Tichys Einblick
"Die Schicksalswahl"

Bei Maischberger: Vom „Ausdeutschen“ nationaler Begehrlichkeiten

Die EU hat viel zu tun, aber sie erschöpft sich - das zeigt diese Runde hinreichend - darin, Schattenboxkämpfe gegen eine Gefahr von Rechts zu führen, die allerdings mit jedem neuen Boxkampf nur noch stärker wird.

Screenprint: ARD/maischberger

Den schönen Begriff „ausdeutschen“, schon Mal gehört? Nein, damit ist nicht gemeint, den Geldbeutel der dummen Deutschen zu quetschen, bis der Euro-Saft in Strömen herausläuft; mindestens die Luxemburger meinen damit, erfahren wir bei Maischberger von der christdemokratischen ehemaligen luxemburgischen EU-Kommissarin Viviane Reding, „ausdeutschen“ meint Vorgänge, wenn etwas zu penibel wird. Lacht Europa auf diese Weise über die Deutschen?

Wahrscheinlich wäre dass das geringste Problem. Denn wenn sich beispielsweise die polnische Journalistin Alexandra Rybinska bei Maischberger über die Behandlung der Polen beklagt, insbesondere über Strafandrohungen und EU-Verfahren, die sich u.a. mit der fehlenden Unabhängigkeit der obersten polnischen Gerichtsbarkeit befasst, dann muss man sich immer wieder neu vergegenwärtigen, dass hier die EU kritisiert wird und nicht Deutschland. Ist dieses Merkel-Deutschland in Polen schon zum Synonym für die Verwerfungen der EU insgesamt geworden?

Kritik unerwünscht
Einwanderungskritikerin - und raus bist DU
Wie viel Merkel ist die EU eigentlich? Maischberger fragt: „Die Schicksalswahl: Ist Europa wirklich in Gefahr?“ Ihr konservativer polnischer Gast steht zwar mit dem Rücken zur Wand, wenn man sich im Verlaufe der Sendung die Haltung der weiteren Gäste zur EU anhört, aber Frau Rybinska stellt auch unmissverständlich klar, dass in Polen die überwiegende Mehrheit der Leute keine Alternative zur EU sieht. Nein, hier droht kein polnischer Brexit. Bissig wirft Viviane Reding ein, das mag wohl auch an den satten zweistelligen Milliarden liegen, die Polen Jahr für Jahr von der EU kassiert. Aber den Wackelzahn bekommt sie von Frau Rybinska gleich gezogen, als die wiederum diese Summe als Gegenleistung dafür sieht, dass Polen sich für den europäischen Markt geöffnet hätte. Seitdem hätten viele europäische Firmen in Polen gutes Geld verdient.

Wahr oder unwahr, das stimmt vor allem traurig, wenn nur solche Win-Win-Geschäfte der eigentliche Kitt dieser großen Gemeinschaft auf dem Kontinent sein sollen. Liegt es daran, dass die europäische Rechte zu vehement den kulturellen gemeinsamen europäischen Nenner beschwört, dass sich sonst keiner mehr traut, darauf abzuheben?

Blickt man nach Polen, scheint nämlich genau dies das trennende Moment geworden zu sein: Ein Reload kultureller Unterschiede. Der unverdrossene deutsche Merkel-und-Habeck-Wähler beispielsweise scheint sich in für Polen zunehmend beunruhigender Weise nach nichts mehr zu sehnen, als nach der Auflösung von Werten, die noch das Etikett Made in Germany tragen, während der mehrheitlich katholische Pole mit dem kulturellen Brandeisen durchs Land zu ziehen scheint und überall bissiger Dampf aufsteigt.

Die Polen werden von Jarosław Kaczyńskis Partei „Recht und Gerechtigkeit (PiS)“ regiert. Der ist zwar lange nicht mehr Regierungschef, gilt aber als die graue Eminenz im Land. Er ist der mächtige Mann in Polen ohne Amt. Nationalkonservativ, streng katholisch. Aber mit Blick auf Deutschland ist er noch mehr: Kaczyński und sein verstorbener Bruder sind die Söhne eines Teilnehmers am Warschauer Aufstand gegen die verhasste wie mörderische deutsche Besatzung. Eine Skepsis gegenüber dem Nachbarn und Bigplayer der EU ist ihm möglicherweise noch einmal mehr in die Wiege gelegt.

Nüchtern betrachtet
Friede - dank oder trotz EU?
Alexandra Rybinska gegenüber sitzt der WELT-Europakorrespondent Dirk Schümer, die FDP-Spitzenkandidatin Nicola Beer und die Wiener Spitzenköchin Sahra Wiener, die für die österreichischen Grünen bei der EU-Wahl ins Rennen geht und bei Maischberger vortrefflich demonstriert, warum Frauen in die Küche gehören. Ach Quatsch: Die vortrefflich demonstriert, warum sie besser in ihrer sonst von Männern so dominierten Spitzenkoch-Küche geblieben wäre, wenn es kaum zu ertragen ist, wie es eine Person alleine schafft, so viele rotgrüne Stereotype hintereinander abzuspulen, dass einem ganz schwindelig dabei wird. Einmal wird sie einen längeren Redeschwall haben dürfen, der in der Hauptsache eine Idee von Frau Wiener hinterlässt: Nein, unter dem Regiment dieser Dame möchte man nicht in einer gemeinsamen Küche kochen.

