Tichys Einblick
Leere Versprechen ohne Obergrenze

Allmacht und Ohnmacht der Politik

Dieser Wahlkampf hat die Maßstäbe verschoben. Nein, Sie werden hier nichts vom Marsch nach Rechts lesen müssen. Es geht um das Verhältnis von Bürger und Staat.

© Patrik Stollarz/AFP/Getty Images

In diesem Wahlkampf haben Politiker wieder viele Aufgaben an sich gezogen, Versprechungen gemacht, wie selbstverständlich Grenzen überschritten – und dafür Beifall bekommen. Meist billigen, wie man von mitgebrachten Lohnklatschern in TV-Studios mit jeder Wortmeldung abfordern kann.

Mehr Bildung aus der Zentrale in Berlin wurde versprochen, weil Bildung immer gut ist und man der Frage ausweichen kann, wie man den erkennbaren Niedergang durch immer neue Bildungsexperimente ausgerechnet durch neue Bildungsexperimente stoppen will: Die Schulen, die Lehrer und Schüler brauchen Ruhe derzeit, und nicht noch eine verkorkste Zentralreform. Und bekanntlich ist Berlin ja in Bildungsfragen führend.

Renten sollen erhöht werden, aber dass wir länger dafür arbeiten (müssen)? Ausgeschlossen! Geschenk ohne Rechnung, so lautet die Devise, oder: kassiert wird später, per Abbuchung von der Lohn- und Gehaltsrechnung. Das merkt man nicht und spürt es doch. Eine Idee von Martin Schulz, dem Unglücksraben der SPD. Merkel hat ganz schnell zugestimmt, weil sie auch ein paar Klatscher wollte. Das ist nachhaltige Rentenpolitik.

Das Fernsehstudio wurde zum Ort, an dem die Richtlinien der Politik bestimmt werden. Ach Türkei? Machen wir die Türe zu. Nun mag das ja richtig sein – aber eine grundsätzliche, nachdenkliche Erörterung der Folgen wäre hilfreich gewesen, und nicht ein einzelner Hauptsatz auf Zuruf. Wieder Schulz, und wieder eine Grundsatzentscheidung von Merkel. So geht Politik: Überlegt, durchdacht, strategisch. Eine Kanzlerin, die alles abwägt – in Nanosekunden.

Überhaupt Zuruf! Pflege ist unterbezahlt? Wir erhöhen die Löhne um 30 Prozent. Wer zahlt? Irgendwer. Gab es einmal so etwas wie Tarifverhandlungen? Egal, der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmen nicht mehr die Richtlinien der Politik, sondern auch die Löhne. Familiennachzug aus einem Land, in dem der Krieg endet in ein Land, in dem die Wohnungen knapp sind? Machen wir, gerne. Sozialwohnungen werden großzügig versprochen, ohne daran zu erinnern, dass die besonders teuer sind, viele Kommunen an den Rand des Ruins getrieben und am Ende die Falschen darin gewohnt haben: Nicht Bedürftige, sondern wohlhabender Mittelstand, gemästet mit den Steuern der Kleinverdiener ohne Sozialwohnung. Schulz ist Geschichte. Seine Expansion staatlicher Dummheit seither CDU-Programm und Leitlinie der Kanzlerin.

Die Verantwortung bleibt
Maas ade
Das Studio-Publikum war kein zufälliges; längst schmuggeln Lobby-Verbände ihre Fürsprecher ein. Die sprechen artig nach, was ihre geheimen oder auch offen erkennbaren Sponsoren ihnen aufgeschrieben haben. Sie erzählen nicht aus ihrem Leben oder ihrer Erfahrung, sondern rekapitulieren Parteiprogramme oder Forderungskataloge der Funktionäre. Die Spitzenkandidaten hecheln den Forderungen hinterher. Der Diesel wird abgeschafft und über Arbeitsplätze reden wir später, die wird der Staat dann schon schaffen. Der Strom kommt aus der Steckdose, sorge Dich nicht, ich sorge dafür. Das Wie bleibt offen, und ein neuer Klageweg vor Gericht, die Sammelklage, wird auch noch zugesagt: Dass in den USA praktizierte Formen dort umstritten sind und nicht in unser Rechtssystem passen: Darauf kommt es nicht an, sondern auf die Klatscher im Studio.

Noch nie habe ich einen derart populistisch geprägten Wahlkampf erlebt: Die Bürger in der Rolle der unmündigen Bittsteller, denen der Mächtige die Wünsche erfüllt. Oder jedenfalls verspricht. Wie eben ein Clan-Chef – der seinen Clan gnädig beherrscht, aber auch auf dessen Wohlwollen angewiesen ist. Ja, die moderne Welt ist kompliziert; es gibt Zuständigkeiten, Ordnungen, Gesetze, Etats, Verschuldungsgrenzen: Im Wahlkampf nicht. Kanzlerin oder Kanzler, beide noch ohne Amt für die Zukunft, versprechen alles. Ist Politik so allmächtig?

Die Politik kann keine Wirtschaft, ihre Mittel sind begrenzt, nicht jedes Wehwehchen ist per Gesetz heilbar. Das wird ausgeblendet. Und noch am Wahlabend zeigt sich die Politik, die sich gerade so machtvoll geriert hat, in ihrer Machtlosigkeit: Es wird schwer werden, überhaupt eine vernünftige Koalition halbwegs Gleichgesinnter auf Teilgebieten zu bilden. Vielleicht sogar unmöglich, das Wort von Neuwahlen geht schon um. Von der vermeintlichen Allmacht in die bittere Realität ist nur ein winziger Schritt, heute Hochrechnung genannt. Was aber bleibt: Der Staat kann alles. Sagen seine Vertreter in ihrer Hilflosigkeit. Aber im Brustton der Überzeugung. Die Wirklichkeit außerhalb des Studios ist zum Zurechtbiegen da.