Tichys Einblick
Iranische Kämpferinnen – deutsche Waschlappen

Bei Illner siegen Frauenrechte über Kopftuch, Mullahs und deutsches Buckeln

Gestern war der Titel der Sendung bei Maybrit Illner: „Heuchler oder Helfer – kuscht der Westen vor dem Iran?“ Ganz ehrlich – das klingt für mich wie ein Titel, den man noch vor einem Jahr ausschließlich in einer Sendung wie „Tichys Einblick Talk“ oder „Talk im Hangar-7“ gehört hätte.

Screenprint: ZDF / Illner

Als eine ganz besondere Sendung kündigte Maybrit Illner diese Sendung an – und das war sie tatsächlich. Schon zunächst mal, weil man sich im ZDF kurzzeitig erinnert hat, dass die Sendung „Maybrit Illner“ heißt und nicht „Die Corona- und Energie-Dauersendeshow“. Die fast zwei Jahre und entsprechend vielen Male, die ich diese Sendung schon rezensiere, gab es im Grunde nur diese zwei Themen – auf Dauer sehr ermüdend. Gestern aber war der Titel der Sendung: „Heuchler oder Helfer – kuscht der Westen vor dem Iran?“.

Ganz ehrlich – das klingt für mich wie ein Titel, den man noch vor einem Jahr ausschließlich in einer Sendung wie Tichys Einblick Talk oder Talk im Hangar-7 gehört hätte. Wäre damals auch noch ganz böse gewesen, heute hat die Zeit bewiesen, dass man damit Recht hatte. Und anders, als man es vielleicht erstmal erwarten würde, ist das Fazit dieser Sendung auch nicht gewesen, dass Deutschland mit seiner „feministischen Außenpolitik“ einen guten Job macht. „Ich will sagen, das Problem gibt es schon so lange und jetzt tun wir plötzlich so, als wäre es neu“, klagt Alice Schwarzer in der Sendung an. Das Votum geht eindeutig in Richtung „Heuchler“.

Im Studio sitzen: Omid Nouripour, Parteivorsitzender der Grünen und „in Teheran geboren“, was dem ZDF aus irgendeinem Grund sehr wichtig zu betonen ist. Friedrich Merz, CDU-Parteivorsitzender und Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag. Ghazall Abdollahi, iranische Fotografin und Tochter einer inhaftierten Menschenrechtsaktivistin, vor zwei Wochen nach Deutschland geflohen, nachdem sie sich im Iran an den Massenprotesten in Teheran beteiligte. Düsen Tekkal, Autorin kurdisch-jesidischer Abstammung, Gründerin und Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation HÁWAR.help e.V., und Golineh Atai, Leiterin des ZDF-Studios in Kairo. Alice Schwarzer ist bekannt, die wohl bedeutendste Feministin in Deutschland.

Exil-Iranerin und Frauenrechtsaktivistin
„Islamistische Lobbyisten bestimmen Baerbocks Politik zum Iran und Kopftuchzwang“
Ich bin bei Weitem nicht in allem mit ihr einer Meinung. Aber eins muss man ihr lassen: Sie ist konsequent. Das muss man respektieren und anerkennen. Sie feiert nun ihren 80-sten Geburtstag, weshalb sie nur zugeschaltet an der Sendung teilnehmen kann. Zuerst dachte ich, das wäre zu ihrem eigenen Schutz. Twitter ist gerade nicht gut auf sie zu sprechen und gerade ihre Haltung zu Frauenrechten in islamistischen Regimen stößt immer wieder auf große Aufregung. So kritisierte sie in der Sendung Annalena Baerbock für ihre „Das hat nichts mit dem Islam zu tun“-Rede zu den Iran-Protesten. Ich musste aber feststellen, dass sie in dieser Folge auf der Seite der Mehrheit stand. Illner hat sie überschwänglich begrüßt, erklärte sich geehrt, dass Schwarzer dabei ist und sprach ihr ihre Bewunderung aus. Die fünf Frauen im Studio bekannten sich sehr eindeutig – die beiden männlichen Politiker hatten mit ihrem zurückhaltenden Politikergerede keine Chance.

Alice Schwarzer prangert den Atomdeal mit dem Iran an: „Das Problem ist, dass der Westen seit 43 Jahren wegschaut und wir immer wirtschaftliche und andere Interessen höher gewertet haben und auf diesen extrem blauäugigen Atomdeal gesetzt haben.“ Merz tönt derweil: „Wir hätten mal besser vor Jahren TTIP gehabt, mit den Amerikanern ein Handelsabkommen.“ Ghazall Abdollahi fordert: „Man sollte die iranische Regierung isolieren, man sollte das Regime isolieren, man sollte nicht verhandeln, nicht mit ihnen sprechen.“

Nein, ist es nicht lustig? Mir ist fast so, als wenn alles, was es aus heutiger Sicht gebraucht hätte, in die gleiche Richtung geht, die Trump seinerzeit gefordert und getan hat. Keine Deals mit islamistischen Regimen, keine Atombomben für Mullahs, kein Appeasement als Antwort auf Aggression. Es ist so unglaublich und tragisch, wie der deutsche oder im Allgemeinen westliche Diskurs sich so gewandelt hat, dass es vollkommen egal ist, was man sagt, es kommt nur noch darauf an, wer es sagt. Wäre Donald Trump in seiner Amtszeit nach seiner Außenpolitik und nicht nach seinen Haaren und seiner Sprühbräunung beurteilt worden, wo könnten wir jetzt stehen? Wie könnte es im Iran jetzt aussehen? Wie viele Leben wären verschont worden, wie viele junge Iraner wären nicht in den Märtyrertod gezwungen worden?

