Tichys Einblick
Sie tun sich schwer mit der Wirklichkeit

Bei Maischberger: Chemnitzer Mord im Schatten von Reaktionen auf Reaktionen

Dass der Mord zuerst da war und dann die Demonstrationen, ist genauso wenig im Blick, wie der Unterschied zwischen den einen, die protestieren, und den anderen, die die Konfrontation suchen.

Screenprint: ARD/maiscberger

Ginge es ihr nur um Quoten und Aufmerksamkeit, müsste sich Sandra Maischberger gefreut haben, nach der Sommerpause gleich diesen dicken Brocken „Chemnitz“ hingeworfen zu bekommen. Ursprünglich wollte sie sich gemächlicher in die Arbeit stürzen, angekündigt war eine Diskussion um Plastikmüll mit u.a. Ranga Yogeshwar.

Nun also alles noch mal umgestrickt. Mit dem Ergebnis, dass ein Teil der kurzfristig neu eingeladenen Gäste quasi in der Luft hängen blieben, weil ihr Flugzeug Verspätung hatte. Um nun nicht vor leeren Sofas zu moderieren, und nicht als Linke zwischen zwei pünktlicher anreisenden weiteren Linken zu versauern, blätterte Maischberger wohl in ihrem Gästebuch und fing an zu telefonieren, wer aus dem Einzugsbereich des Kölner Studios kurzfristig die Pantoffeln wieder ausziehen würde. Erfolgreich war sie schon bei Buchstabe B. Ja, er hätte Zeit, er könne kurzfristig kommen, er werde auch nicht mittendrin wieder abhauen, so oder so ähnlich wird es Wolfgang Bosbach zugesagt haben.

Welcher Maßstab wofür?
Chemnitz: Nach Mord Entsetzen über Hooligan-Demo
Start des Talks über Chemnitz also zu viert. Neben dem Unionspolitiker in Rente und seiner roten Hose mit dem hohen Wiedererkennungswert war der freie Journalist Toralf Staud aus Salzwedel pünktlich da, der sich schon länger mit dem Thema Rechtsextremismus beschäftigt, also in der Sendung als Experte vorgestellt wird, ebenso wie Martina Renner, sie ist eine der stellvertretenden Parteivorsitzenden der Linkspartei und wäre sie nicht aus Mainz, sie könnte auch als Ostgewächs durchgehen, ohne dass man nun genau erklären könnte, warum eigentlich. Möglicherweise ist es eine fehlende Abgeklärtheit oder einfach nur diese innere Empörung der zu kurz Gekommenen, die Renner so glaubhaft nach außen kehren kann.

Oder es liegt daran, dass Renner gerade erst aus Chemnitz zurückgekommen ist, wo sie auf der Seite der Linken diese Schlacht bei den Thermopylen gegen eine rechte Übermacht mitmachte und bei Maischberger jetzt jede Gewalt aus den eigenen Reihen vergisst, die sie ja erlebt haben muss, die doch ausführlich im Polizeibericht dokumentiert ist. Im Laufe der Sendung wird sie Utopien malen von „einhundertfünfzigtausend Menschen“, die diesen sechstausend Rechten eigentlich doch hätten gegenüberstehen müssen.

Nun ist das aber fast immer das prozentuale Missverhältnis solcher Fronten, wenn irgendwo beispielsweise die AfD zur Kundgebung ruft und sich Gegendemos bilden. Wenn die Polizei die AfD Kundgebung so abschirmen muss vor gewalttätigen Linken, dass die Mitte der Gesellschaft überhaupt gar keine Chance hat, dort einmal vorstellig zu werden. Notgedrungen bleiben die Rechten bzw. Konservativen dann oft unter sich.

Gefährliches Signal
Chemnitz
Gut, dass Maischberger nur mit drei Gästen beginnen kann. Dieses zweite Trio Infernale, das noch über dem Studio kreist, wird dann nach einer sachlichen ersten Hälfte der Sendung als willkommenes Aupfutschmittel wirken. In der Limo auf dem Weg vom Flughafen zum Studio hängen die Zuspätkommer am Handy, wird einer der drei später erzählen, man hätte gemeinsam dem Maischberger Live-Stream gelauscht. Das muss man sich bildlich vorstellen, wenn der eloquente Salon-Rechte Christoph Schwennicke (Cicero) gemeinsam mit dem adretten AfD-Abgeordneten Tino Chrupalla und der taz-Dame Bettina Gaus im bodenlangen Hippiegewand die Ohren an Schwennickes iphone X pressen oder womit der Cicero-Chefredakteur aktuell telefoniert.

