Tichys Einblick
Türken in Deutschland: Immer noch Bürger 2. Klasse?

Bei Maischberger: Geht Integration, wie und wie lange dauert das?

Offenbar ist es immer noch einfacher, sich als Türke in Deutschland und Türkischstämmiger mit der Türkei zu identifizieren als mit Deutschland, wenn nicht gerade WM gewonnen wird.

Screenshot: ARD/Maischberger

Sandra Maischberger fragte, ob Türken in Deutschland Bürger zweiter Klasse sind. Diese Frage hört man in letzter Zeit oft, wenn es darum geht, zu ergründen, warum bei uns prozentual mehr Türken für Erdogans Referendum gestimmt haben als in der Türkei selbst.

Nun hätte man es sich einfach machen und die wählenden Türken befragen können und eine Analyse machen. Hier nun der gängige deutsche Weg über die Selbstbezichtigung: Sind wir Herkunftsdeutschen schuld an dem Desaster? Denn dass diese Stimmen für einen starken Erdogan ein Desaster waren, da sind sich ja alle einig. Alle? Talkgast Ozan Ceyhun sieht das anders. Der kam als Student nach Deutschland, war bei den Grünen, dann bei der SPD und er hätte für das Referendum gestimmt, aber nicht unbedingt für Erdogan. Die Sache scheint also doch komplizierter als hierzulande angenommen.

Weitere Gäste sind der deutsch-türkische Schauspieler Tayfun Bademsoy, Julia Klöckner, stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, Bilkay Öney (SPD) die frühere baden-württembergische Integrationsministerin, wie der Name schon andeutet türkischer Abstammung, außerdem Susanne Schröter, die ist Direktorin des „Forschungszentrums Globaler Islam“ an der Frankfurter Goethe-Universität.

Maischberger startete allerdings mit dem dankenswerterweise abwesenden Christian Lindner. Der FDP-Chef gab nämlich gerade den Gauland und arbeitete sich an den Migranten-Söhnen in der Nationalmannschaft ab, namentlich an Mesut Özil, der doch die Nationalhymne der Deutschen mitsingen sollte. Na gut, das sagt wenig Neues über Özil aber viel über die Verzweiflung der FDP vor der Bundestagswahl.

Sowieso kommen viele Herkunftsdeutsche durcheinander, wenn es darum geht, mal auszusagen, wie viel Deutscher der türkischstämmige Nachbar eigentlich schon ist. Man weiß es ja nicht, wenn man nicht fragt: Ist der Nachbar nun schon Deutscher, nur Deutscher oder noch Türke und Deutscher oder doch ausschließlich noch Türke? Viele Deutsche mit deutscher Herkunft waren sogar überrascht, dass es überhaupt noch so viele gibt, die schon so lange hier leben und noch den türkischen Pass besitzen, also für oder gegen das Referendum stimmen konnten.

Nun möchte Maischberger mit Ihrer Themenstellung gerne empathisch an die Sache herangehen. Sind Türken Bürger zweiter Klasse? Sind sie?

Helds Ausblick 9-2017
Das Scheitern der Integrationspolitik
Ein Flüchtling aus Syrien hatte aus Dankbarkeit seine neugeborene Tochter „Angela“ genannt. Die hier geborenen Deutschen türkischer Herkunft, Achmed, Ilhan und Aishe, heißen aber immer noch nicht Martin, Christian oder Julia. Ist das ein erster Hinweis? Offensichtlich hat der Syrer mit seiner Angela eine andere Herangehensweise gewählt, hier anzukommen. Immer noch müssen sich auf deutschen Ämtern Beamte die Namen der türkischstämmigen Deutschen buchstabieren lassen. Ein Versäumnis der Beamten? Müssen die mehr türkisch lernen? Aussprache, Namen usw.?

Und wenn ein Jörg Meuthen auf dem AfD Parteitag in Köln bemängelt, er sehe in seinem Heimatort auf der Straße „nur noch vereinzelt Deutsche“, dann spielt hier ja auch die Physiognomie eine Rolle. Dann identifiziert der Politiker anhand von äußerlichen Merkmalen wie dunkles Haar, dunkle Augen usw. den „Ausländer“. Dann ist das womöglich schon in den Augen vieler eine „rassistische“ Bemerkung. Denen muss man allerdings attestieren, dass dieses optische Auswahlkriterium für das Deutschsein 2017 immer weniger funktioniert als noch 1960.

Aber zurück zu Maischberger: Tayfun Bademsoy findet, dass kein kluger Mensch für Erdogan sein könne. Das ficht Evet-Sager Ozan Ceyhun nicht weiter an, denn er unterscheidet merkwürdigerweise zwischen Referendum und Erdogan. Er sei für die Verfassung aber deshalb nicht automatisch für Erdogan.

Susanne Schröter lässt ein Argument nicht gelten: Es sei überhaupt nicht klar, für was die, die nicht gewählt hätten, aber hätten können, ständen. Diese große Gruppe automatisch zu den Referendum-Gegnern zu rechnen, sei schlicht falsch, Bilkay Öney läge also falsch, wenn sie diese Rechnung aufmacht, wenn sie automatisch eine große Gegnerschaft unter den Nichtwählern unterstellt.

