Tichys Einblick
RKI-Files zum Corona-Krisenstab

ARD, Spiegel und Co: In Sachen Corona immer auf Seiten der Regierung

RKI und Regierung haben die Öffentlichkeit in der Corona-Pandemie bewusst falsch informiert, deckt das Magazin „Multipolar“ auf. ARD, Spiegel und Co greifen den Skandal auf – und skandalisieren die Berichterstattung des Magazins.

Olaf Scholz, Angela Merkel, Jens Spahn und Helge Braun, Berlin, 01.09.2021

IMAGO / IPON

Eigentlich wäre es ihre Aufgabe gewesen: Doch nicht die Öffentlich-Rechtlichen waren es, die letzte Woche Ausschnitte der Sitzungsprotokolle des Corona-Krisenstabs vom Robert-Koch-Institut (RKI) veröffentlichten. Sondern das Online-Magazin „Multipolar“: Die Protokolle beweisen, dass die Bundesregierung Maßnahmen ergriff und Grundrechte einschränkte, obwohl die Berater des RKI davon abrieten.

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Zwei Jahre lang hat Multipolar geklagt, damit das RKI seine Protokolle über Sitzungen des Corona-Krisenstabs offenlegt. Zwei Jahre lang haben die öffentlich-rechtlichen Sender nicht geklagt, obwohl sie jährlich mehr als acht Milliarden Euro GEZ-Gebühren erhalten, damit sie ihrer Aufgabe als Vierte Gewalt der Demokratie nachgehen. Eigentlich. Diese Sender sollten es sein, die solche Protokolle erklagen, um einen möglichen Machtmissbrauch der Politiker aufzudecken. Eigentlich. Außerdem wäre ein solch langwieriger Gerichtsprozess für die Öffentlich-Rechtlichen angesichts der hohen Summen an Geldern, die sie zur Verfügung haben, deutlich leichter zu stemmen gewesen als für ein kleineres Medium, das sich über Spenden finanziert. Aber ARD und ZDF klagten nicht – genauso wenig wie sämtliche andere Medien.

In der Pandemie schauten ARD, Spiegel und Co der Regierung nicht kritisch auf die Finger, wie es eigentlich ihre Aufgabe als Vierte Gewalt gewesen wäre. Sondern sie übernahmen die Rolle des Verstärkers der Regierungsmeinung. Und selbst jetzt übernehmen sie nicht die Arbeit der Kollegen des Multipolar-Magazins, sondern schlagen sich im Gegenteil wieder auf die Seite der Regierung und skandalisieren die journalistischen Aufklärer. Es war Multipolar, das dafür sorgte, dass die Inhalte der Sitzungsprotokolle öffentlich wurden und Schlagzeilen machen. Die RKI-Protokolle sind „brisant“, wie beispielsweise ZDF und Bild titelten. Sie seien „politischer Sprengstoff“: Immerhin zeigen die Protokolle, dass das RKI am 17. März 2020 das Gesundheitsrisiko von „mäßig“ auf „hoch“ gestuft hat, nachdem es einen Tag zuvor hieß: „Es soll diese Woche hochskaliert werden. Die Risikobewertung wird öffentlich, sobald (Personenname geschwärzt) ein Signal dafür gibt.“ Wer diese Person ist, das wüssten viele gerne, bleibt aber spekulativ.

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Die Bild zitiert aus dem Protokoll vom 16. Dezember 2020, dass Lockdowns „schwerere“ Konsequenzen haben als Corona selbst und eine „steigende Kindersterblichkeit zu erwarten“ war. Und schreibt zu den Realitäten außerhalb des RKI: „Öffentlich wurde darüber geschwiegen.“ Das stimmt. Darüber beschwerten sich „Querdenker“ und Wissenschaftler bereits zu den Lockdown-Zeiten: Sie kritisierten schon damals die Folgen der Maßnahmen für Kinder und die allgemeine Gesundheit. Aber viele Medien wie Bild, ARD, ZDF, FAZ und Spiegel haben diese kritischen Stimmen kaum abgebildet. Oder haben sie sogar diffamiert. Und das tun sie auch weiterhin.

Am Sonntag hieß es beim Spiegel zu den veröffentlichten Corona-Protokollen noch: „Das Online-Magazin ‚Multipolar‘, das auf diesen Schritt geklagt hatte, veröffentlichte die Unterlagen.“ Keine 24 Stunden später änderte der Spiegel den Satz zu: „Das rechte Onlinemagazin ‚Multipolar‘ (…).“ Die ARD meint derweil, die RKI-Protokolle seien gar nicht so brisant. Die Tagesschau veröffentlicht einen Text vom „ARD-Faktenfinder“ Pascal Siggelkow, der titelt: „RKI-Files und der Skandal, der keiner ist“.

Es soll kein Skandal sein, dass eine unbekannte Person, über dessen Identität bislang nur gemutmaßt werden kann, bestimmt, wann das Gesundheitsrisiko hochskaliert wird? Siggelkow schreibt: „Das lässt sich aus den Protokollen so nicht entnehmen.“ Aha. Weiter heißt es bei der Tagesschau: „Das RKI hatte somit bereits eine neue Risikobewertung vorgenommen, die jedoch noch nicht veröffentlicht wurde. Die Behauptung, dass diese Entscheidung nicht auf fachlicher Einschätzung passiert sei, ist somit irreführend. Es fehlte lediglich die Zustimmung einer bestimmten Person, um diese Risikobewertung zu veröffentlichen.“ Aha.

