Tichys Einblick
Der schwarze Schwan in Sicht

Die Uhr tickt: hochriskante Zinspolitik der EZB

Obwohl die Zeichen an der Wand in Form der fallenden Bankenerträge, neuer Analysen renommierter Institutionen zur Frage der Zombiekredite und nervösen Börsen immer deutlicher werden, ist mit einer Lernkurve der EZB und der ihr angegliederten Bankaufsicht nicht zu rechnen.

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Was machen Sie eigentlich, Herr Krall, wenn sich am Ende herausstellen sollte, dass die Zinspolitik der EZB doch nicht zum Kollaps führt und die von ihnen prognostizierte Krise nicht eintritt? Diese Frage wird mir – vor allem in Berlin – des Öfteren gestellt. Die Antwort auf diese Frage ist ziemlich einfach: Dann mache ich eine Riesenflasche Champagner auf, weil das ein Grund zum Feiern wäre. Denn – Hand aufs Herz – wer würde so eine epochale Krise sehen wollen, nur um recht zu behalten? Soviel Zynismus bringe ich nicht auf.

Leider sieht es nicht danach aus, als würde ich meinen Champagner in der Sache bekommen. Es sieht mehr nach Selters aus. Im Gegenteil: Die seit Veröffentlichung des „Draghi-Crash“ im Juni 2017 hereinströmenden Daten lesen sich nachgerade so, als würden sie dem Drehbuch der sich anbahnenden Krise folgen.

Bankensystem: Die Erträge sind weg und die Kosten noch da

Die Erträge der Banken in Deutschland sind – wie im „Draghi-Crash“ prognostiziert – seitdem um über 10 Milliarden Euro abgestürzt und der Ertragsverfall geht weiter, ja er dürfte sich noch beschleunigen in den nächsten Quartalen. Der Kostenabbau hält damit nicht annähernd Schritt, weil Regulierungskosten und das gründliche deutsche bzw. EU-weite Arbeitsrecht das verhindern: Es ist einfach nicht mehr genug Geld für die Rückstellungen für Abfindungen da, die man braucht, um die Kosten wirklich in ausreichender Höhe zu senken.

Und es sind nicht primär die Gebührenerträge, wo die Ursache der Erosion eher im Auftreten der neuen Fintechs zu suchen ist, die fallen. Es sind vor allem die Zinsmargenerträge. Es zeigt sich Monat für Monat deutlicher, dass die Ertragsreserven, die man zur bilanztechnischen Übertünchung des Problems in den letzten Jahren herangezogen hat, jetzt aufgebraucht sind. Die letzten langlaufenden Kredite mit guten Kreditmargen laufen aus, die Rückstellungen für Kredit-Drohverluste sind aufgelöst, die Zinsänderungsvorteile aus fallenden kurzfristigen Zinsen in die Gewinne verbucht. Jetzt ist Ende Gelände.

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Laut Bundesbankbericht vom Oktober sind diese Erträge in den letzten beiden Berichtsjahren 2016 und 2017 von 96 Milliarden auf 85 Milliarden gefallen. In Jahr 2 schneller, als in Jahr 1. Über immer mehr einzelne Banken schreiben die Analysten, dass sie die Ertragszahlen und die Cost-Income-Ratio nicht glauben oder nachvollziehen können.

Bei den Genossenschaftsbanken und Sparkassen macht man sich zunehmend Sorgen über das Zinsänderungsrisiko, weil man bedingt durch das Einlagengeschäft die Fristentransformationsgewinne ausgereizt hat indem man Spareinlagen massiv in sehr langlaufende Kredite umsetzte. Das führte in der Vergangenheit dazu, dass die „erwirtschafteten“ Zinsmargen ein paar zehntel Prozent höher ausfielen. Aber jetzt wird für diese Sache möglicherweise die Rechnung in Form von Risikokosten präsentiert.

Zombie, der: Untoter, der noch herumläuft und andere ansteckt

Die Verseuchung der Kreditportfolien mit dem Risiko der Zombiekredite wird mittlerweile selbst von den Zentralbanken und der Bankenaufsicht nicht mehr in Abrede gestellt. So veröffentlichte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich BIZ in Basel, die Zentralbank der Zentralbanken, vor wenigen Wochen eine Studie, die auf die Gefahren der Zombifizierung der Wirtschaft und der Kreditportfolien als Folge des Nullzinses überdeutlich hinwies. Man darf wohl davon ausgehen, dass die BIZ über mindestens ebenso gute Daten zur Verifikation des Problems verfügt, wie der Autor.

Auch Analysen auf Basis öffentlich verfügbarer Daten zeigen zum einen eine Beschleunigung der Ertragserosion, wie auch eine konstante Akkumulation der durch den Nullzins induzierten Kreditrisiken.

Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen: Die drei Affen als Wappentier Europas

Die einzigen, die es immer noch nicht mitbekommen haben, sind die Herrschaften in den Europäischen Institutionen. Die EBA veröffentlich unverdrossen ihren fünften Stresstest, erstellt mit der gleichen untauglichen Methodik wie die letzten vier. Das Ergebnis entspricht wieder einmal den politischen Vorgaben: Ein bisschen rumnörgeln hier und da (das zeigt die Ernsthaftigkeit unserer Arbeit), aber Alles in Allem ein blanko-Passierschein für alle als Signal an die Geldpolitik, dass sie so weiter machen darf wie bisher. Zum Lohn wurde der an seiner Aufgabe gescheiterte Präsident der EBA, der für die Methodik der Stresstests zuständigen European Banking Authority, Enria, jüngst zum Präsidenten des SSM befördert, also des Single Supervisory Mechanism, der der EZB angegliederten Europäischen Bankaufsichtsbehörde. Das Peters-Prinzip bei der Arbeit, Murphys Gesetz sowieso.

Bereits die alten Tests krankten daran, dass die zuständigen Aufsichtsbehörden SSM und EBA nicht über die methodischen Instrumente verfügen, um die Risiken der Banken, insbesondere ihre Kreditrisiken, auf einer einheitlichen Grundlage und nach einheitlichen Maßstäben zu bewerten.

Target-2 und die Gesundheit der Banken
Stattdessen kann man auf Seite 11 des Berichts der EBA zum wiederholten Male nachlesen, dass „die Banken ihre eigenen Modelle und Daten zur Projektion der Ergebnisse bereitstellen und diese dann nach den Vorgaben von „in der Methodik definierten Definitionen, Begrenzungen, Höchst- und Mindestwerten“ adjustieren müssen“, um „ein Minimum an Konservatismus, Konsistenz und Vergleichbarkeit der Projektionen sowie ein gleichmäßiges Spielfeld sicherzustellen.“ Ein Minimum. So so. Also Humor haben sie ja, die Burschen.
Die „Kompetenten Autoritäten“ mit der Inkompetenz-Kompetenz

Außerdem lernen wir da, dass – Zitat! – die „Kompetenten Autoritäten einen extensiven Qualitätssicherungsprozess durchgeführt haben, der die Verlässlichkeit und Robustheit der Ergebnisse sicherstellt.“ Wir attestieren uns die nicht vorhandene Kompetenz jetzt quasi als Namensbestandteil unserer juristischen Amtsbezeichnung.

Die Märkte nehmen kaum noch Kenntnis von der in dem „Stresstest“ enthaltenen Gesundbeterei. Stattdessen schicken sie – leider zu Recht – die Bankaktien auf immer neue Tiefstände. Das Verhältnis von Aktienpreis zum Bilanzkapital wird dabei immer absurder.

Das Menetekel der Börsen

Darin steckt auch eine Information und eine Botschaft: Wenn eine Bank an der Börse nur noch 20% ihres in der Bilanz ausgewiesenen Eigenkapitals wert ist, dann geht die Summe der Marktteilnehmer ganz offensichtlich entweder davon aus, dass vier Fünftel bereits in Wahrheit weg, aber in der Bilanz fälschlicherweise als noch existent ausgewiesen sind oder sie unterstellen, dass künftige Verluste durch zu niedrige Erträge und zu hohe Kosten noch dafür sorgen werden, dass das so kommt und dass die Bank deshalb keine Gewinne macht, geschweige denn ihre Kapitalkosten verdient.

Wenn das aber so ist, dann fragt man sich doch, wo diese Risiken und Verluste sich verbergen, die der Markt sieht, aber die schlauen Bürokraten vom heiligen Stresstest offenbar nicht. Die Antwort ist einfach: Sie liegen in den Zombiekrediten, in der Akkumulation von Zinsänderungsrisiken, im Verbrauch von stillen Reserven zur Verzögerung des Offenbarungseids fallende Erträge ausweisen zu müssen, kurz: in der nachhaltigen Zerstörung des Geschäftsmodells der kommerziellen Banken und Sparkassen durch die Folgen der Geldpolitik. Das ist aber auch so ziemlich das Einzige, was an dieser Politik nachhaltig ist, sieht man mal von der Realitätsverweigerung ab.

Wenn dieser schwarze Schwan um die Ecke schwimmt, dann fürchte ich, wird es in der Tat nichts mit dem Champagner. Schade eigentlich.

Mehr zum Thema in: Markus Krall, Wenn schwarze Schwäne Junge kriegen. Warum wir unsere Gesellschaft neu organisieren müssen. FinanzBuch Verlag, 240 Seiten, 17,99 €.

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