Tichys Einblick
Psychische Auswirkungen von Corona

Die dritte Welle

Die Corona-Zeit wird dramatische Folgen haben - geht es so weiter, zerbricht meine Generation an Kontaktschuld und Depressionen. Eine Erzählung aus der Quarantäne.

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In Deutschland gibt es seit Monaten nur noch ein einziges bestimmendes Thema: Corona, Corona und nochmal Corona. Jeden Tag bombardiert mich mein Handy schon am frühen Morgen mit neuen Schreckensmeldungen von rasant gestiegenen Infektionszahlen, hoch moralisierten Handlungsappellen und den neuesten Verboten und Geboten aus dem Regierungsapparat. Mir wird vorgeschrieben, wie ich mich korrekt anzuziehen habe, wie ich meine Freizeit gestalten sollte und zu guter Letzt auch noch, mit wem ich Kontakt pflegen darf und mit wem nicht. Getreu dem Motto „Gemeinsam gegen Corona“ lassen wir den Staat nicht nur munter fröhlich in unserem Privatleben herumturnen, wir regulieren dabei auch noch das zu Tode, was von unserer Wirtschaft noch übriggeblieben ist.

„Wir haben uns für das Leben entschieden“ – und dafür Grundrechte und Wohlstand über Bord geworfen. Bei der ganzen Diskussion, wie weit man die Freiheitsrechte der deutschen Bevölkerung zum Wohle unseres höchsten Gutes – der körperlichen Unversehrtheit – einschränken darf, fehlt mir persönlich aber ein ganz entscheidender Aspekt des Lebens: die psychische Gesundheit. Sie spielt in der gesamten Debatte kaum eine Rolle, so als hätten die soziale Isolation und wirtschaftliche Existenzängste keinen Einfluss auf die Psyche.

Kontaktlos durch den Alltag

Als der ganze Corona-Wahnsinn im März diesen Jahres plötzlich in Berlin losbrach, war ich eine der ersten, die sich über eine staatlich angeordnete Quarantäne „freuen“ durfte. 17 der damals 48 coronainfizierten Berliner hatten sich an einem einzigen feucht-fröhlichen Clubabend angesteckt – und eine davon war unglücklicherweise eine Arbeitskollegin und sehr enge Freundin von mir. Ich saß also etwas mehr als zwei Wochen lang zuhause fest und verfolgte über das Internet, wie gefühlt die ganze Welt um mich herum zusammenbrach. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich damals eine scheiß Angst. Ich hatte Angst um meine Freundin, Angst, mich angesteckt zu haben, Angst, dass uns das Geld ausgeht, und am meisten fürchtete ich mich vor dem, was noch kommen könnte.

Heft 11-2020
Tichys Einblick 11-2020: Wieviel DDR steckt heute in Deutschland?
Die andauernde Ungewissheit trieb mich manchmal bis an den Rand der Verzweiflung und das, obwohl ich den ganzen Mist nicht alleine durchstehen musste – ich hatte meine Familie und meine Freundinnen, die allesamt dasselbe Schicksal ereilt hatte. Wenn ich mir Fotos von unseren Zoom-Meetings anschaue, könnte ich immer noch lachen und weinen gleichzeitig, weil wir alle so dermaßen mitgenommen aussahen. Ich sah vor mir vier andere traurige, ungeschminkte und durch den fehlenden Sonnenkontakt ausgebleichte Gesichter. Statt chicen Kleidchen trugen wir bequeme Pullover und Jogginghosen und tauschten uns über nicht viel mehr aus, als darüber, welche Filme oder Serien wir uns heute wieder reingezogen hatten. Aus lauter Resignation und Langeweile fing ich irgendwann nicht nur an, wie ein Berserker zu putzen und aufzuräumen, sondern auch noch die Wohnung neu zu streichen und die Heizkörper zu lackieren – eine Idee, auf die ich normalerweise im Leben nicht gekommen wäre.

In dieser Zeit lernte ich all das, was ich bisher für selbstverständlich gehalten hatte, wirklich zu schätzen. Ich sehnte mich extrem danach, endlich wieder arbeiten zu gehen, nach einem richtig schönen anstrengenden 8-Stunden Tag im Büro. Ich vermisste schmerzlich die gemeinsamen Raucherpausen, den typisch albernen Bürotalk und selbst den Streit darum, wer sich zur Klingelanlage bequemt. Ich wünschte mir die Zeit zurück, in der ich einfach das Haus verlassen und eine Freundin besuchen oder in ein Cafe gehen konnte; in der man bedenkenlos einkaufen ging und dabei nicht erst in einer langen Schlange und dann vor leergefegten Regalen stand – in der es verdammt nochmal möglich war, einfach so Toilettenpapier zu kaufen. Und ich glaube es selbst kaum, aber ich vermisste sogar meine völlig bekloppten, linksradikalen und geschlechtsverwirrten Kommilitonen.

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 Das ewige Zuhause rumhängen und meine andauernde Depri-Stimmung gingen mir irgendwann richtig auf die Nerven. Also riss ich mich wieder zusammen, so gut ich eben konnte: Ich stand morgens früh auf, machte mich zurecht und startete im Homeoffice vorsichtig wieder in einen mehr oder weniger normalen Alltag – zumindest soweit das möglich war. Meine Freundinnen traf ich noch mehrere Wochen lang nur mit anderthalb Meter Sicherheitsabstand und im Freien, von fremden Menschen hielt ich mich grundsätzlich fern und setzte bei Fremdkontakt sofort das olle Gesichtskondom auf, das ich heute nur allzugerne mit Schmackes in die Mülltonne schmeißen würde.

