Tichys Einblick
Vater sein dagegen sehr

Im WDR bei Böttinger: Sexismusdebatte mit Burmester und Kelle

Auf Väter, die Töchter gegen sexistische und übergriffige Männer zu gleichberechtigten und schlagfertigen Frauen erziehen wollen, wartet viel Arbeit.

Screenprint: WDR/Ihre Meinung

„Jede zweite Frau hat das schon erlebt, sexuelle Belästigung.“, eröffnet eine reißerisch tiefe Herrenstimme aus dem Off Bettina Böttingers Sendung „Ihre Meinung“ auf WDR mit dem Thema „Flirten oder Grabschen – wo fängt Sexismus an?“

Zu sehen im Einspieler ist eine Bürosituation mit behaarter Herren- über zarter Damenhand auf der Computermaus. Die Bitte um Hilfe offensichtlich vom Vorgesetzten schamlos sexistisch ausgenutzt. Die Off-Stimme im Brummelsound des Sexisten. Eine junge Frau erzählt dazu, dass man sich wertlos fühle, so, als sei man „einfach nur eine Schaufensterpuppe“. Sexismus ist Alltag, weiß die Sendung. Donald Trumps schmierige Geständnisse – heimlich auf Band aufgezeichnet – illustrieren hier, um wen es geht: um mächtige alte weiße Männer mit schmutzigen Fantasien, kriminell ausgelebt.

Die Sendung ist live. Das Studio präsentiert sich altbacken, in 1980er-Jahre Optik. WDR will wohl immer nur WDR bleiben. Böttinger fragt zur Eröffnung, alles furchtbar? Oder doch, wie heutzutage oft, „ein bisschen hysterisch, ein bisschen übertrieben?“

Eingeladen ins Studio sind gut fünfzig Zuschauer, die Fragen stellen oder Schicksale berichten, eingeladen sind aber auch Birgit Kelle und Silke Burmester von der TAZ. Letztere hatte vor der Sendung erklärt: „Ich habe zu dieser Sendung zugesagt. Wenn‘s klappt, bin ich Kelle-proved.“ Also gefährliches Meeting with the catholic witch? Jedenfalls liest es sich so, wenn Burmester die live-Begegnung mit Kelle vorab wie eine Mutprobe inszeniert.

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Valerie Schwing aus Düsseldorf darf den Anfang machen. Sie möchte die Grenze klarer definiert haben zwischen Flirten und Belästigen. Dann geht Böttinger weiter zum Männertisch. Spricht einen jungen Mann im Muskel-Shirt an, deutet auf seine dicken Arme und bemerkt anerkennend, er sehe aber sehr fit aus. Manuel Krauthausen heißt der und er findet das Thema aufgebauscht. Es soll doch darum gehen, dass unsere Kuscheljustiz sexuelle Gewalt härter bestrafen soll und nicht darum, beim Flirten als Mann Angst zu haben, als sexueller Belästiger verstanden zu werden. „Wer schon mal auf einer Karnevalsdamensitzung als Kellner gearbeitet hat, der kennt auch die Gegenseite.“, weiß Krauthausen.

Eigentlich ist das ganz schön gemacht von Bettina Böttinger. Sehr relaxt, sortiert und konzentriert. Ganz gleich, wie vorher die Fragesteller von der Redaktion ausgewählt werden, allemal besser, als wenn immer nur eine Redaktion die Fragen ausdenkt und an eine prominente Diskussionsrunde stellt.

Neben Kelle und Burmester noch dabei, die feministische Aktivistin Dr. Stevie Schmiedel, sie hat die Kampagne „Pinkstinks“ von England nach Deutschland geholt. Pinkstinks wendet sich gegen die „Pinkifizierung“ von Werbe- und Medieninhalten, die schon Kindern limitierende Geschlechterrollen zuweist. Schmiedel sitzt abseits von Kelle und den anderen, wegen der bösen Kelle? Jedenfalls viel Laufarbeit für Böttinger. Ein paar Kilometer werden am Ende der Sendung zusammengekommen sein. Finanziert wird die Arbeit von Frau Schmiedel übrigens für die kommenden zwei Jahre vom Familienministerium. Birgit Kelle wird vorgestellt und erntet erstaunlich viel Applaus. Das war durchaus nicht in jeder Talkshow mit Zuschauern so.

