Tichys Einblick
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Berliner Runde: Statt Politik geht die Geister-Jagd weiter

Die SPD mag nicht mehr. Kein Profil mehr auf den Reifen und der Luftdruck nur noch bei 20 Prozent. Gemeinsam weiterfahren absolut unmöglich. Aber einer wird den Karren aus dem Dreck ziehen müssen.

Screenprint: ZDF/Berliner Runde zur Bundestagswahl 2017

Die Alternative für Deutschland zweistellig im Bundestag – am Wahlabend deutete leider vieles darauf hin, dass die etablierten Parteien gar nicht so traurig darüber sind. Können Sie doch weiter auf Faschismus-Geister-Jagd gehen, anstatt endlich ihrer eigentlichen Aufgabe gerecht zu werden. Und Frauke Petry desertiert schon am ersten Tag nach der Wahl, eine bessere Vorlage kann es kaum geben. Zunächst allerdings wollte Alexander Gauland auf Jagd gehen. Und er benannte Ross und Reiterin.

Bei aller Klarheit des Wahlergebnisses: Das Chaos, das diese Auszählung hinterlässt, könnte doch kaum größer sein. Mag vieles, was unmittelbar nach Bekanntgabe der ersten Prognose von den Parteispitzen geäußert wurde, auch einer Übersprungshandlung geschuldet sein, so deutet doch alles darauf hin, dass wir uns in den kommenden vier Jahre auf eine Trumpisierung der Debatte einrichten können mit Stoßrichtung AfD-Fraktion. Eine Jagd – oder?

Na, das fängt ja gut an
Anne Will nach der Bundestagswahl: Von schlechten Verlierern und Krisengewinnlern
Erklärte Olaf Scholz in den Tagesthemen noch für die SPD, man sei nun erst einmal „gemeinsam traurig“, nahm Martin Schulz der AfD erstmal die Oppositionsführungsrolle weg. Seine Begründung für die Aufkündigung der großen Koalition war also nicht etwa die desaströse Arbeitsleistung der GroKo: Er wolle der AfD nicht die Oppositionsführerschaft überlassen. So klang dann alles wie im Hinterzimmer ausgeschangelt: Angela macht’s jetzt mal mit Lindner und den Grünen und wir machen Opposition. Hauptsache gemeinsam bekommen wir den Stein aus dem Bundestagspantoffel.

In den Gesprächsrunden der Wahlberichterststattung, in einer aufgeregten Elefantenrunde bis hin zu Anne Will wird der Kurs im neuen Bundestag bereits von den etablierten Parteien vorgezeichnet: Hauptaufgabe im Parlament wird zukünftig die Einhegung, der – hüstl – antifaschistische Kampf gegen die AfD-Abgeordneten sein. Jagd – oder?

Nein, es gibt überhaupt keinen Grund, sich etwas Positives zu erhoffen vom Einzug der AfD in diesen Bundestag mit fast einhundert Abgeordneten, wenn ihnen eine Partizipation an der parlamentarischen Arbeit, wenn ihnen der nötige Raum auch für Lernprozesse von den etablierten Parteien nicht eingeräumt werden soll.

Offensichtlich soll dieser schäbige Wahlkampf einfach vier Jahre weitergehen. Eine Art Übergangsparlament, ein Kampfparlament gegen die AfD solange, bis Angela Merkel in Rente geht. Ein Debakel für die Demokratie, denn gerade jetzt stehen die große Themen an, allen voran die Themen Zuwanderung und Integration. Und es mutet schon seltsam an, wenn die Kanzlerin Probleme benennt, die sie nun lösen muss, aber offensichtlich viele davon selbst verursacht hat. Das bleibt doch beim Bürger hängen.

Natürlich, man könnte den Auftritt von Martin Schulz in der Elefantenrunde auch als Veitstanz im Porzellanladen abtun. Aber was Schulz da in seiner schwächsten Minute seit Betreten der Wahlkampfarena offenbart hat, war dann doch etwas anderes, als ein großes Einvernehmen über die neue Rollenverteilung der Etablierten. Hier sprach der Beleidigte, der vom Wahlvolk abgestrafte.