Während die drei also für den Moment eine dieser aufregenden Notgemeinschafts-Freundschaften schlossen – später in der Sendung lächelt Chrupalla ab und an mal fast versonnen hinüber zu Schwennicke, egal, wie pflichtschuldig böse der wiederum über die AfD erzählt – beginnt der als Rechtsextremismusexperte vorgestellte Toralf Staud derweil mit einer faustdicken Unglaubwürdigkeit, wenn er, angesprochen auf den mutmaßlich von Zuwanderern begangen Mord in Chemnitz, mit dem Satz in die Sendung startet: „Ich kenne niemanden, der sagt, wir wollen nur über die Rechte Gefahr reden.“ Schwennicke wird das später relativieren, wenn er über eine lange Reihe von Zeitungsartikeln der Leitmedien erzählt, wo der Mord nach der Empörung über Rechts irgendwann in Absatz fünf oder sechs dann doch noch auftaucht wie eine kleinere Randnotiz.

Toralf Staud berichtet über die Chemnitzer Rechtsradikalen und Hooligans, die auf diesen zwei Demos am Sonntag und Montag zu sehen waren und über die er wissen will, dass sie sich regelmäßig im Wald zu Übungen für Schlägereien treffen, dass da also echte Kampfmaschinen den Polizisten gegenüberstünden.

Staud wird es auch sein, der im Verlauf der Sendung so etwas wie eine Phalanx aus Sicherheitsbehörden und Rechtsradikalen aufmachen will, als Maischberger fragt, wie denn der Haftbefehl veröffentlich werden konnte. Bosbach spricht von einer Straftat, vom Verrat von Dienstgeheimnissen. Wir stellen also fest: Ein Fall von Whistleblower darf das auf keinen Fall sein. Ein Leck ist ein Leak, wenn Politik oder Unternehmen geoutet werden. Wenn die Polizei Informationen zu sparsam ausgibt, ist das noch lange kein Fall für einen Whistleblower in der Chemnitzer Staatsanwaltschaft.

Voll daneben
Hart aber Fair: Chemnitz ist nun überall
Als die drei Zuspätkommer endlich da sind, möchte Christoph Schwennicke erst einmal Ordnung in die Diskussion bringen, sortieren will er. Und zu Recht erinnert er daran, dass zuerst der Mord war und dann die Demo. Ursache und Wirkung, Kausalität usw. Nun hätte man Chemnitz auch noch weiter sezieren können dahingehend, dass auch in der großen Empörungswelle über rechtsradikale Gewalt zu differenzieren ist. Immer wieder wird auf die unsäglichen Hitlergrüße Bezug genommen. Wer sich allerdings die teils wackeligen Videos genauer angeschaut hat, könnte auf die Idee kommen, dass diese ausgestreckten Arme immer erst dann hochschnellten, wenn wieder ein Kamerateam draufgehalten hat, fast so, als wäre der Hitlergruß so was wie ein düsterer Chemnitzer Ersatz-Stinkefinger.

Der AfD-Abgeordnete Tino Chrupalla besteht sogar darauf, dass es keine Hetzjagden gegeben habe. Die allerdings haben die Ereignisse nach dem Mord in Chemnitz erst zur Weltnachricht gemacht, als sogar der Menschenrechtskommissar der UN schockiert nach Sachsen schaute. Erstaunlich wenig Protest in der Runde über diese Behauptung Chrupallas. Lediglich Bosbach verweist auf die Videos, die doch gerade gezeigt wurden. Zu sehen war jener Clip im Hochformat, wo ein Chemnitzer aus der Gruppe heraus einem weglaufenden Menschen u.a. als „Kanaken“ beschimpft, ihm ein stückweit hinterher läuft und wohl noch einen Tritt platziert.

Aber reicht das für die Behauptung von „Menschen jagen“? Eine enorm wichtige Frage, wenn dieser rechte Wahnsinn dem Mord gegenübergestellt werden soll. Tatsächlich unternehmen die Linke aus Mainz und Bettina Gaus im Verlaufe des Abends, immer mal wieder den Versuch, diesen abscheulichen Mord zu relativieren. Tino Chrupalla aber hat dagegen gewichtige Argumente parat, wenn er die sächsische Zeitung „Freie Presse“ zitiert, deren Chefredakteur gegenüber Deutschlandfunk Berichte zurückgewiesen haben soll, wonach es am Sonntag zu Hetzjagden auf Migranten gekommen sei. Auch hier bleibt die Runde seltsam widerspruchslos. Noch merkwürdiger, dass, ausgerechnet als Chrupalla diesen neuralgischen Punkt bespricht, die Aufzeichnung der Sendung für den Moment hakt, als wäre da ein Schnippselchen Film herausgeschnitten worden. Nur eine technische Störung des Gerätes beim aufschreibenden Autor hier? Mal schauen, ob es andere Zuschauer auch so gesehen haben.