Dann rechtfertigt der „ARD-Faktenfinder“ die Ergebnisse der – seiner Meinung nach nicht brisanten – Protokolle noch damit, dass andere Länder die Risikobewertung ebenfalls hochgestuft haben. „Da kann ein Land wie Deutschland nicht plötzlich sagen: Nein, wir finden das aber alles anders“, zitiert er Hajo Zeeb, Professor für Epidemiologie an der Universität Bremen, ganz nach dem Motto: Wenn einer vom Hochhaus springt, springen wir auch. Und außerdem seien die Maßnahmen in anderen Ländern zu dem Zeitpunkt bereits „einschneidend“ gewesen: Ausgangssperren, Notstände, geschlossene Grenzen. Stimmt: Deutschland soll sich mal nicht so anstellen mit den Maßnahmen, die die Bundesregierung entgegen den Empfehlungen des RKI getroffen hat.

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Eine solche Maßnahme war beispielsweise die FFP-2-Maskenpflicht, die Berlin und Baden-Württemberg für alle einführten, obwohl im RKI-Protokoll vom 30. Oktober 2020 steht: „Es gibt keine Evidenz für die Nutzung von FFP-2-Masken außerhalb des Arbeitsschutzes, dies könnte auch für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.“ Außerdem empfiehlt das RKI an diesem Tag: „Ihr Nutzen sollte auf Arbeitsschutz von Personen, die mit infektiösen Patienten arbeiten, begrenzt bleiben.“

Eine weitere Maßnahme, die die Bundesregierung entgegen den Empfehlungen des RKI getroffen hat, waren die 3G- und 2G-Regeln, durch die Ungeimpfte aus weiten Teilen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen wurden: Keine Restaurants, keine Theater, keine Kinos, keine Friseure, teilweise nicht mal Arztpraxen durften sie besuchen. Sechs Monate vor diesen Regelungen, am 5. März 2021, hieß es von den RKI-Experten, dass es „fachlich nicht begründbar“ ist, dass für Geimpfte und Genesene eine Ausnahme von den Corona-Beschränkungen gemacht werden soll. Und das Impfzertifikat solle nicht als Grundlage für „Vorrechte“ gelten, weil das Ungeimpfte diskriminieren würde. Aber das war der Bundesregierung offensichtlich egal.

Die Tagesschau verdreht also die Tatsachen und stellt die Brisanz der Protokolle in Frage. Der Spiegel schiebt „Multipolar“ in die rechte Ecke, obwohl die Journalisten von „Multipolar“ im Gegensatz zu so manchen anderen ihren Job als Vierte Gewalt ernst genommen haben und über einen nicht ausgeschlossenen Machtmissbrauch der Bundesregierung berichten. Und andere Medien, wie das Handelsblatt, berichten kurz über die Veröffentlichung der Protokolle, betonen aber, dass Karl Lauterbach zurückweist, dass es eine „äußere Einflussnahme“ auf die Risikobewertungen des RKI gab: Gegenüber der Tagesschau sagte Lauterbach: „Das RKI hat unabhängig von politischer Weisung gearbeitet.“

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Na, wenn der aktuelle Gesundheitsminister, der zu Corona-Zeiten als Corona-Versteher in vielen Talkshows aufgetreten ist, das sagt, dann wird das wohl stimmen. Eine weitere Corona-Aufarbeitung ist dann gar nicht nötig, wenn Lauterbach das so sagt. Und, wer sich hinter den geschwärzten Namen in den Protokollen verbirgt, interessiert dann auch nicht mehr: Ein Politiker oder jemand anderes von „außen“ kann es ja nicht gewesen sein, denn Lauterbach sagt ja, es verberge sich ein Mitarbeiter des RKI hinter dem geschwärzten Namen.

Apropos Talkshows: Bei den vielen Fragen, die die RKI-Protokolle aufwerfen – Brisanz hin oder her –, könnte man erwarten, dass sie bei öffentlich-rechtlichen Polit-Talkmagazinen wie „Hart aber Fair“ zum Thema werden. Aber nein: Bei Louis Klamroth geht es am Montagabend um das Bürgergeld. Zu den Protokollen wird geschwiegen. Auch in den Morgen-Podcasts von Handelsblatt und FAZ werden die RKI-Protokolle – wenn überhaupt – nur nebensächlich erwähnt. Na ja, die Protokolle zeigen halt nur, wie die Regierung die Grundrechte eingeschränkt hat, obwohl Experten ihnen davon abgeraten haben. Sie zeigen nur, dass die Lockdowns „schwerere“ Folgen hatten als Corona selbst und eine „steigende Kindersterblichkeit zu erwarten“ war. Sie zeigen, dass bei einer normalen Grippewelle „mehr Leute versterben“. Und sie beweisen, dass der Krisenstab über das hohe Durchschnittsalter der Toten diskutiert hat: „Das Argument, das ältere, gebrechlichere Menschen, die auch ohne Covid-19 zeitnah versterben würden, sollte entschärft werden“, steht in einem Vermerk im Protokoll. Die Verschleierung der RKI-Protokolle hat begonnen.

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