Viviane Reding ist leider schwer erträglich. Die 2018 aus dem Europaparlament ausgeschiedene ehemalige EU-Kommissarin engagiert sich heute u.a. in einem Think Tank namens „European Horizons“. Der will Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und Religion über die Zukunft Europas nachdenken lassen und automatisch gehen da alle Alarmsirenen los. Reding hat die Aura eines Helmut Kohl, auch bei ihr schwingt in dieser ganzen Gestrigkeit etwas unheimlich Selbstbewusstes mit, von dem man ahnen will, dass es noch lange Teil des europäischen Problems sein wird, wenn dieses Europa nach der Vision des großen deutschen Staatsmannes längst Geschichte ist und hier plötzlich wieder zu atmen beginnt, weil das weiche Kissen fehlt.

Von Kohl zu Merkel: Bei Maischberger schwebt über allem ungenannt die Politik der Kanzlerin quasi als Erdbeben unter dem Fundament der europäischen Gemeinschaft. Udo von Kampen ist neben Schümer und Rybinska der dritte Journalist in der Runde. Und er könnte auch so etwas wie der Hofberichterstatter für Viviane Reding sein, wenn er so unermüdlich vergangene Erfolge dieser EU am Abgrund, dieser wehrlosen, dieser für Millionen Migranten offenen Scheunentor und nun von Großbritannien getrennten Gemeinschaft, wenn er dieses supranationale Konstrukt nur immerzu feiert, wo es möglicherweise nur noch darum geht, ein gute Idee zu entwickeln, wie diese EU als Bündnis von Nationalstaaten noch schlagkräftig genug bleibt, weltwirtschaftlich zu bestehen und kulturell nicht unterzugehen, indem ein neuer Kulturbegriff geformt wird, der sowohl integrativ innerhalb wie auch maximal abgrenzend nach außen wirken kann.

TE-Podcast Folge 4
Der Klimawandel als Hebel zur Einführung der Global Governance
Die EU hat viel zu tun, aber sie erschöpft sich – das zeigt diese Runde hinreichend – darin, Schattenboxkämpfe gegen eine Gefahr von Rechts zu führen, die allerdings mit jedem neuen Boxkampf nur noch stärker wird. Von von Kampen bis Schümer, die Lösungsvorschläge sind hier einfach zu banal, wenn letzterer beispielsweise empfiehlt: „Wir müssen mehr miteinander reden, wir müssen wieder mehr aufeinander zu gehen“, wie sein Arbeitgeber WELT heute früh in einer Nachlese zitiert, als hätte Schümer damit einen Goldschatz aus der schwiemeligen Debatte bei Maischberger gehoben.

Hier muss dann kaum noch erwähnt werden, dass die Moderatorin es sogar noch schafft, der Polin, die alleine auf ihrer Seite der Debatte steht, das Wort mehr als einmal abzuschneiden. Doch, doch, das ist alles sehr ermüdend, zumal, wenn so eine Sendung bis fast ein Uhr in der Früh ausgestrahlt wird.

Immerhin auffällig vielleicht der hohe Frauenanteil, wenn fünf Frauen zwei Herren gegenüber sitzen: ungewöhnlich ja, es hat aber leider auch keinen erhellenden Effekt. Versuchen wir mal kurz, uns vom rosafarbenem Hemd des WELT-Journalisten loszureißen, wie die Maus von der Schlange und kommen zur allzeitsympathischen Nicola Beer. Der immerhin muss man eine erstaunliche Frische bescheinigen. Wer schon so lange im Geschäft ist und wem es dann noch gelingt, so engagiert wenig Angreifbares, aber mit Überzeugung zu erzählen, der weiß wirklich, was er kann. An der FDP-Spitzenkandidatin scheitert sogar Maischberger, wenn sie mehr als einmal erfolglos versucht, diese verbale EU-Zuckerwatte beim Überquellen abzuschneiden. Beispiele gefällig? Zu den rebellischen osteuropäischen Mitgliedern meint Beer:

„Ich finde, man muss viel stärker im Gespräch sein (…) Ich glaube, einem Politiker wie Hans Dietrich Genscher aber auch Klaus Kinkel oder Guido Westerwelle, wäre das nicht passiert. (…) Das waren aber gerade Politiker, die auf Augenhöhe mit Ländern agiert haben, egal, wie klein sie waren oder wie kurz oder wie lang sie schon in der europäischen Union waren. Die vorher geredet haben und erst einmal versucht haben, so einen Blickwinkel mit einzubeziehen.“

Einladung zur Diskussion
„EU“: Warum der Europäische Gerichtshof („EUGH“) nicht legitimiert ist
Ach herrje, dieses dreifache R.I.P. ehrt die jung Gebliebene möglicherweise parteiintern, aber wie sollen solche Grußadressen hinauf auf Wolke Sieben heute noch einen Greta-Verrückten, nein Greta-Beglückten 18-jährigen Jungwähler für diese EU begeistern? Höchstens noch deshalb, weil mit dem Gespenst eines neuen Nationalismus wie bei der Klimakatrastrophe ebenfalls auf die Idee einer heranrauschenden Apokalypse gesetzt wird.

Die politische Suppenköchin in der Runde ist hier übrigens klar im Vorteil, wenn in Österreich schon ab 16 Jahren gewählt werden darf. Zwar ziehen deshalb nicht mehr Abgeordnete nach Brüssel, aber möglicherweise mehr Grüne, wie Wiener eine sein will.

Wussten Sie es? Brüssel kommt übrigens vom altniederländischen „Brouscella“, was Siedlung im Sumpf bedeutet. Darf der Autor es hier selbstverliebt zu fragen wagen: Kann man so eine Besprechung eigentlich erhellender auslaufen lassen?