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»Flugasche« – der Roman, der in der DDR nicht erscheinen durfte

Das Gesamtwerk Monika Marons erscheint in sorgfältig edierten Neuausgaben in diesem Herbst im traditionsreichen Verlag Hoffmann und Campe – den Anfang macht ihr gefeiertes Debüt.

»Flugasche« erzählt die zwei Geschichten der 30-jährigen Journalistin Josefa Nadler. Beruflich schreibt sie in einer Reportage die Wahrheit über das Kraftwerk B., tritt für die Rechte der dort wohnenden Menschen ein, darf ihre Reportage jedoch nicht veröffentlichen. Sie muss sich vor ihren Kollegen und der Partei rechtfertigen. Privat lebt sie allein mit ihrem Sohn, gefangen in einem Gefühlschaos zwischen der Sehnsucht nach Geborgenheit und Freiheit und der Erfahrung von Einsamkeit und Zwang. Ein großer Roman, der danach fragt, wie man sich im Leben selbst gerecht werden kann.

Monika Marons Debutroman, der von vierzig Jahren im Fischer Verlag erschien, macht sie über Nacht zu einer gefeierten Schriftstellerin. »Flugasche« hat stark autobiographische Züge – wie ihre Hauptfigur war Maron als Journalistin (für die »Wochenpost« sowie die Frauenzeitschrift »Für Dich«) tätig. Ihre Reportage über Bitterfeld aus dem Jahre 1974 führte sie vom Journalismus zur epischen Form – eine späte Berufung für eine Autorin, deren Name als Anagram von »Roman« gelesen werden kann – da sie nur nach sehr starken Eingriffen der Redaktion veröffentlicht werden konnte. In »Flugasche« verarbeitet sie diese Erfahrung. Wegen seiner stark gesellschaftskritischen Züge (der stellvertretende Kultusminister bezeichnete ihre Darstellung als »Schwarzmalerei«) hätte auch ihr Debut nur nach extremen Eingriffen durch die Zensur in der DDR erscheinen können.

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»Am Ende des zweiten Kapitels spannt Josefa Nadler, die Ich-Erzählerin und Heldin des Erzähldebüts, einen neuen Bogen Papier in ihre Schreibmaschine und tippt den ersten Satz: ›B. ist die schmutzigste Stadt Europas.‹ Am Ende des Romans wird sie, zermürbt, aber nicht zerbrochen, bei der ›Illustrierten Woche‹ kündigen – den Kompromissen, die man von ihr fordert, ist sie nicht gewachsen, ihrem Wissen um die Wahrheit aber schon.«, schreibt Jochen Hieber in der FAZ über »Flugasche«.

Dabei hätten ihr als Stieftochter des ehemaligen Innenministers Karl Maron alle gesellschaftlichen Türen weit offen gestanden. Während eines kurzen Kontaktes zur Staatssicherheit, den sie nach einem halben Jahr beendete, schrieb sie zwei Berichte, die inzwischen bei Wikipedia verlinkt und jedermann zugänglich sind. 1988 erhielt sie ein Dreijahresvisum und lebte mit Mann und Sohn in Hamburg. Nach der Wiedervereinigung zog sie wieder nach Berlin.

»Flugasche« ist einer der großen Romane der Nachkriegszeit. Zum einen, weil er die Brüchigkeit der DDR offenbarte – ihr wirtschaftliches Ausbrennen zu Lasten von Bürgern und Gesundheit. Und gleichzeitig als Zeitzeugnis den wachsenden Widerstand dokumentierte, der letztlich zum Zusammenbruch des sozialistischen Unrechtsstaates führte.

Aber es ist kein Pamphlet, kein lang gewordenes Flugblatt. Es ist ein Roman, den zu Lesen ein Genuss ist, heute fast noch mehr, als zu Zeiten seines Erscheinens, weil die Aufgeregtheit sich gelegt hat und die Präzision wie die Schönheit von Marons Sprache hervortritt. Und gleichzeitig weist er nach vorne, als eine Parabel über die politische Lüge, in der wir auch in der Gegenwart verfangen sind.

Monika Maron, Flugasche. Roman. Hoffmann und Campe. Hardcover mit Schutzumschlag, 256 Seiten, 24,00 €


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