Ich war in meinem ganzen Leben noch nicht so oft spazieren wie in diesen paar Wochen und hatte auch noch nie so ein starkes Bedürfnis nach Körperkontakt – ich wünschte mir nichts mehr, als meine Freundin nach drei Wochen Isolation einfach mal in den Arm zu nehmen. Das Risiko einer neuen Infektionskette war uns aber einfach zu groß, so weh wie es tat. Diese zum Teil wohl übertriebene Vorsicht klingt aus heutiger Sicht vielleicht bescheuert, aber wir wussten nunmal einfach nicht, wie gefährlich diese neue Krankheit war. Niemand wusste das. Für mich zählte nur, mich auf keinen Fall anzustecken und das Virus auch nicht an andere weiterzutragen – aber am aller wenigsten wollte ich ein zweites Mal in Quarantäne.

Volle Fahrt Richtung Irrsinn

Der große Unterschied von damals zu heute war ganz klar der Wissensstand, weshalb ich die Regierungsmaßnahmen zu Beginn der „Pandemie“ auch nicht verurteilen kann. Inzwischen sind aber ganze sieben Monate vergangen und es ist mehr als offensichtlich: Die Zahlen steigen und steigen, der befürchtete rapide Anstieg an Todesfällen und Intensivpatienten bleibt aber aus. Ergo: Corona ist nicht so gefährlich, wie wir befürchtet hatten – zumindest nicht mehr. Die Menschen trotzdem immer weiter in ihrem Privatleben einzuschränken und sie damit in die Einsamkeit, Angst und Depressionen zu stürzen, halte ich nicht nur für falsch, sondern für fahrlässig. Ich befürchte wirklich, dass es, wenn wir so weitermachen, einen enormen Anstieg an psychischen Erkrankungen geben wird – immerhin habe ich die extreme Belastung einer Quarantäne selbst erlebt.

Mir fallen außerdem jetzt schon zunehmend Leute in meiner Umgebung auf, die sich sichtlich verändert haben – in ihrer Stimmung, ihrer ganzen Art und in ihrem Aussehen. Manche haben einfach ein bisschen zu- oder etwas abgenommen und sind schlecht gelaunt, bei anderen ist der Unterschied aber deutlich extremer. Einen jungen Mann, den ich während des Lockdowns das erste Mal über Zoom wiedersah, erkannte ich nicht mal mehr. Normalerweise war er stets gepflegt, hatte kurze Haare und höchstens mal einen Drei-Tage-Bart – jetzt sah er plötzlich aus wie ein Urwaldmensch. Ich war wirklich schockiert, als ich die wilden Zotteln in der Kamera sah. Klar lassen sich viele ein bisschen gehen, ich hatte das ja selbst schon durch, aber er schoss den Vogel wirklich ab. Ich konnte nicht mal mehr sehen, wo Bart anfing und Haare aufhörten. Das war nicht nur ein leichter Corona-Blues, sondern leider echte Verwahrlosung.

Ein Überblick
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Es ging ihm ganz offensichtlich schlecht, zumindest suchte er aber überhaupt noch nach Kontakt – einige andere sind gleich völlig in der Versenkung verschwunden. Ich habe bis vor Corona mit mindestens sechs verschiedenen Leuten regelmäßig wegen Veranstaltungen kommuniziert, die ich jetzt einfach nicht mehr erreichen kann. Anrufe, Nachrichten, alles vergeblich. Bis heute keine Reaktion. Zumindest eine schrieb mir vor kurzem dann aber doch mal zurück, um sich zu entschuldigen. Sie sagte, dass sie einfach nicht das Risiko einer Infektion eingehen will und deshalb lieber zuhause bleibt. Und auch wenn sie es nicht direkt zugab, fürchte ich, dass sie das Haus generell kaum noch verlässt.  Sie schien wirklich sehr große Angst vor dem Virus zu haben, was angesichts der ganzen Horrormeldungen von angeblichen Spätfolgen und Massensterben bei zarten Gemütern auch nicht allzu verwunderlich ist. Ich habe schon Leute gesehen, die sich wie Ninjas durch die Straßen bewegten und jedes Mal, wenn sie etwas „Öffentliches“ angefasst hatten, gradezu panisch nach dem Desinfektionsmittel griffen.

Bei solchem Verhalten kann man nicht mehr von gesunder Vorsicht sprechen, das ist waschechte und teils krankhafte Panik, die unsere Corona-Politik samt Berichterstattung zu verantworten hat. Die irrationalen Ängste der Bevölkerung werden ganz bewusst immer weiter geschürt, um die extremen Eingriffe in ihre Privatsphäre rechtfertigen zu können. Jeder, der sich nicht an die Hygiene-Maßnahmen hält oder ihren Sinn auch nur anzweifelt, wird diffamiert. Er ist ein Corona-Leugner, ein Unmensch oder gleich ein Rechtsradikaler.

Der moralische Druck ist so groß, dass sich viele wahrscheinlich kaum trauen, unsere Situation kritisch zu bewerten oder sich zumindest nicht laut äußern. Genau das wäre aber dringend nötig: Unsere Regierung richtet ungehindert unsere Wirtschaft zu Grunde, zerstört Existenzen und treibt ihre Bürger durch finanzielle Notlagen, absichtliche Panikmache und Isolation in die Verzweiflung. Wir brauchen persönlichen Kontakt, Mimik und Berührung, um uns wohlzufühlen und um gesund zu bleiben, genau wie das Gefühl von Sicherheit. Unter heutigen Umständen haben wir nichts mehr davon. Wenn sich das nicht bald ändert, wird Corona eine neue Generation kontaktgestörter, phobischer und depressiver Menschen hervorbringen.


Pauline Schwarz (25), studiert Psychologie in Berlin und ist Autorin des Jugendmagazins Apollo News

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