Exil-Iranische US-Politikerin im Interview
"Bidens Nahost-Politik wäre fatal, gerade für die iranische Bevölkerung"
Einen Tag vor der Wahl in USA 2020 habe ich in Berlin mit der iranischen Menschenrechtsaktivistin Erica Kasraie gesprochen und für TE interviewt. Sie hatte damals Chancen, bei einer Wiederwahl Trumps in seiner Administration tätig zu werden. Schon damals waren ihre Forderungen die gleichen, wie sie die Iranerinnen gestern bei Illner forderten, und schon damals war das, was sie sagte, nicht neu für sie. Als Nahost-Advisor im US-Repräsentantenhaus hatte sie in Trump einen Unterstützer gefunden, der verstanden hatte, dass die iranische Bevölkerung und das iranische Regime nicht das gleiche sind, dass die Menschen Hilfe brauchen, die sie nur bekommen, wenn man den Islamistischen Terrorstaat bekämpft.

Und schon damals warnte sie vor Biden: „Biden hat schon gesagt, dass er zum JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action), dem Iran-Deal zurückkehren will oder zu einem ‚besseren Deal‘ – meiner Meinung nach ist allerdings kein Deal mit einem Terrorregime ein guter Deal.“ Hätte man auf die Frauen aus dem Iran – oder überhaupt auf die, die tatsächlich dort gewesen sind – gehört, hätte man schon lange geschlossen mit den USA eine Strategie durchsetzen können, die das islamistische Regime isoliert. Als Trump sagte, dass Deutschland sich mit Russland von den Falschen abhängig macht, haben wir ihn ausgelacht. Als Trump gesagt hat, dass wir den unterdrückten Iranerinnen nicht helfen, indem wir ihre Unterdrücker unterstützen, haben wir ihn als rassistischen Clown ignoriert.

Misslungener Talk
Sandra Maischberger verheizt Alice Schwarzer
2022 sollte im Großen und Ganzen eine Warnung für Deutschland auf allen Ebenen sein. Mit gefühlter moralischer Überlegenheit kommt immer auch die tödliche Arroganz. Die, die schon die Titanic davon abgehalten hat, den Kurs zu ändern und in den Untergang zu steuern. Die die deutsche Nationalmannschaft davon abgehalten hat, ihre Gegner ernst zu nehmen. Die die deutschen Atom- und Kohlekraftwerke abgeschaltet und stattdessen die Gasspeicher voll laufen lassen hat, betend für einen milden Winter. Die Deutschland nun hilflos daneben stehen lässt, während junge Frauen sich vor bewaffnete Soldaten stellen müssen.

Es kann doch wirklich nicht wahr sein: Wir, Deutschland, mit den sichersten besten Atomkraftwerken der Welt, haben im 21. Jahrhundert eine Energiekrise. Wir, Deutschland, mit der stärksten Wirtschaft der Welt, erleiden einen wirtschaftlichen Zusammenbruch wie kaum ein anderes Land. Wir, Deutschland, auf der Weltkarte kaum zu finden und doch politisch respektiert, können uns nicht vor den Iran stellen und sagen: „Scheiß auf eure Mullah-Gewänder und Ölfelder, wir brauchen euch nicht, ihr braucht uns.“ Nein, stattdessen lassen wir uns im Fußball von Japan schlagen und in der Politik von tatsächlichen Witzfiguren mit Komplexen. Männer, die es nötig haben, Schwule an Kräne zu hängen und Frauen auszupeitschen, weil sie entweder alles unter Kontrolle haben oder gar nichts.

Schlussendlich bleibt nur noch die Frage: Wird Deutschland diese Warnung ernst nehmen? Werden wir in Zukunft ernst nehmen, wenn wir aufgefordert werden, unsere Entscheidungen kritisch zu hinterfragen? Werden wir einsehen, dass jetzt zu Recht so viele sagen können: „Wir haben es euch doch gesagt“? Ich habe für solche kurzfristigen Sinneswandel in Deutschland nie viel Hoffnung gehabt. Aber wenn man in den Iran schaut, in dem ein kleiner Stein eine Revolution in Gang setzen konnte, die so niemand für möglich gehalten hätte, bin ich mir nicht mehr so sicher. Hoffentlich kommt diese Erkenntnis nicht so spät wie bei unserer Mannschaft, die erst im letzten Spiel wirklich realisiert hat, dass man bei einer Fußballweltmeisterschaft gewinnen muss. Zum Schluss konnte sie dann nicht mal der 4:2-Sieg retten.

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