Tichys Einblick
Gender durchdringt alle akademischen Fächer

Die sogenannte Gender-Forschung greift um sich

Der Feminismus gehört zu den erfolgreichsten sozialen Bewegungen der neueren Geschichte. Seine neueste Form wird als Genderfeminismus, das mit ihm verbundene Forschungsfeld als Gender Studies bezeichnet

Getty Images

Die sogenannte Genderforschung greift um sich. Mal nennt sie sich verschleiernd (interdisziplinäre) Frauen- und Geschlechterforschung, mal Geschlechtergeschichte oder Geschlechtersoziologie, immer häufiger aber firmiert sie auch unter den Klarnamen Genderforschung oder Gender Studies. Allein in Deutschland gibt es mehr als 200 Professuren dafür. Zum Vergleich: Für alte Sprachen sind es rund 120 Professuren, für Pharmazie 190. Hinzu kommt ein Netzwerk an Forschungszentren, Forschungsverbünden, Instituten und Projekten. Die Zahl derjenigen, die allein im deutschsprachigen Raum als Gender-„Forscher“ gelten, geht in die Tausende. Wir übergehen mal die Frage, was mit all den Bachelor- und Master-Absolventen sowie Doctores entsprechender Studiengänge auf dem Arbeitsmarkt geschehen soll. Werden die Gleichstellungsreferate von Staat und Kommunen, von Unternehmen und NGOs bald drastisch aufgebläht, um diese Leute nicht arbeitslos werden zu lassen? Eine rhetorische Frage, wir sind schon mittendrin in dieser Entwicklung!

Gender durchdringt mittlerweile jedenfalls alle akademischen Fächer. Durch die Ausweitung auf die Bereiche Sexualität, Inklusion und Migration sind Gender Studies außerdem Träger bzw. fester Bestandteil von Diversitätsforschung, Queer Studies, Post- bzw. Decolonial Studies und Disability Studies. Seit Ende der 90er Jahre bemühen sich die Vertreter des Gender Mainstreamings und der Gender Studies solchermaßen um eine Erweiterung ihrer „Kompetenz“, indem sie andere, von ihnen als marginalisiert eingestufte Gruppen einzubeziehen versuchen. Forschung zu Diversität/Diversity nennt sich das. Hier findet ein Schulterschluss von Politik und Wirtschaft statt. Sichtbares Symbol ist die 2006 unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Merkel veröffentlichte Selbstverpflichtung „Charta der Vielfalt“ von Wirtschaftsunternehmen, akademischen und sozialen Einrichtungen sowie Behörden zur Diversität in Bezug auf Nationalität, Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexueller Orientierung und Identität. Letztlich ist auch der am 10. Dezember 2018 von Deutschland mitunterzeichnete UN-Migrationspakt (Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration) ein weiterer Schritt in dieser politischen Ausrichtung.

Unsinn ist Unsinn
Schweiz: Selbst Frauen halten wenig von Gender-gerechter Sprache
Mehr und mehr werden auch Menschen mit Migrationshintergrund von den Gender Studies vereinnahmt. Dies geht einher mit der Debatte um Postkolonialismus und Dekolonisierung, bei der es ähnlich wie im Falle der Gleichstellungspolitik für Frauen darum gehen soll, gesellschafts- und kulturpolitische Schlüsselstellen mit Vertretern bestimmter Gruppen zu besetzen. Als förderungswürdig im Sinne der Dekolonisierung gelten nach der Diktion von deren Vertretern vor allem „people of color, Migrant*innen, Indigene und Kolonialisierte“; dazu kommen „Postmigrant*innen“, gemeint sind die Nachkommen von „Migrant*innen“. Als Argument für die angestrebte sogenannte positive Diskriminierung wird dabei auf erlittenes Unrecht in der historischen Vergangenheit rekurriert. Die Methodik der postkolonialen Forschung basiert entsprechend weitgehend auf feministischen und marxistischen Konzepten. In einigen Fällen bildeten sich innerhalb der Gender Studies sogenannte Queer Studies aus, die sich speziell mit Homosexualität und Transgender beschäftigen – auch hier mit dem expliziten Ziel politischer Lobbyarbeit. Dabei handelt es sich bei den Dozenten der Queer Studies durchgehend um aktive Vertreter der sogenannten LGBTQ-Community, also Lesben, Gay, Bisexuelle, Transgender und Queer.

Vor allem aber wurde die „Frauenforschung“ mit der Genderforschung zum „verlängerten Arm der politischen Frauenbewegung. Die herkömmlichen Ideale der Wissenschaft wie Neutralität, Unparteilichkeit, Ergebnisoffenheit und Objektivität wurden damit aber beiseitegelegt, denn Frauenforschung soll explizit parteilich sein. Die feministische Wissenschaft soll die „männliche“, patriarchale Wissenschaft sowie heteronormative sexuelle Einstellungen dekonstruieren. Ob diese Verquickung von Wissenschaft und Politik den geltenden Wissenschaftsnormen entspricht? Größte Zweifel sind angebracht, denn die Gender-Forscher vermischen gerne empirische Beschreibungen und Erklärungen mit Wünschen, Hoffnungen, Werturteilen und politischen Zielsetzungen.

