Tichys Einblick
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2018 – das Jahr der unerwarteten Allianzen?

Erst müssen überhaupt wieder die Bedingungen für einen fairen und offenen Diskurs in den Medien und in der Gesellschaft hergestellt werden, damit die unterschiedlichen Meinungen angemessen zu Wort kommen können.

© Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Der vergangene erste Monat des neuen Jahres 2018 hat eine interessante Entwicklung angedeutet: Die Fehltritte der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten werden neuerdings nicht mehr nur von individuellen Nutzern sozialer Netzwerke und Autoren der vertrauten unabhängigen Webseiten und Blogs aufgegriffen, sondern auch von Redakteuren etablierter Medien.

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Die BILD beispielsweise, die unter der Ägide von Kai Diekmann noch in vollem Einklang mit den Öffentlich-Rechtlichen die Ankunft der Flüchtlinge gefeiert hatte, schlägt unter Federführung ihres neuen Chefredakteurs Julian Reichelt anscheinend einen anderen Ton an: Reichelt machte nicht nur den KiKA-Skandal zu einem Thema für die BILD (mit Fortsetzung), sondern griff auch eine ARD-Korrespondentin aufgrund ihrer Verteidigung des NetzDG an und schoss gegen die Lautstärkenmanipulation der Tagesschau in der Aufzeichnung des Trump-Statements. Nicht unerwähnt bleiben sollte außerdem, dass Reichelt die Zensur eines Tweets eines ausgesprochenen BILD-Kritikers auf die Titelseite der Zeitung gehoben hat.

Bei der ZEIT formuliert Politikredakteur Jochen Bittner beharrlich Kontrapunkte, welche nicht dem Kuschelkurs mit der öffentlich-rechtlichen Gutmenschlichkeit entsprechen, den die Wochenzeitung normalerweise fährt. Somit erhielt die Leiterin des ARD-Hauptstadtbüros Tina Hassel für ihre „Berichterstattung“ vom Grünen-Parteitag Gegenwind aus unerwarteter Richtung: In seinem dazugehörigen Beitrag beklagte Bittner in der Causa Hassel „ein geschwundenes Bewusstsein dafür, welche besondere Verantwortung das Arbeiten für öffentlich-rechtliche Sendeanstalten verlangt. […] Die Behauptung, es sei der ARD um die Würdigung eines politischen Neustarts als solchem gegangen, ist so offenkundig heuchlerisch, dass man der Sendeanstalt für diese Art der Transparenzschaffung auch schon fast wieder dankbar sein könnte.“

Der Zweck heiligt keine Mittel
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Die Reaktionen von Journalisten und Mitarbeitern der erwähnten Öffentlich-Rechtlichen auf diese vergleichsweise sehr milde und gut begründete Kritik sind bezeichnend und entlarvend für das, was diese Kritik überhaupt erst motiviert hat: Ein ZDF-Korrespondent verglich die gezielte Nachbearbeitung der Lautstärke der Buh-Rufe während der Trump-Rede durch die ARD mit dem Ranzoomen einer Kamera. Ein Nachrichtenredakteur sprach von einer „Verlegerkampagne“ und versuchte, Bittners Meinung dadurch zu diskreditieren, indem er auf einen in Bittners Kommentar verlinkten Beitrag des FAZ(!)-Redakteurs Michael Hanfeld hinwies. Auch dem KiKA sprang der Nachrichtenredakteur mit einem TAZ-Zitat bei, das die Verschwörungstheorie gegen die Öffentlich-Rechtlichen weiterspinnt. Eine ARD-Korrespondentin war von der „undifferenzierten und unseriösen Kampagne“ der FAZ „genervt“, während ihr Sender Redakteure des gleichen Hauses immer wieder in der Tagesschau kommentieren lässt. Den Vogel abgeschossen hat ein WDR-Journalist, der indirekt fragte, wann die FAZ denn gedenke, den FAZ-Blogger „Don Alphonso“ vor die Tür zu setzen.

Immerhin muss man den Betreffenden dabei zugutehalten, dass sie an ihre Berufskollegen die gleichen dünnfelligen Maßstäbe ansetzen wie an das gemeine Volk: Beide haben sich ihre Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen gefälligst vorher von ebendiesen genehmigen zu lassen. Twitter ermöglicht in dieser Hinsicht einen faszinierenden Einblick in völlig entrückte Welten.

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Aber ist Übereinstimmung in der Kritik automatisch gleichbedeutend mit dem Vorliegen einer Allianz? Sicherlich nicht im bewussten Sinne oder in Form konkreter Absprachen – und natürlich werden Keilereien gegen andere Medien nicht immer frei von Hintergedanken über die eigene Auflage sein. Jedoch könnte unter den gegenwärtigen Umständen 2018 zumindest ein Bewusstsein dafür heranwachsen, dass es einen gemeinsamen Gegner gibt, dessen zunehmend korrumpierte Macht die eigentliche Gefahr darstellt. Denn mit Kritik an den öffentlich-rechtlichen Anstalten schafft man sich in Deutschland einen Feind, der über praktisch unbegrenzte finanzielle Mittel verfügt und auch bei fortgesetzter Agitation offensichtlich weder von interner, noch von politischer Seite mit Sanktionen rechnen muss. Macht es da nicht zumindest Mut, zu wissen, dass man gegen diese Monstranz nicht allein auf weiter Flur steht, sondern dass sie bereits in einen Mehrfrontenkampf verwickelt ist?

Die aufziehende Verwirklichung des Letzteren hat die Abwehrreaktion zu Folge, die Angreifer als Einheitsfront darzustellen, um sie wiederum zur Abgrenzung voneinander zu bewegen. In der einen Richtung geschieht dies durch den Vorwurf, sich „AfD-Sprech“ anzueignen und mit „den Rechten“ zu kuscheln. In der anderen Richtung wird oftmals von einer verräterischen „Anbiederung“ an den „Mainstream“ gesprochen. An dieser Bunkermentalität haben nur zwei Parteien Interesse: Die angegriffenen öffentlich-rechtlichen Medien und diejenigen, die eine maximal gespaltene Gesellschaft nicht abwenden wollen, sondern auf sie hinarbeiten – und das nicht mit guten Hintergedanken.

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Aus der Gesamtheit der genannten (und ungenannten) Fälle lässt sich jedenfalls eine Hypothese formulieren: Das, was all diese Stimmen aus ganz verschiedenen Winkeln in ihrer Kritik an der politischen Kultur und an Teilen der Medien eint, ist bedeutsamer als das, was die einzelnen Stimmen in ihren Ansichten zu konkreten Politikmaßnahmen unterscheidet. Vereinfacht gesagt: Übereinstimmung in der Kritik an der inneren Korruption der öffentlich-rechtlichen Sender schließt unterschiedliche Meinungen zur Höhe des Spitzensteuersatzes nicht aus. Im Gegenteil – erst müssen überhaupt wieder die Bedingungen für einen fairen und offenen Diskurs in den Medien und in der Gesellschaft hergestellt werden, damit die unterschiedlichen Meinungen angemessen zu Wort kommen können. Daran haben Journalisten und Bürger über fast das gesamte politische Spektrum hinweg ein gemeinsames Interesse.

Das Jahr 2018 verspricht in dieser Hinsicht spannend zu werden, denn es könnte Verbündete an Orten aufzeigen, an denen man sie nicht erwartet hätte.