Tichys Einblick
Was Familie tun kann, soll sie selbst tun

Gender macht Schule und Kinder zu Opfern

Wer heute denkt, er sei normal, steht schon morgen als transphob, homophob, antifeministisch oder natürlich als »rechts« am Pranger. Doch statt Probleme zu lösen, schafft die neue Gender- und Identitätspolitik täglich neue Opfer

Warum haben alle totalitären Ideen der Geschichte bei der Umsetzung ihrer Gesellschaftspolitik strategisch nach den Kindern gegriffen? Die Antwort ist einfach: Weil es nötig ist und auch erschreckend gut funktioniert, um bei ihnen die bisherige Normalität zu destabilisieren und zu zersetzen. Wer die Axt an die Familie als erste Sozialisationseinheit des Menschen anlegt, zerstört psychosoziale Stabilität, Tradition, Wissen, Überlieferung, religiöse Glaubensvermittlung und auch die daraus resultierenden Wert- und Moralvorstellungen. Auch wenn die Freunde des Kollektivs es nicht hören wollen, aber die Familie ist erwiesenermaßen das beste Bollwerk gegen übergriffige Staaten und Ideologen. Die gesellschaftlichen Folgekosten mutwilligen Eingreifens in die innere Balance und Stabilität der Familie sind legendär, weil sie nicht nur die Kinder, sondern auch die Demokratie gefährden. Das Diktum des früheren Bundesverfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde lässt grüßen: »Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.« Die Freiheit steht also auf dem Spiel, wenn ihr der gesellschaftliche Nährboden entzogen wird.

Die Freiheitsrechte demokratischer Verfassungen, auch der deutschen, sind deswegen in der Mehrheit Abwehrrechte gegenüber der Ambition des Staates, sich in das Leben seiner Bürger einmischen zu wollen. Während medial also oft das »Recht auf etwas« diskutiert wird, verkörpern Verfassungsrechte ihrem Wesen nach eher »Freiheiten von Bevormundung«.

Streitschrift gegen Familienpolitik
"Eine glückliche Mutter ist heute eine Provokation"
Die Kleinfamilie ist der erste Wirk-Raum des freien Gedankens in der Privatheit der eigenen vier Wände. Hier wird noch die »Muttersprache« gesprochen und nicht die »Kita-Sprache« oder gar ein gendersensibles »Neu*Sprech«. Kinder sind eingebettet in der Familie im besten Sinne »Freie Radikale«, die noch gebändigt und kultiviert werden müssen, um in der Gesellschaft, in die sie hineingeboren werden, zu überleben und zu gedeihen. Tragfähige Erziehungsvielfalt findet bestenfalls in der Vielfalt von Familie statt: in der Vielfalt von Weltanschauungen, politischen Meinungen, religiösen Gemeinschaften, ethnischen Hintergründen und geschlechtlicher Unterschiedlichkeit. Familie ist Kulturtat im besten Sinne, Vielfalt par excellence. Deswegen ist sie für totalitäre Ideen so unberechenbar und gefährlich. Wenn hingegen der Staat erziehen will und dafür seinen Kompetenzbereich ausweitet, regiert im Kinderzimmer erschreckend schnell die staatliche DIN-Norm im politisch gerade opportunen Denkradius.

Die Kultivierung der Kinder zu gesellschaftsfähigen Wesen ist also grundsätzlich ein normaler Vorgang und sozusagen die Wiege des natürlichen Subsidiaritätsprinzips: Was Familie tun kann, soll sie selbst tun. Das Tauziehen um die Normalität wird bloß in der Frage ausgefochten: Wer nimmt die Kultivierung der neuen Pflänzchen vor, nach welchen Ideen, mit welchen Methoden und zu welchem Zweck? Selbst liberale Eltern geben ihren Kindern doch eine Kultur als Norm vor, nämlich jene, dass rote Linien nur freie Ansichtssachen und aushandelbar sind. Und selbst der Anarchist setzt eine Regel: dass es keine gibt.