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Der einzige Mann in der „Expertenrunde“ ist Philip Wolff, der ist Textchef beim Playboy. Der Arme, denkt man, klingt das nicht bezogen auf den Playboy ein bisschen so, wie das fünfte Rad am Wagen? „Das gestörte Verhalten einzelner Männer hat nichts mit männlicher Sexualität im Allgemeinen zu tun.“, meint er. Silke Burmester ist überrascht, was die Menge der im Rahmen von #metoo offenbarten sexuellen Übergriffe angeht. Ihre Überraschung sei deshalb so groß, weil sie erkennen musste, das sexuelle Übergriffigkeit so normal geworden wäre, „weil es so zum Frausein dazugehört.“

Kelle bittet darum, doch einfach mal runterzukommen und zu erforschen, was nur der normalen Annährung zwischen Mann und Frau geschuldet ist. „Männer wollen nicht immer nur Böses, manchmal stellen sie sich einfach nur dämlich an. Der Versuch sich zu nähern, ist nicht immer eine Straftat.“ Na, da sagt sie was. Und man fragt sich, warum so etwas überhaupt erwähnt werden muss. „Man kann einen Straftatbestand nicht an der Befindlichkeit einer Frau festmachen.“, ergänzt sie noch.

Burmester möchte das Feld zwischen „Nichts und Straftatbestand“ beackert wissen. Kelle möchte die Straftatbestände aussortiert wissen, „Die gehören doch gar nicht mehr zum Sexismus.“ Philip Wolff findet, dass ein Mann, der zwischen Flirten und Übergriff nicht unterscheiden kann, auf die Couch gehört. Gut, aber wer definiert, wo was endet und was anfängt? Die Kampagne #metoo?

„Sex sells“, Böttinger kommt zum Sexismus in der Werbung. Werbung nutze nackte Haut um Aufmerksamkeit zu erregen. Der im Film eingespielte Dickjan Poppema, Chef der Agentur Grey, findet die Debatte völlig überflüssig. Nackte Haut sei aus der Werbung nicht wegzudenken.

Eine Streitbare
Birgit Kelle: Ein Muttertier
Zunächst aber mal Respekt vor Zuschauerinnen, die bei Böttinger auf eine Weise offen über selbst erlebte Vergewaltigungen sprechen und damit die Notwendigkeit der Debatte betonen. Narben bleiben für immer, erfährt man. Es ginge um Macht. „Um sexuelle Gewalt von oben nach unten“, hatte Silke Burmeister gesagt. Es scheint also so, als wäre Sexismus eine Begleiterscheinung der immer noch bestehenden Vorherrschaft der Männer im Berufsleben. Aber können Quoten wirklich Sexismus verhindern? „Wer ist die Instanz, zu entscheiden, was Sexismus ist?“, fragt Kelle. „Eben das wird gerade neu verhandelt“, wird sie von Burmeister erinnert.

„Sexismus passiert immer im Kontext, in einer Welt, in der Frauen noch nicht gleichgestellt sind“, weiß Frau Schmiedel. Aber was ist das dann bei Böttinger eigentlich? Hier findet also eine Diskussion statt, die tatsächlich Sinn machen würde, wenn es um ganz Europa eine unüberwindbare Mauer gäbe. Geradezu eine Luxusdebatte westlicher Gesellschaften, die heute einer Massenzuwanderung gegenüber stehen, die in Zukunft ganz andere Fragen aufwirft. Basische. Fragen, auf die Europa bisher stolz war, Antworten gefunden zu haben im Zusammenleben. Fragen, die nun offensichtlich wieder neu gestellt werden müssen.