Reflexhafte Schelte der LSBTTIQ-Lobby
Der Vatikan widersetzt sich dem Gender-Mainstreaming
Was ist Gender überhaupt? Gender bezeichnet im Gegensatz zum biologischen Geschlecht (Sex) das soziale Geschlecht. Gender wird zur wichtigsten sozialen Kategorie gemacht – grundlegender als andere soziale Kategorien wie soziale Schicht, soziale Klasse, Rasse, Ethnie, Alter, Nation oder Religion. Das Ziel des Gender Mainstreamings ist es, ergebnisorientierte Gleichheit zwischen den Geschlechtern durchzusetzen. Jede historisch entstandene Ungleichheit müsse daher aufgehoben werden. Somit wird Frauenpolitik zum leitenden Prinzip der gesamten Politik und Gesellschaft erhoben. Mit den Verträgen von Amsterdam (1997) und Lissabon (2007) in der Folge der Weltfrauenkonferenz von Peking (1995) wurde Gender Mainstreaming in der Europäischen Union und in Deutschland zu einer staatlichen Selbstverpflichtung. Feminismus wurde zur Staatsdoktrin.

Nachfolgend in Kurzfassung fünf Beispiele aus den inklusive Vorwort 13 Kapiteln des Bandes:

Hans Peter Klein betrachtet die Gender Studies aus biologischer Sicht. Die naturwissenschaftliche Forschung über das Geschlecht werde von Vertreterinnen der Gender Studies ignoriert, so Klein. Biologie werde von ihnen als ein gesellschaftliches Unternehmen, ihre Erkenntnisse würden als kulturelle Phänomene betrachtet. Das widerspreche der Bestimmung der Biologie als einer modernen experimentell-analytischen Wissenschaft. Biologische Erkenntnisse beruhten nämlich auf überprüfbaren Fakten und nicht wie die Gender Studies auf Eindrücken, Einstellungen, Erzählungen und (subjektiven) Überzeugungen.

Heike Diefenbach geht der Frage nach, ob Gender Studies Wissenschaft oder eine politische Ideologie sind. Sie zeigt, dass Gender Studies nicht die fundamentalen Erfordernisse der wissenschaftlichen Arbeit erfüllen. Zum Beispiel werden die quantitativen Methoden in den Sozialwissenschaften, d.h. die empirische Überprüfung von Thesen, ignoriert; subjektive Erfahrungen werden in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Forschung gestellt. Die Gender Studies zielen – so Diefenbach – auf eine Transformation der Wissenschaft und die Etablierung einer bestimmten Weltanschauung an Hochschulen und in der Gesellschaft. Genauer: Sie sollen den Partikularinteressen von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen dienen.

Wolfgang Tischner fragt, ob das aus der pädagogischen Genderforschung stammende Konzept der Gleichheit der Geschlechter jungen Menschen, vor allem Jungen, schaden kann. Ja, schreibt Tischner, denn in der von der Genderpädagogik beeinflussten Schulpolitik werden die Bedürfnisse, Interessen und Eigenheiten von Jungen in hohem Maße ignoriert, vernachlässigt und abgewertet. Folge davon ist eine Benachteiligung von Jungen im Bildungssystem. Gründe für die Schlechterbehandlung von Jungen, so Tischner, sind eine Delegitimierung des Männlichen in der Familie und des Väterlichen in der Erziehung sowie eine fortschreitende „Feminisierung der Schule“. Siehe den zunehmenden Frauenanteil! In den Grundschulen sind weniger als zehn Prozent der Lehrkräfte männlichen Geschlechts.

Protest gegen Neusprech
"Schluss mit dem Gender-Unfug!"
Heinz-Dieter Pohl untersucht den Einfluss der Genderideologie auf die Rechtschreibung, insbesondere auf die Amtssprache. Anhand ausgewählter Beispiele betont er, dass zwischen der grammatikalischen Kategorie Genus und der biologischen Kategorie Sexus streng unterschieden werden müsse. Ein konsequentes „Gendern“, bei dem in sprachlichen Äußerungen das Geschlecht der Beteiligten herausgestellt werde, sei ein schwerwiegender Eingriff in die Entwicklung der Sprache.

Auch für Tomas Kubelik ist die Gleichsetzung von grammatikalischem Geschlecht (Genus) und biologischem Geschlecht (Sex) ein fundamentaler Irrtum. Das erstere sagt nichts über das letztere aus. Kubelik demonstriert anhand von Beispielen die Auswüchse der durchgegenderten Sprache, des „Gendersprechs“. Sein besonderes Augenmerk gilt der Politisierung und Ideologisierung des Sprachgebrauchs. Durch verordnete Sprachregelungen werde versucht, eine bestimmte Weltanschauung zu vermitteln.

Alles in allem: „Gender“ wird unter dem Mäntelchen von Wissenschaft und ausgestattet mit Professorentiteln zum politisch korrekten Denk- und Gesinnungsdiktat. Es ist gut, dass die Herausgeber dieses Bandes das deutlich machen. Der wütende Protest der Gender-Lobbyisten ist ihnen gewiss. Und das ist gut so.


Gender Studies – Wissenschaft oder Ideologie?
herausgegeben von Harald Schulze-Eisentraut und Alexander Ulfig,

Deutscher Wissenschafts-Verlag (DWV), 249 Seiten, 24,95 €


Empfohlen von Tichys Einblick. Erhältlich im Tichys Einblick Shop >>>