Tichys Einblick

Bei Illner: Weber & Gabriel – Zwei Machtlose in der EU

Gewohnt süffisant, fast fröhlich plauderte Maybrit Illner durch die Sendung. Das konnte leider nicht darüber hinwegtäuschen, in welch‘ ausweglose Situation sich Deutschland und die EU manövrierten.

Screenprint: ZDF/maybrit illner

Beginnen wir mit einem Wortwechsel zwischen Sigmar Gabriel und Manfred Weber, die wir nicht weiter vorstellen müssen. Ausgangspunkt war die süffisant vorgetragene Frage Illners, ob wir uns Sorgen machen müssten wegen der 3,6 Millionen Flüchtlinge, die Erdogan „uns“ schicken will, wenn seine Unternehmungen nicht nach Plan laufen.

„Der Fairness halber müsse man anerkennen“, hebt Gabriel an, „dass die Türkei vier Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen habe. Und wenn die wirtschaftliche Lage sich nun verschlechtere, so der Spezialdemokrat weiter, dann müsse man damit rechnen, dass Erdogan die Schleusen öffnet.

Typisch. Dass Erdogan Menschen aus seinem Nachbarland aufgenommen hat, mit demselben Glaubenshintergrund, auf der gleichen zivilisatorischen Stufe, das verkennt Gabriel absichtlich total. Weil Erdogan Millionen aufnimmt – aufgrund von Auseinandersetzungen, bei denen er selber die Finger überdeutlich im Spiel hat und hatte – kann das moderne, laizistische Europa, sprich Deutschland, das ebenfalls.

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Forsch und mit falschem Pathos widerspricht Manfred Weber, der sich nach seiner Wahlniederlage einen Bart stehen ließ: „Ich bin es leid“, so der Niederbayer, „wer uns droht, legt sich mit der größten Wirtschaftsmacht an.“ Leider, leider, fügt er aber hinzu, müssen in dieser größten Wirtschaftsmacht außenpolitische Entscheidungen einstimmig getroffen werden. Und dann sagt er tatsächlich „Wir müssen unsere Grenzen schützen können.“

„Hören Sie auf so zu tun, als ob…“ kontert Gabriel, und man hat das Gefühl, dass es ihm Freude macht, unseren Untergang zu besingen. „Sagen sie offen, dass wir bereit sind, nochmal zwei Millionen aufzunehmen.“ Nein, wir müssten die Grenzen sichern, so Weber trotzig, „sonst wäre das eine Kapitulation“. Gabriel: „Volksverdummung“. „Wenn die Schlauchboote kommen …“

Erkan Arikan, Leiter der Türkisch-Redaktion der „Deutschen Welle“, gibt dann die Antwort auf Illners Frage: „Die Drohung Erdogans ist sehr ernst zu nehmen.“

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Manfred Weber ist der lebende Beleg dafür, dass man sich die EU im besten Fall irgendwo hinschieben kann. Billionen Euros verrudert für Doppelparlament ohne Bedeutung, eine Kommission voller Dilettanten, ein sozialistisches Experimentallabor, in dem groteske Gestalten die europäische Zukunft verspielen. Dafür eine scheunentorgroße offene Grenze und Pathosberieselung durch seine Repräsentanten.

Selbst Weber gibt zu, dass die EU handlungsunfähig ist. Zur Frage nach den inhaftierten IS-Terroristen mit deutschem Pass, die nun womöglich in Deutschland zu höchstmöglichen Bewährungsstrafen verurteilt werden sollen, bietet Weber folgende EU-Lösungen an: Gespräche führen. Abstimmung suchen. Denn, „ich möchte diese Leute nicht in Europa haben. Mit Kreativität geht das.“ Keine weiteren Fragen.