Ja, der Status Quo in Europa ist vakant gestellt. Natürlich ist der Kontinent nicht frei von Sexismus. Sonst säße man bei Böttinger nicht zusammen. Aber die Sache ist dringlicher geworden, jetzt, wo Männer aus archaische Kulturen, aus muslimische Kulturen nach Europa drängen und das hier etablierte Zusammenleben zwischen Frau und Mann, ja sogar die Debatten darum neu auf den Prüfstand stellen. Neue Player setzen einen mühsam – übrigens auch über Jahrhunderte gegen die christlichen Kirchen – errungenen Common Sence außer Kraft, der hier in der Sendung aber Basis der Diskussion ist. Man diskutiert also ein stückweit an den Realitäten vorbei – eine Wohlfühlblase?

Nun merkt eine Zuschauerin an, dass Frauen auch dafür zuständig seien, Grenzen zu setzen. Das ist insofern interessant, da doch der überwiegende Teil der Männer als Jungs von Frauen erzogen wurde, bis hin zu den Kindergärtnerinnen und Grundschullehreinnen. Da steht dann die Frage im Raum, woher dann dieses oft so falsche Frauenbild bei Männern kommen soll. Was haben hier die Erzieherinnen falsch gemacht, was liegt in der Natur der Sache? Aber darf man nun wieder den Frauen den schwarzen Peter zuschieben?

Misandrie
Ist es Männerhass?
So ungefähr die Diskussion bei Böttingers „Ihre Meinung“. Frau Kelle erinnert daran, dass immer noch die Mehrheit der Frauen erwartet, dass der Mann den ersten Schritt macht in der Anbahnung. Ist das wirklich noch so? Oder einem konservativen Weltbild geschuldet? Jedenfalls setzt Birgit Kelle darauf, Töchter selbstbewusst zu erziehen. Frau Schmeidel wird dazu eingeblendet, als hätte sie frontal in eine Zitrone gebissen. Eine junge Frau berichtet aus den sozialen Medien, das sich dort schon 13-, 14-jährige Mädchen freiwillig zum Sexobjekt machen würden. „Warum machen die das? Warum wundern die sich, wenn sie sexistische Nachrichten bekommen?“ Sexiness versus Sexismus?

„Wenn ich mich als Frau für den Playboy ausziehe oder wenn ich Prostituierte bin, dann ist das selbst gewählt, dann ist das etwas anderes, als wenn ich mich in der Werbung in solchen Motiven wiederfinde.“, erklärt Burmester einem gesetzteren Zuschauer im Saal. Gut, das ist eine sportliche Ansage, wenn man bedenkt, dass Schätzungen davon ausgehen, dass Prostitution in der überwiegenden Zahl alles andere als eine selbst gewählt Tätigkeit ist. Hier wirken soziale Ungleichheit, bittere Armut und Zwang mindestens ebenso.

Der Playboy-Texter erklärt nun seine Nacktmodell-Klappbilder als offensives Eintreten der Frau für eine weibliche Sexualität. Damit hätte alles begonnen. OK, das ist sportlich. Hugh Heffner quasi als Vater des Feminismus. „Sex und Sexismus darf man nicht verwechseln.“, weiß Philip Wolff. Es gäbe stabil in allen westlichen Gesellschaften sechs Prozent Psychopathen, denen alles egal ist in Sachen soziale Interaktion. Das ist interessant, besonders auch seine Einhegung auf den Westen. Was aber ist hinter diesem westlichen Vorhang los ist, der sich für Europa seit Ende 2015 so rasant gelüftet hat? Was kommt da auf uns zu?

