier, die dem Blatt nicht nur die letzte Kontur genommen und es ins Seichte geführt hätten, sondern obendrein auch noch größtenteils miserable Texte ins Blatt lassen würden. Was auch daran zu erkennen sei, dass es schon seit einiger Zeit die einst wichtige Bastion der Textchefs nicht mehr gebe. Stattdessen würden Texte nun in einer Art Rundlauf von mehreren bewertet. Man kann sich vorstellen, was dies zur Folge hat. Zumeist sei es aber so, dass zu diesem Job kaum jemand Lust habe, weil er vielfach Streit bedeute und Sachkunde in Storyaufbau, Dramaturgie, Argumentation, Erzähltalent und nicht zuletzt auch in Rechtschreibung erfordere. Stattdessen sei die oberste Richtschnur Sparen, Sparen, Sparen. Journalismus, der Geld koste, der teils wochenlange Recherche und Reisen bedeute, brauche man nicht mehr. Fehlen eigentlich nur noch zwei Dinge: Sargdeckel und Grabstein.

Des Weiteren sind durch diese Personalie zwei Dinge zu erwarten: Erstens, dass es entgegen den Beteuerungen nun keinen Neubau eines Verlagshauses in Hamburg mehr geben dürfte, sondern vielmehr den sukzessiven Umzug in die Domstadt; und zweitens dürfte Schäfer demnächst auch in den Bertelsmannvorstand aufrücken. Denn Verlagsgerüchten zufolge sei Schäfer mit Konzernchef Thomas Rabe ganz eng, ja, die beiden Familien seien sogar zusammen in den Urlaub gefahren. So etwas muss sich ja irgendwann auszahlen. Schließlich war ja auch Julia Jäckel einst eng mit den früher tonangebenden Familieninhabern liiert.


Dieser Text basiert auch auf Material von Dossier B.

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