Klare Worte: Rainer Wendt im Interview
Gegen Kriminalität helfen Polizei und Recht, sonst nichts
Mitten hinein in das Warten auf die drei, die noch im Flieger kreisen, wird der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf zugeschaltet. Maischberger kann gut mit älteren Herren, das hatte sich schon in Gesprächsrunden mit Altkanzler Helmut Schmidt bewiesen, so leiht sie auch den gemächlich vorgetragenen Worten Biedenkopfs gerne ihr Ohr. Der liefert nun allerdings unabsichtlich etwas ab, das wie eine Steilvorlage für die rechte Seite wirken könnte, wenn er mit Stolz davon erzählt, dass es ohne das Engagement der Bürger nicht gelingen kann, der Staat alleine kann es nicht richten. Zwar bezieht er sich hier auf die „Vertreibung“ der Nazi-Touristen aus dem ganzen Bundesgebiet zu den Jahrestagen des Bombenterrors auf Dresden, aber die Rechte könnte das nun auch für Chemnitz geltend machen, wo das Entsetzen darüber groß ist, dass der Bürger das Recht selbst in die Hand nehmen will.

„Wenn man die Sache dem Staat überlässt und der Polizei, dann wird das nicht gelingen.“, so Biedenkopf. Steiler kann die Vorlage tatsächlich kaum sein.

Schlimm ist, wie weit es Menschen treiben, ihre eigene Sicht der Dinge auf eine Weise gegen alles und Nichts behaupten zu wollen, dass, was dann als Resultat dabei herauskommt, verabscheuungswürdig ist, wenn beispielsweise die Linke Martina Renner die Vorgeschichte zum abscheulichen Mord an dem 35-jährigen Familienvater wie folgt spekuliert: „Was ist auf dem Volksfest passiert? Da sind Männer, offensichtlich alkoholisiert aneinander geraten. Das ist etwas, was wir auf vielen solchen Großveranstaltungen feststellen. Das hat mit der Herkunft der Menschen überhaupt nichts zu tun.“

Kriminalstatistik, genau gelesen
Kriminalstatistik (PKS) für 2017: Kriminalität Asylbewerber
Dankenswerterweise wird das Christoph Schwennicke zu viel, der auf die Kriminalstatistik verweist, welche die Mainzerin zuvor argumentativ am Beispiel von zurückgehenden Einbrüchen zitierte. Schwennicke zitiert seinerseits, was wirklich im Zusammenhang mit dem Mord und den beiden Mordversuchen von Chemnitz wichtig ist: Die Zahlen dieser Kriminalstatistik „weisen aus, dass bei Tötungsdelikten die Flüchtlinge mit einem Faktor zehn mehr beteiligt sind als hier lebende Männer.“

„Und wenn das BKA sagt überwiegend sind die Opfer selber Migranten, macht das die Sache nicht besser.“, zieht Bosbach der Linken gleich den nächsten Zahn in der Befürchtung wohl, dass Renner dieses Argument gleich gebracht hätte. Und Schwennicke erinnert noch daran, dass die Tagesschau gesagt hätte, diese Morde in Deutschland seien „regionale Ereignisse.“ Und dann der Satz des Abends noch einmal vom Cicero-Chef: „Wenn aber viele regionale Ereignisse irgendwann stattfinden, dann wird es ein nationales Ereignis.“

Seltsame Arbeitsteilung
Kriminalitätsstatistik 2017: Regierung und Medien synchronisieren sich
Und so kann man dann abschließend immerhin Folgendes über diese Sendung sagen: Maischberger hat bisweilen kritisch nachgefragt, was gut war. Bosbach hätte es umgekehrt machen müssen: nach der ersten Hälfte und einem überzeugendem Auftritt einfach gehen, denn in der zweiten Hälfte zeigt er die üblichen CDU-Wahlkampfreflexe gegen die AfD, die hier in der Runde heute einfach nur deplaziert waren.

Der Rechtsextremismusexperte Toralf Staud war da eine Bereicherung, wo er die inneren Strukturen der Rechtsradikalen glaubhaft erzählen konnte. Martina Renner, der man ihre innere Haltung durchaus abnimmt, die mit ihrem glühenden Eifer beeindruckte, zeigt damit aber auch, wie schwer es ist, Fakten und Wahrheit von links aufzuzäumen.

Bettina Gaus war – anders kann man es dieses Mal kaum sagen – neben Christoph Schwennicke reine Statistin, als Sidekick unauffällig. Der Zeitungsmacher, dem man in vorangegangenen Talk-Sendungen auch mal eine Selbstverliebtheit in die eigene Stimme hätte unterstellen konnte, glänzte hier auf ganzer Linie.

Täterlose Verbrechen
Warum können wir nicht offen über Migrantenkriminalität sprechen?
Von einer Lösung der Probleme des Landes oder wenigstens von einem Lösungsansatz kann aber auch hier nicht die Rede sein. Auch drei Jahre nach Beginn der Massenzuwanderung arbeitet sich dieses Deutschland am Scheideweg immer noch an der Findungsphase ab. Derweil immer mehr Zuwanderer ins Land kommen. Denn: Nein, Herr Bosbach, wenn weniger kommen, sind nicht weniger da, wenn keiner geht, werden es insgesamt immer mehr. So einfach zu verstehen und so schwer zu begreifen ist es bisweilen.

Und in Chemnitz ist wieder ein Bürger erstochen worden von einem Messerattentäter. Am Ende dieser Sendung über Rechtsradikale in Chemnitz geriet es fast in Vergessenheit. Schande.