Wenn also im gendergemainstreamten Erziehungsideal gerade die Rettung der Kinderseelen aus ihren reaktionären zweigeschlechtlichen, heterosexuellen und – Gott bewahre – erzkatholischen Elternhäusern hin in eine liberale, tolerante, freiheitliche, geschlechtssensible Zukunft als Akt der Befreiung aus der »Zwangsheteronormativität« propagiert wird, ist es in Wahrheit genau wie bei Erwachsenen auch: Es führt nicht in die Freiheit, auch hier wechseln nur die Erziehungsberechtigten und ihre Motivation. Problematisch ist, dass Kinder gegenüber Erwachsenen weithin wehrlos sind. Umso wichtiger ist es, dass die Motivation jener, die sie erziehen, von Liebe, Wohlwollen und Achtsamkeit geprägt ist.

Wer den Menschen neu schaffen will – und von nicht weniger als dem handelt die gesamte Genderidee –, sollte also beizeiten mit der Erziehung zum sexuell vielfältigen Menschen beginnen, am besten, bevor sich anderweitige Glaubenssätze bei den Kindern gefestigt haben. Glaubt ein Kind bereits, die Welt sei zweigeschlechtlich, eine Ehe aus Mann und Frau normal, und man selbst sei entweder ein Junge oder ein Mädchen, einfach nur weil es dem eigenen Erfahrungshorizont entspricht, ist aus Genderperspektive bereits Gefahr im Verzug. Wer die heterosexuelle Beziehung der eigenen Eltern für selbstverständlich oder gar nachahmenswert hält, ist im Sinne der Gendertheorie bereits auf Abwegen. Wir nehmen uns als Kinder die Eltern zum Vorbild, im Schlechten und im Guten, und formulieren damit bewusst und unbewusst Lebensziele für später.

Im Gespräch mit Birgit Kelle
Das Kind auf Bestellung bald auch in Deutschland?
Alle Kinder träumen die »Wenn ich einmal groß bin«-Träume. Meine jüngste Tochter sprach als Vierjährige von sich in der Zukunft immer mit folgender Formulierung: »Wenn ich später eine Mama bin, dann …« Aus feministischer Sicht ist das ein Supergau, ging doch das arme Ding davon aus, ihre Weiblichkeit hänge mit Biologie und Fortpflanzung zusammen und dass es gar normal, ja nahezu ein Automatismus sei, dass sie als Mädchen später so wie ihre eigene Mama, die Oma, die Nachbarin, die Tanten und die Mütter ihrer Freunde, einmal Kinder haben würde. Das Ziel, später eine offene Beziehung als polyamouröses und geschlechtlich non-binäres Wesen zu führen, kam ihr nicht in den Sinn, weil sie von dieser verlockenden Alternative eben nichts wusste. Andersdenkende und selbsterziehende Eltern sind also der natürliche Feind der Genderbewegung, denn sie sind Hüter der Normalität.

Man kennt die Bilder von Kindern in Uniformen in Reih und Glied aus Nordkorea oder aus China recht gut. In Vergessenheit geraten scheint, dass dieselben Methoden vor nicht allzu langer Zeit noch auf dem Staatsgebiet der DDR und des gesamten Ostblocks hinter dem Kommunistischen Wall ebenfalls Standard waren. Der Gehorsam zur einzig gewollten Denkweise wurde in all diesen Regimen von klein auf »angelernt«. Ich bin selbst noch im kommunistischen Rumänien geboren und hatte mein erstes Pioniertuch bereits in der Grundschule stolz in Empfang nehmen dürfen. Wir wurden zum Beklatschen der Paraden zu Ehren des großen Diktators Ceaușescu auf Schulhöfen und an Straßenrändern mit Fähnchen in der Hand in Stellung gebracht. Das Kommunistische Manifest fordert es als Strategie unverblümt ein: Die Gesellschaft soll die Kinder erziehen, Ambitionen der Eltern diesbezüglich sollten verlacht werden. Simone de Beauvoir hat es später, wie all ihre marxistisch geprägten Freundinnen, nur brav nachgeplappert. Eltern als mögliche Störfaktoren auf dem Weg in eine neue Gesellschaft kennt man auch aus dem Nationalsozialismus. Dort betrieb man ebenfalls die Methode, Kinder staatlich zu erziehen und zum Zwecke der Indoktrination in Gruppen abseits der Familienstruktur zu organisieren, um sie im Zweifel zu gehorsamen Staatsbürgern und Denunzianten ihrer eigenen Eltern zu formen.

