Tichys Einblick
Vom Verlässlichsten auf deutschen Tellern

Sonntagsbraten, Sauce, Sättigungsbeilage

Nicht das beste Stück vom Tier, gut zubereitet aber eine Delikatesse: der Sonntagsbraten. Zur Signatur der deutschen Küche wurde jedoch die Beilage. In unbestimmter Form schaffte sie es als „Sättigungsbeilage“ auf ostdeutsche Teller und überdauerte die Wende.

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Das Familienoberhaupt am Kopf des Tisches bekam das beste Stück Fleisch, die Mutter legte es ihm als Erstem auf den Teller und reichte dazu eine richtig feine Sauce. Der Braten gehörte zum Sonntag, schon vor dem Kirchgang schob ihn die Hausfrau ins Rohr.

Man konnte sich den Braten nicht täglich leisten, und er brauchte seine Zeit. Der Sauerbraten etwa ruht drei Wochen lang in Marinade, in kühlschrankfreien Zeiten konserviert und mürbe gemacht von der Säure des Essigs. Es liegt am wachsenden Wohlstand und an der Beschleunigung der Küchenarbeit, dass die Sympathie heute dem Kurzgebratenen gilt. An der Spitze der beliebtesten Fleischspeisen steht seither das panierte Wiener Schnitzel vom Kalb, das aber auch als Schnitzel „Wiener Art“ vom Schwein nicht verachtet wird. Das Rindersteak ist ebenfalls in den finanziellen Breitengraden von Otto Normalverbraucher angekommen. Nur in Bayern ist der Schweinsbraten noch beliebter. Ein Wirtshaus, das auf sich hält, wird an der Qualität seines stets „ofenfrischen“ Nationalgerichts keine Zweifel aufkommen lassen wollen.

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Weniger Fleisch sollen wir essen, ist ständig zu hören. Aber auch die Gegenbewegung rollt. Ein unglaublicher Kult wird häufig ums Fleisch getrieben. Der Feinschmecker schwärmt vom Sous-vide-Garen in Vakuum und bei niedrigen Temperaturen und liebt monatelang abgehangene, gereifte, wie mumifiziert anmutende Teile. Er achtet auch auf die Rasse. Wenigstens Angus aus dem schottischen Hochland sollte es sein, wenn nicht gar Wagyu. Liebhaber schwören darauf, da es sogar ungesättigte Fettsäuren enthalte, also fast so gesund sei wie Olivenöl. Wenn wir uns glückliche Rinder vorstellen wollen, hier sind sie. Ihr Fleisch hätte die deutsche Oma allerdings allenfalls zu Hackfleisch durchgedreht, so stark marmoriert, wie es ist.

Im späten Mittelalter war der Fleischkonsum in Deutschland erstmals in allen Schichten erheblich angestiegen, vor allem die Städter verbrauchten enorme Mengen. Der Reisende Michel de Montaigne beklagte sich 1581 in Italien: „Das Fleisch bekommt man nicht halb so reichlich wie in Deutschland vorgesetzt, und es ist auch nicht so gut zubereitet.“ Gebremst wurde der Heißhunger der Deutschen auf Fleisch nur von der katholischen Kirche und ihren Fastenregeln. Deshalb lehnten Protestanten den Verzicht auf Fleisch ab. Die Reformation hob den Fleischkonsum. Heute hat wiederum die Abkehr vom Fleisch ideologische und religiöse Gründe.

Kein Braten ohne Sauce

Aber was wäre ein Braten ohne Sauce? Der Monaco Franze aus der gleichnamigen TV-Serie brachte es in der Münchner Polizeikantine unvergleichlich auf den Punkt: „Jeden Tag was anderes, bloß die Soß’ jeden Tag dieselbe. […] Ohne eine sämige Kantinensoße ist ein Beamtenleben nicht denkbar.“ Die Sauce zählt zum Verlässlichsten auf deutschen Tellern.

So gern deutsche Kost in Sauce schwimmt, so wenig wird diese geachtet. Es gilt die verhängnisvolle Regel: Es kann nicht genug Sauce sein. Sauce aber, das liegt in der Natur der Sache, macht sich umso rarer, je besser sie ist. Die Klage über den Mangel an Sauce ist so alt wie die Klage über den Mangel an Soßenqualität. „Nur müsste man sich eine Köchin auf anständige Saucen dressieren“, schimpft schon Konsulin Buddenbrook auf Besuch in München.

