Tichys Einblick
Kretschmers Lieblingslockdown

„Deswegen reicht 2G nicht, das ist jetzt der erste Schritt“ – Ultra-Lockdown-Romanzen bei Illner

Bei Illner erfährt der Zuschauer, der nächste Lockdown wäre praktisch unumgänglich, eine Impfpflicht rechtlich möglich. Es gibt viele neue Dinge zu lernen und immer mehr Gründe, sich über eine linke Regierung zu freuen.

Screenshot ZDF: Maybrit Illner

Ich habe gestern bei Illner ein neues Wort gelernt. Jemanden, der doppelt geimpft ist und also nach Willen der Politik vor seiner dritten Injektion steht, nennt man jetzt einen „Zu boosternden“ – chic, oder? Erinnert mich an ein Schreiben der Uni Rostock, in dem nicht von Ungeimpften, sondern von „noch nicht Geimpften“ gesprochen wurde. Aber es ist nicht das einzig Neue, das der Zuschauer in dieser Illner-Sendung lernt, in der natürlich schon wieder über Corona, 2G und eine Impfpflicht gesprochen wurde – „Pandemie ohne Politik – erst sorglos, jetzt planlos?“, lautete der Titel. Man erfährt zum Beispiel, dass ein weiterer Lockdown nicht mehr auszuschließen ist, dass man, ohne Corona zu haben, Treiber der Pandemie sein kann und dass Ausgangsperren ja gar nicht gegen die Verfassung verstoßen.

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Wolfgang Kubicki schien die Zielscheibe für so ziemlich jeden anderen Gast der Sendung zu sein. So als wäre Illner vor der Sendung zu jedem einzelnen hingegangen, um demjenigen zuzuflüstern, dass der Wolfgang ja so total über ihn abgelästert hätte – man schien auf der Mission zu sein, ihn nicht zum Argument kommen zu lassen, um ihm dann vorwerfen zu können, keine Argumente zu haben. Selbst für die Anmerkung, dass die Gefahr weder von Geimpften noch von Ungeimpften, sondern von Infizierten ausgehe, wurde Kubicki angefahren.

Michael Kretschmer ist da, er muss sich von Illner sagen lassen, die Politik habe nicht genug getan gegen Corona. Das vor allem kann er nicht auf sich sitzen lassen. Er betont noch einmal, dass die Regierung die letzten Monate einen Plan hatte, während die neue Regierung ja noch gar nichts richtig gemacht habe. Eins muss man der CDU ja zugutehalten: Sie macht mehr Werbung für die Ampel, als es die Ampelmännchen je könnten. Das hat die Scholz-Truppe zwar mitnichten verdient, erspart mir aber wenigstens die Sorgenfalten, und das wiederum bedeutet, dass ich meinen Antifaltencreme-Fünfjahresplan nach hinten verschieben kann.

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Allerdings kann ich dafür die Haartönungsära nach vorne ziehen, denn das eine oder andere graue Haar hat Kretschmer einem gestern schon noch reingewürgt. Zum Beispiel, als er andeutete, dass 2G ja noch lange nicht die Spitze sei. Nein, nein, nein, er, so will er nochmal klar stellen, hat noch viel mehr auf dem Kasten. „Deswegen reicht 2G nicht, das ist jetzt der erste Schritt“ – denn er muss einräumen, dass die Impfung ja gar nicht so toll gegen eine Ansteckung schütze, so Kretschmer. Vielleicht sollte sich mal jemand in die tiefsten Abgründe der Verschwörungstheoriker-Telegramchats begeben, scheinbar beziehen Kretschmer & Co. ihre Ideen für neue Maßnahmen direkt von dort.

Um die Grundrechte sorgte sich die Verfassungsrechtlerin Anika Klafki – aber nicht etwa, weil sie vielleicht eingeschränkt werden würden, sondern weil sie womöglich im Weg stehen. Was mich wirklich verwundert. Wie kann man sich als Verfassungsrechtlerin zu einer Aussage hinreißen lassen wie: „2G und Impfpflicht sind rechtlich durchaus möglich“? Maybrit Illner hat die Antwort: Denn die gute Dame hat ihre Promotion 2016 zum Thema Pandemien geschrieben.

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In der Juniorprofessorin Klafki hat die Illner-Redaktion eine dieser ganz besonderen Personen gefunden, wie man es von Lauterbach und Co. kennt: die sich vor Jahren auf ein völlig abwegiges Thema spezialisiert und damit abgefunden haben, dass aus ihnen nix mehr wird. Und plötzlich finden sie sich durch Verkettung merkwürdiger Zufälle im Rampenlicht wieder und wollen nicht, dass es aufhört.

Kretschmer meint zwar: „Niemand verhängt gerne Ausgangssperren“, aber ich wäre mir da vor allem bei diesen Leuten nicht so sicher. Und im Ernst weiß Mr. „Einen Lockdown kann man nicht mehr ausschließen“-Kretschmer das auch, er bettelt doch förmlich darum. Wenn er diesen Satz sagt, erinnert er ein wenig an Markus Söder, der nach der Wahl die ganze Zeit behauptete, die CDU würde sich über Jamaika ja so sehr freuen, aber dann alle drei Minuten mit „Tja, dann ist Jamaika wohl geplatzt“ um die Ecke kam, selbst als es gar nicht so hoffnungslos aussah.

Etwas Positives zum Ende: Man kann darauf hoffen, dass eine linke Regierung mit dem ewigen Corona-Thema endlich Schluss machen will, damit sie sich ihren Klimavisionen widmen kann – und das ist zumindest besser als eine „konservative“ Söder-Kretschmer-Front, deren einzige Sorge es ist, dass Ausgangssperren noch zu mild wirken könnten. Oh, wie selig müssen die Leute schlafen können, die ihrer Regierung vertrauen.

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