Es ist zutiefst tragisch und irgendwie doch logisch zugleich, wenn wir erleben, dass diese Denkfiguren heute wiederaufleben und die WHO, der Gesundheitsminister oder die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die sexuelle Bildung von Kleinkindern zur Staatsaufgabe erklären183. Genau hier setzt sexuelle Frühertüchtigung der Genderbewegung als Gegenpol des Elternhauses an. Wer sich also fragt, warum die sexuelle Erziehung von Kindern inzwischen mit staatlichem Segen bereits im Kindergarten stattfinden soll, findet hier seine Antwort: Dort hat man sie alle beisammen, abseits der Eltern. Wer Kinder früh vereinnahmt, muss sie später nicht mühsam auf einen neuen Weg Richtung Regenbogen bringen. Es ist eben viel einfacher, jemanden von klein auf nach einer Ideologie »zu biegen«, als ihn erst brechen und danach mühsam neu einschwören und zusammensetzen zu müssen.

Gender-K(r)ampf
Wer Gender will, bekommt es bis zum bitterbösen Ende
Kindergärten und Grundschulen lesen jetzt also Kinderbücher über Papas mit Babybauch, schwule Prinzen, die endlich Hochzeit feiern, und ähnliche Geschichten. Schulen schreiben Diktate zum Thema Polygamie, empfehlen sexuelle Praktiken, schulen in »Porno-Kompetenz« und was man als Schulkind zum Schließen lebenslanger Freundschaften sonst noch so braucht. Selbst Bayern baut Unisextoiletten für Sechsjährige. Schulen verpflichten sich per Lehrplan zur Unterstützung beim sexuellen Coming-out184, wie etwa im Bundesland Hessen, und zur Belohnung geht es zum Schulausflug auf den Christopher Street Day. Systematisch wird von klein auf im staatlichen Betreuungs- und Bildungssystem eine Scheinrealität als neue Norm für Kinder gezimmert, obwohl ihre gelebte Realität eine andere ist.

Man sollte nun meinen, dass in freien, demokratischen Gesellschaften immer automatisch die Alarmglocken läuten müssten, wenn wieder eine politische Bewegung daherkommt, die Kinder aus den Fängen ihres angeblich reaktionären Elternhauses befreien will, um sie abseits ihrer Verwandtschaft auf den »richtigen« Weg zu führen. Doch weit gefehlt, denn dieses Gedankengut ist bereits lange im sozialdemokratischen Denken verankert. Die Wiedervereinigung Deutschlands hat zudem einen Landesteil zurückgebracht, der über Jahrzehnte kollektivistische Ideen praktiziert hat und die staatliche Erziehung von Kindern von klein auf in weiten Teilen nicht mehr hinterfragt. Hat man doch ein paar Generationen bereits im Kommunismus der DDR an die Normalität dieser Praxis gewöhnt. Früher hieß es also Sozialismus, heute kommen die gleichen Inhalte im bunten Gewandt daher und nennen sich moderne Familienpolitik.

Die Familienpolitik in Deutschland folgt diesem Weg schon lange und selbst die konservativen Parteien zeigen wenig Interesse, daran etwas zu ändern. Nicht einmal die Liberalen protestieren, sie wollen weniger die Kinder befreien, aber die Frauen auf dem Arbeitsmarkt sehen, dafür muss das Kind eben wegorganisiert werden. »Wir wollen die Lufthoheit über den Kinderbetten erobern«, formulierte es plakativ und seither vielfach zitiert der heutige SPD-Vizekanzler Olaf Scholz schon im Jahr 2002185. Man kämpft im Sinne der Emanzipation schon Jahrzehnte dafür, die Frau von der Last ihrer Kinder zu entbinden, um die nächste Generation im Kollektiv staatlicher Kinderbetreuung großzuziehen.

Um Eltern weiter in ihren Erziehungsrechten zu beschneiden und den Staat gleichzeitig als neuen »Advokaten« der Kinder zu installieren, ist das Projekt »Kinderrechte in die Verfassung« aktiv. Regelmäßig wird darauf gedrängt, eigene Rechte für Kinder in der Verfassung zu verankern, damit der Staat endlich an den Eltern vorbei seine »Wohltaten« an das Kind bringen kann. Selbst mitten in der Corona-Krise, als Millionen von Familien erstaunliche Leistung brachten, indem sie zu Hause ihre Kinder betreuten, beschulten und nebenher auch noch berufstätig sein mussten, fiel der sozialdemokratischen Justizministerin Christine Lambrecht nichts Besseres ein, als erneut zu fordern, man müsse die Kinderrechte endlich durch das Parlament schleusen.