Ozan Ceyhun wundert sich, warum irgendjemand glaubt, er hätte gegen Deutschland gestimmt, weil er für das Referendum war. Da sei er ganz „baff“. Susanne Schröter weiß, dass die Türken in den USA deshalb zu über 80 Prozent gegen das Referendum gestimmt hätten, weil das großteils hoch gebildete Einwanderer waren. Haben wir also in Deutschland die falschen Türken bekommen? Ozan Ceyhun jedenfalls ist hoch gebildet.

Übernahme statt Integration
Das Impulspapier zur Desintegration – Özoguz lässt die Maske fallen
Claudia Roth, eine der Hauptverantwortlichen für den Abwärtstrend der Grünen Richtung Bedeutungslosigkeit, hatte uns Deutschen die Schuld gegeben. Wir hätten zu wenig für die Integration getan. Julia Klöckner stellt nüchtern fest, dass pure Addition von Vielfalt noch lange kein gemeinsames Wertefundament ergäbe. Natürlich gäbe es Erfahrungen der Ausgrenzung, aber es gäbe auch umgekehrte Erfahrungen. Klöckner hält nichts von diesem Opferdenken: Wenn Deutschland wirklich so sei, dann hätten nicht Millionen hier herkommen wollen. Bilkay Öney sagt über Claudia Roth: „Ich mag ihre Empathiefähigkeit und dass sie sich in Menschen hineinversetzen kann.“ Und sie findet, dass Integration Zeit bräuchte. Aber wie viele Generationen müssen noch ins Land gehen, bis Integration erfolgreich passiert?

Auf der anderen Seite dann Tayfun Bademsoy, der glaubwürdig schildert, dass er, als er 1969 als Kind nach Deutschland kam, etwas erlebte, das für ihn bis heute ein Trauma ist. Ja, viele vergessen das gerne: Das Deutschland von damals war ein ganz anders, als das von heute. Viele Konservative hängen dieser Zeit heute aus anderen gründen nach. Für Bademsoy war sie allerdings geprägt von Diskriminierung, Beleidigungen und Erniedrigung. Kümmeltürke, Knoblauchfresser – man kann es sich vorstellen.

Der Junge wurde von Mitschülern angespuckt, ausgegrenzt, selbst die Lehrer halfen nicht weiter. Ja, auch das darf man nicht übersehen, das muss man einfach zur Kenntnis nehmen. Auch das ist unser gemeinsames Erbe. Eines, das heute den Umgang miteinander auf diese oder jene Weise geprägt hat. Erfahrungen werden weitergereicht. An die kommende Generation. Dass weiß jeder, der Kinder aufzieht. So muss man sich wohl auch erinnern, dass noch in den 1970ern Wohnungen oft mit dem Satz vermietet wurden: „Nur für Deutsche“ oder „Keine Türken“. Das mag seine Gründe gehabt haben, aber so etwas hatte natürlich auch eine prägende Wirkung auf die so Angesprochenen.

„Egal was man tut, man wird nicht Deutscher“, sagt Ozan Ceyhun. Wer will da widersprechen? Natürlich müsste sich die Gesellschaft weiter öffnen, wenn das eines Tages passieren sollte. Und dass sich Gesellschaft verändern kann, zeigen die unsäglichen Kindheitserfahrungen eines Tayfun Bademsoy. So etwas wäre heute sicher kaum noch möglich. Es ist also eine Frage des fehlenden Willens. Und hier kann man durchaus sagen: auf beiden Seiten. Beide wollen nicht so recht. Die einen mehr, die anderen weniger.

Liegt es daran, dass nach wie vor der heilige Gral eine Form der Assimilation sein soll, die für beide Seiten untragbar ist? Vielleicht gibt es ja eine andere Lösung, die von Respekt getragen ist und trotzdem den Türken in Deutschland ihre Identität lässt, die sich von unserer unterscheiden darf. Das könnte die Aufgabe der Zukunft sein. Den Begriff Integration neu zu definieren. Kleiner zu denken. Räume aufzulassen. Dieses Gefühl positiv zu eliminieren, der Türke in Deutschland fühle sich gefangen zwischen zwei Welten.

„Dann geht doch rüber!“, ist eine Polemik, die schon zu DDR-Zeiten nicht funktioniert hat. Noch ist es offensichtlich nicht möglich, das Türkischstämmige, die hier geboren sind, eine Affinität zur Türkei behalten ohne dabei gleichzeitig respektlos gegenüber Deutschland zu sein oder diesen Eindruck beim Herkunftsdeutschen zu hinterlassen. Und Erdogans Türkei ist hier ganz sicher ebenso Öl ins Feuer, wie die Re-Islamisierung vieler hier lebender Türken, der neuen Generation Allah. Junge Mädchen, die offensichtlich mehrheitlich eben nicht mehr gezwungen werden, das Kopftuch zu tragen, sondern es in den Schulen bewusst und freiwillig als identitätsstiftende Abgrenzung zeigen.

Klar wurde bei Maischberger vor allem leider eines: Die Frage ist nicht, wann wir endlich zusammenwachsen, sondern ungeklärt ist seit Jahrzehnten, wie und in welchem Maße das überhaupt von statten gehen soll. Offenbar ist es immer noch einfacher, sich als Türke in Deutschland und Türkischstämmiger mit der Türkei zu identifizieren als mit Deutschland, wenn nicht gerade WM gewonnen wird.