Eigentlich ist an dieser Stelle alles Wichtige gesagt. Ansonsten moderierte Illner Trump als Schuldigen aller Tragödien an, der nun die Kurden in die Arme des Teufels (wahlweise Putin oder Assad) getrieben habe. Komischerweise war diesmal ein Experte geladen, der ruhig und besonnen Illners ZDF-Doktrin zurechtrückte. Guido Steinberg, Islamwissenschaftler und Nahostexperte, Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP), finanziert vom Kanzleramt, beruhigt uns vorübergehend in den zwei neuralgischen Punkten. „Die sechs Milliarden“ von Merkels Türkei-Deal seien aufgebraucht, da könnte man vielleicht mit frischen Zahlungen etwas erreichen. Aber, verschweigt der gute Mann nicht: „Seien wir ehrlich. Wir haben seit 2015 keine Grenzsicherung.“ Auch bezüglich der Terrorbuben mit deutschem Pass könnte ein wenig Aussitzen helfen, wenn wir Steinberg richtig verstanden haben. Denn „möglicherweise gibt es deretwegen auch Anfragen von Damaskus bei den Kurden“. Problem gelöst für eine lange Zeit.

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Auch die schlichte ZDF-Weltsicht von Maybrit Illner wurde, wahrscheinlich aber ohne Nachwirkungen, von Steinberg korrigiert. Nicht Trump habe das Elend losgetreten, sondern Obama, der die kurdische YPG gegen den IS nutzte. Die NATO sei übrigens voll informiert von Erdogans Attacken, man habe dem Türken geraten „maßvoll und angemessen“ vorzugehen. Außerdem seien die Kurden nicht per se die Guten. Die YPG sei Teil der verbotenen PKK, die ein „Einparteiensystem mit einer gewissen Dominanz“ unterhielte (soll heißen, die sind kommunistisch). Auf die Frage, ob den Kurden nur der „Gang nach Damaskus“ geblieben sei, antwortete Steinberg, „schon im Januar wurden Gespräche mit Assad angekündigt“. Mit einem Blick auf die Karte hätte Illner sogar allein herausfinden können, dass wir von syrischem Staatsgebiet sprechen, dessen Hauptstadt Damaskus ist.

Düzen Tekkal und Meşale Tolu fanden das türkische Resettlement problematisch – Kurden raus, syrische Flüchtlinge in die sogenannte Sicherheitszone rein, wie auch wir das Resettlement – Deutsche zusammenrücken, Syrer rein – sagen wir mal problematisch finden. Inzwischen geht der Riss durch die Millionen Kurden und Türken in Deutschland, wie man sogar in ZDF-Nachrichten sehen kann. Am Samstag ist eine Großdemo in Köln geplant.

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Gabriel gab weitestgehend den Riesenstaatsminister Siggimann, und erzählte, dass er Frau Tolu aus dem türkischen Gefängnis befreite, wie er versuchte, ein Waffenembargo gegen die Türkei durchzusetzen („Wissen Sie, wer mich als Einziger unterstützt hat? Zypern!“). Er klärte auf, dass EU-Europa sich um die Nachbarschaft kümmern muss, jetzt wo Russland Einfluss gewonnen hat. Denn es gebe ja die zwei Blöcke: USA und Russland. Das muss er sagen, weil er nun von der Atlantikbrücke bezahlt wird, bei der sich die neue bipolare Welt USA-China offensichtlich noch nicht herumgesprochen hat. Vielleicht soll Gabriel auch nur die Nebenfront halten. Dann hat er zwar ein Buch von Christopher Clark gelesen, wie Europa 1914 per Schlafwagen in den WK 1 geraten sei, er bleibt aber bei der Aussage zur aktuellen Lage: „Wir werden uns einmischen müssen. Das wird unangenehm.“

Auch innenpolitisch weiß Gabriel bestens Bescheid. So etwa, dass die kurdische PKK in Deutschland viel Geld mit Waffen- und Drogenhandel sowie Schutzgelderpressung macht – anscheinend mit freundlicher Duldung der zahlreichen SPD-Regierungen, die wohl andere Probleme für wichtiger erachten.

So bleibt uns nur, denen, die weiterhin Hoffnungen auf Krisenmanagementfähigkeiten bei Union und SPD haben, alles Gute zu wünschen. Das gleiche gilt natürlich auch für die, die ihre Hoffnungen auf die EU setzen. Wird schon schiefgehen.


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