Keinem Kind ginge es dadurch besser und es ist juristisch überflüssig, denn Kinder sind auch Menschen und genießen deswegen jedes Menschenrecht der Erwachsenen, aber zu verlockend ist es nach wie vor, endlich dem Staat die Kompetenz zu überschreiben, was denn dem Kindeswohl entspricht und was nicht. Juristisch wären nämlich – im Falle der Verankerung von Sonderrechten für Kinder in der Verfassung – nicht mehr wie jetzt Eltern die »natürlichen Vertreter« ihrer Kinder, sondern der Staat als zweite Instanz daneben, der ebenfalls beansprucht, das Kindeswohl zu definieren und zu verteidigen – im Zweifel auch gegen die Ansichten der Eltern. Etwa wenn diese ihren Kindern die wertvolle sexuelle Bildung in Kindergarten und Schule verweigern wollen. Oder die Geschlechtsumwandlung. Kinderrechte in der Verfassung wäre ein juristischer Keil zwischen Eltern und Kind. Schlimmstenfalls wäre dieser Schritt das Einfallstor zum massiven staatlichen Eingriff in die Kernzelle der Familie.

Kein Anlass zu heikel
Die alte und schlechte SPD-Idee von den Kinderrechten in der Verfassung
Das politische Vehikel der »Rechte der Kinder« umfasst ja schließlich auch das »Recht der Kinder auf Bildung« oder das »Recht der Kinder auf sexuelle Entfaltung«. Was dabei Bildung ist, was bereits Indoktrination oder was gar blanke sexuelle Übergriffigkeit darstellt, wird heute immer öfter auf dem Schlachtfeld des Sexualkundeunterrichtes politisch ausgefochten. Es ist kein Zufall, sondern System, dass sich die Erweiterung des Sexualkundeunterrichtes auf immer jüngere Kinder mit immer umfangreicheren Materialien wie ein Lauffeuer in den Bildungsplänen der einzelnen Bundesländer verbreitet hat und genau genommen auch in ganz Europa parallel forciert wird. Bildung zur sexuellen Vielfalt wurde damit zum »Kinderrecht auf sexuelle Bildung«. LGBT-Rechte werden als Toleranzschulung vermittelt. Wer da widerspricht, ist argumentativ automatisch auf der intoleranten Seite einsortiert. Welches Kind hält dem argumentativ vor der Klasse und dem Lehrer stand oder gar etwas entgegen?

Und Toleranz ist längst nicht mehr genug. Sprachlich ist man schleichend zum Begriff der »Akzeptanz sexueller Vielfalt« übergegangen, ohne dass darüber diskutiert wurde, dass die beiden Begriffe inhaltlich sehr klar zu unterscheiden sind. »Framing« nennt es sich methodisch, wenn politische Ambitionen in den richtigen »Rahmen« gesetzt werden und die Durchschlagskraft mit dem richtigen »Wording«, also der richtigen Formulierung, vorangetrieben wird, um den Weg zu ebnen. So wie aus Gleichberechtigung die Gleichstellung wurde, ist aus der Toleranz die Akzeptanz als Bildungsziel umformuliert worden. Inhaltlich bedeutet Ersteres, dass unterschiedliche Positionen legitim sind, die sich gegenseitig aber erdulden müssen, von Lateinisch tolerare, während die Akzeptanz erwartet, dass ich meine inhaltliche Position verändere und die andere annehme, von Lateinisch accipere. Akzeptanz erfordert also einen Seitenwechsel, einen Meinungswechsel, während die Toleranz mir meinen anderen Standpunkt zugesteht, wohlwissend, dass es auch andere legitime Meinungen dazu geben kann. Jeder Parlamentsbetrieb, der aus mehr als einer Partei besteht, ist gelebte, demokratische, freiheitliche Toleranz. Schule und Kindergarten mit Gendergewässern unterm Kiel erziehen aber in Sachen sexueller Vielfalt zu Akzeptanz, der Meinungswechsel ist also neues Bildungsziel.

Auszug aus: Birgit Kelle, Noch normal? Das lässt sich gendern! Gender-Politik ist das Problem, nicht die Lösung. FBV, 250 Seiten, 19,99 €.


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