Die Spaltung geht weiter
Parteiensystem: Der nächste Wahlkampf hat eben begonnen
Schulz schilderte das Modell GroKo mit SPD in der Bundesregierung aus der kleingeistigen Perspektive des verlassenen und beleidigten Ehemanns. Er unkte in Richtung Jamaika-Koalition, also an die Adresse Lindner und Göring-Eckardt gewandt, abfällig: Keine Sorge, keine Sorge, sie macht es mit allen. Dafür hat sie den „Ideenstaubsauger“. Den kenne er schon zur Genüge, er könne sich noch gut an seine Koalitionsverhandlungen erinnern. Mit anderen Worten: Ich hatte sie schon. Ich weiß, was ihr bekommt. So verlässt also Martin Schulz seinen Kanzlerkandidatenposten: Vom Spielfeld ausgewechselt als Nachtreter.

Aber Angela Merkel ist schon so lange im Amt, sie kennt die Gefühlsausbrüche sozialdemokratischer männlicher Verlierer schon von Gerhard Schröder, als der an selber Stelle schon einmal der künftigen Kanzlerin gegenüber saß, aber seine Verliererrolle partout nicht wahr haben wollte, weil das Wahlkampf-Testosteron noch zu sehr in ihm brodelte. Und Schröder hatte weiß Gott mehr Testosteron als Schulz zur Verfügung, der im Studio mit einem Rest Hinterherhechel-Adrenalin vorlieb nehmen musste. Aber das Zielfoto ist dieses Mal nicht interpretierbar, der SPD-Kandidat liegt auf der Aschenbahn.

Vom Testosteron zum Adrenalin, zu Christian Lindner. Nach der AfD, nach Weidel und Gauland der zweite große Gewinner der Wahl. Die Grünen sind Angela Merkel zwar politisch längst näher, aber der junge Heißsporn aus NRW hat seine Aufgabe am besten bewältigt. Man merkt ihm den Husarenritt der letzten Wochen kaum an. Er hat sogar noch die Kraft, so zu tun, als interessiere ihn der Posten des Superministers im zukünftigen Kabinett Merkel nicht einmal, schmeichelt sich dann aber doch gleich ein paar Sonnenblumenfelder näher an Katrin Göring-Eckardt heran, als diese kurz versucht, erste Unüberbrückbarkeiten in der Umweltfrage zwischen FDP und Grünen herauszuarbeiten. Peace, „Kein Problem!“ signalisiert Lindner.

So möchte der FDP-Chef die zukünftigen Spielregeln vorgeben. Kennt er die Grünen gar nicht? Schulz hatte also Recht, als er bereits zynisch prophezeite, zumindest der Zeugungsakt der Koalitionen sei doch mit Merkel ein Kinderspiel.

Bundestagswahl 2017
Merkel-Dämmerung
War es in der Elefantenrunde noch ein unantastbarer Teflon-Wahlsieger Jörg Meuthen, bekam Alexander Gauland bei Anne Will wieder die gewohnte Rolle des Buhmanns, weil er zuvor auf der Wahlparty der AfD angekündigt hatte, Merkel von nun an „jagen“ zu wollen. Anne Will hakte sofort ein und machte ihrerseits klar, dass sie gerne bereit sei, die Trumpisierung des Diskurses gegen die AfD in den kommenden vier Jahren im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wohlwollend zu begleiten. Auch hier bewirbt sich also schon eine um die Führungsrollen der Jagd auf die AfD auf Medienseite. Die Herrschaften kennen keine jüngere Geschichte, als DER SPIEGEL 1994 den Grünen-Sprecher Ludger Volmer zitierte, der die Jagd auf Kohl eröffnete.

Screenprint: Spiegel

Dumm nur, das zuvor in der Elefantenrunde der Spitzenkandidat der CSU, Joachim Herrmann, den Öffentlich-Rechtlichen vorgeworfen hatte, diese hätten die AfD erst groß gemacht. Alles also beim alten. Aber was hat Angela Merkel unter den Bedingungen in den nächsten vier Jahren vor? Wie will sie endlich Politik gestalten, wenn sie alle Kraft und Mühe darauf verwenden muss, diese unberechenbare Jamaika-Koalition im Zaum zu halten – noch dazu mit einem Horst Seehofer, der vor den Landtagswahlen die offene rechte Flanke in Bayern schließen will?

Die SPD mag nicht mehr. Kein Profil mehr auf den Reifen und der Luftdruck nur noch bei 20 Prozent. Gemeinsam weiterfahren absolut unmöglich. Aber einer wird den Karren aus dem Dreck ziehen müssen.