Klar bleibt wohl, diese Feinjustierung zwischen Distanz und Nähe im Umgang der Geschlechter ist eine kulturelle Errungenschaft des Westens. Was hier schlechtgeredet wird, kann immer noch schlechter werden. Die Gefahr war wahrscheinlich sogar noch nie so groß wie heute. Und diese Errungenschaft ist auch eine, die täglich neu verhandelt werden muss auf der Basis des Erreichten.

Nein, nicht Burmester erfüllt am Ende die Erwartungen ihrer vielen Freunde im Facebook und Twitter, ein Rentner am Tisch wirft Kelle vor, was diese schreibe und sagte, sei „völliger Unsinn“. Seine Enkeltöchter sollen gleichberechtigt aufwachsen. Er wette darauf, Männer gingen nicht unter, wenn Frauen gleichberechtigt wären. „Man muss nicht jede Arbeitsstelle annehmen“, bittet er die Mädchen und jungen Frauen, „man muss sich rumdrehen und gehen“, wenn ein zukünftiger Vorgesetzter Grenzen schon im Vorstellungsgespräch überschreitet. Birgit Kelle retourniert, ihr hätten viele Männer in hohen Positionen geschrieben, die überhaupt keine Einstellungsgespräche mehr führen würden, wenn keine Sekretärin mit im Raum wäre. Sie berichtet von Weihnachtsfeiern, wo sich Vorgesetzte gegen Frauen zur Wehr setzen müssten, die sich ihnen angetrunken auf den Schoss setzen würden und von so genannten Kanzelschwalben, von Frauen, die um Geistliche herumschwänzeln würden.

Nun gut, hier könnte man nun einen Relativierungsversuch erkennen zwischen ein paar in den Pfarrer verliebte Hausfrauen und dieser entsetzlichen tausendfachen Vergewaltigung von Chorknaben durch Geistliche. Aber das scheint eben Teil dieser Debatte zu sein: Man bespricht eine Oberfläche, muss man zunächst auch, aber die Wurzeln gehen viel tiefer und in viele verschiedene Richtungen.

Der Konflikt verschärft sich
Die Kultur-Wende
Es steht also außer Frage: Es ist noch viel zu tun, wenn man sich hohe Ziele setzt. Und es ist heute schon überdeutlich geworden, dass die Herausforderungen der massiven Zuwanderung diese Debatte noch massiv beschweren. Lösungsansätze werden zukünftig im Niveau deutlich herabzusetzen sein. Frauen, die belästigt wurden oder denen schlimmeres widerfahren ist, werden mit solchen Sätzen zu Recht wenig anfangen können, aber möglicherweise werden sich die Debattenteilnehmer noch nach einer gemeinsamen Basis, nach der hier im WDR gezeigten Debattenfähigkeit und Konsensbereitschaft zurücksehnen.

Abschließend vielleicht noch die Frage, was dieses ganze Vorab-Getrommel von feministischen Journalistinnen wie Silke Burmeister eigentlich bedeuten soll, wenn sie im Vorfeld konservative Autorinnen wie Birgit Kelle zu düsteren Protagonistinnen hochtwittert, denen man es dann aber in der Sendung mal zeigen will, um Birgit Kelle dann allerdings an Ort und Stelle nicht einmal ansatzweise in den Diskurs zu ziehen. Wenn die Gefahr Mann aber so groß ist für die Frau, wie die Gefahr Kelle für Burmester sein soll, dann darf man sich als Mann getrost weiter im Fernsehsessel zurücklehnen.

Wenn man Töchter hat, die man gegen sexistische und übergriffige Männer zu gleichberechtigten und schlagfertigen Menschen erziehen sollte und will, wartet noch viel Arbeit auf Väter. Und die Burmesters dieser Welt wird sie uns nicht abnehmen, denn die haben mit sich selbst und mit ihrer Stellung in der Welt offensichtlich genug zu tun. Bettina Böttinger übrigens hat ihre Arbeit richtig gut gemacht. Jedenfalls, wenn man Illner, Will und Maischberger gewöhnt ist. Dann lernte man hier gerade, dass es auch anders geht. Besser.