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Die Definition des deutschen Küchenphilosophen Carl Friedrich von Rumohr (1822) ist an Präzision nicht zu übertreffen: „Tunken oder Saucen nennt man die flüssigen Zugaben zu festen, nicht auflösbaren Nahrungsmitteln. Es haben diese Zugaben mehr als einen Zweck. Zuerst sollen sie dem Festen das Flüssige zugesellen, oder die Speisen schlüpfriger machen, damit sie umso bequemer die Kehle hinabgehen. Dann dienen sie auch, den Geschmack einer feinen Speise zu verfeinern oder durch Gegensätze zu heben.“

Die Sauce dient mithin nicht einem einzigen Zweck. Je nachdem, welchem die Küche den Vorzug gibt, wird der Kompromiss zwischen Verfeinerung und Verflüssigung ausfallen. Rumohr betont zuerst die Schmierstofffunktion der Sauce, dann erst den Zweck der Verfeinerung. Einem Franzosen käme das nicht in den Sinn. Für ihn ist Sauce stets Ausdruck höchster Kultivierung. Die deutsche Standardsauce ist leider meist ein fettig­salziges Trauerspiel, das tatsächlich besser Tunke genannt zu werden verdient und ihrer Konsistenz nach gelegentlich an Glibber erinnert.

Eine Sauce lässt den Feinschmecker schwelgen, darf bis zum letzten Tröpfchen aufgelöffelt, vom Teller gekratzt werden, ja das Verlangen wecken, den Teller abzulecken, um bloß kein Molekül der Köstlichkeit verkommen zu lassen. Auch Sauce lebt vom Geschmacksträger Fett. Deshalb werden klassische Saucen mit Butter und Sahne gebunden. Mitentscheidend für die Qualität vieler Saucen ist schließlich die Säure, sprich: der Wein. Immer gilt: Der größte Feind jeder guten Sauce ist der Geiz.

Denn eine Sauce ist ihrem Wesen nach Reduktion und Konzentration der Aromen. Und genau das ist das Problem. Der in Flüssigkeit gelöschte Bratensatz ist die Basis. Soll es mehr sein, wird zusätzliches Fleisch benötigt, das mit Knochen und Gemüse zu Fond verkocht wird. Wer viel gute Sauce haben will, muss enorm viel Aufwand betreiben. Eine schlechte Sauce dagegen wird mit billigen Mitteln wie Brühwürfeln oder Mehlschwitze verlängert.

Eine gute Sauce weckt das Verlangen,
kein Molekül der Köstlichkeit verkommen zu lassen

Je mehr Sättigungsbeilage bewältigt werden muss, wie es auf deutschen Tellern der Fall ist, desto mehr Sauce ist nötig. Ursprünglich stammt die „Sättigungsbeilage“ übrigens aus der DDR­-Gastronomie. Da man nicht genau wusste, was an einem bestimmten Tag zur Verfügung stehen würde – Kartoffeln, Reis, Klöße oder Teigwaren – stand eben eine neutrale Sammelbezeichnung auf der Speisekarte.

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So schrecklich „Sättigungsbeilage“ klingt, so treffend verknüpft der Begriff das genussfeindliche Erbe des sozialistischen Teilstaats mit der gesamtdeutschen Neigung zur Bürokratie – und hat vielleicht deshalb die Wende überlebt. Er weist darauf hin, dass auf deutschen Tellern Ordnung herrscht. Die Aufgaben sind klar verteilt. Oben der Geschmack, unten der Füllstoff. Daher widmet die Küche der Sättigungsbeilage die geringste Aufmerksamkeit.

Diese Geringschätzung hat sie indes nicht verdient. Es ist bezeichnend, dass Sättigungsbeilagen zur Signatur der deutschen Küche geworden sind. Als kulinarisches Kulturgut haben besonders Klöße und Spätzle zu kämpfen. Denn sie machen Arbeit. Die aber machen sich immer weniger Köche. Auch nicht in der Gastronomie. Es dominieren dort Fertigprodukte, meist nicht annähernd so gut wie selbst gemachter Kartoffelbrei oder Knödel.


Weiterschwelgen in: Wolfgang Herles, Vorwiegend festkochend. Kultur und Seele der deutschen Küche. Penguin Verlag, 416 Seiten mit zahlreichen vierfarbigen Fotos ausgestattet, 29,00 €.


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