Tichys Einblick
Eine kleine, aber einflussreiche Politsekte

Die Antideutschen und ihr Faible für den Faktencheck

Nach dem Mauerfall zerlegte sich der Kommunistische Bund selbst. Der pragmatische Teil ging zu den Grünen. Wegen der hohen Durchsetzung der Grünen mit alten Kadern galt es in den Fluren der taz als ausgemacht, dass die CIA sofort intervenieren würde, falls die Grünen jemals über die Fünf-Prozent-Hürde kämen.

Der inoffizielle Wortführer der Antideutschen war Hermann Gremliza, ehemaliger Spiegel-Autor (und Ghostwriter von Günter Wallraff), der 45 Jahre lang Konkret leitete. Konkret war das Leib- und Magenblatt der westdeutschen studentischen Linken der 68er-Generation. Gegründet wurde Konkret von Klaus-Rainer Röhl, dem Mann der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof (Röhl gehört heute dem nationalliberalen Flügel der FDP an und schreibt für die Preußische Allgemeine). Lange Jahre bekam Konkret für jede Ausgabe 40.000 Westmark aus der DDR; gleichwohl ging das Blatt pleite. Gremliza übernahm es 1974, nachdem er beim Spiegel rausgeflogen war. Er befreite Konkret von seinen bis dato berüchtigten Tittenbildern und drehte es nach seriös-links – gegen Deutschland.

»Ich bin so frei, von dieser Scheißkultur nichts wissen zu wollen«, schrieb er in seinem Buch Haupt- und Nebensätze. »Deutschlands Werte gehen mir allesamt am Arsch vorbei, ich singe keine Hymne, folge keiner Flagge, werde einen Teufel tun, auf das Grundgesetz, diesen Waffenstillstandspakt im Klassenkampf (Rosa Luxemburg) einen Eid abzulegen.« Gremliza war ein lebenslanger Marxist, dessen Vater in der NS-Zeit ein hohes Tier bei Daimler Benz war, aber, wie der Sohn betonte, kein Nazi. So ein glücklicher Zufall! Er trat aus der SPD aus, als deren Bundestagsfraktion am Tag der Maueröffnung mit der CDU, CSU und der FDP im Bundestag aufstand, um das Deutschlandlied zu singen.

Gremliza vereinte, wie viele Antideutsche, seine Abneigung gegen Deutschland mit einer tiefen Liebe zu Israel. Warum diese Kombination überhaupt nützlich für Israel sein soll, bleibt das Geheimnis der Antideutschen; jedenfalls, Putinfans sind nicht auch gleichzeitig Deutschlandhasser, aber das nur am Rande. Die israelsolidarische Linke, die es so nur in Deutschland gebe, sei von Hermann L. Gremliza maßgeblich geprägt worden, schrieb die Jüdische Allgemeine, als er im Dezember 2019 starb. »Sie reicht von den Universitäten, wo prozionistische linke Gruppen an vorderster Front gegen die Israelboykottbewegung BDS kämpfen, über Medien wie Konkret und Jungle World bis hinein in Bundestagsparteien.« Der astrein arische »Commandante Redundante« (Wiglaf Droste) nahm gerne »jüdische Antisemiten« mit israelischer, deutscher oder US-Staatsbürgerschaft aufs Korn. Wie alle Antideutsche unterstützte er beide Feldzüge beider Bush-Präsidenten gegen den Irak. Er war auch – anders als der ebenfalls antideutsche Donald Trump – strikt gegen den Abzug der US-Truppen aus Deutschland. Damit lag er mit beidem auf der Linie der New York Times.

Nach dem Mauerfall zerlegte sich der Kommunistische Bund selbst. Der pragmatische Teil ging zu den Grünen. Wegen der hohen Durchsetzung der Grünen mit alten Kadern galt es in den Fluren der taz als ausgemacht, dass die CIA sofort intervenieren würde, falls die Grünen jemals über die Fünf-Prozent-Hürde kämen. Aus dem ideologisch orientierten Flügel hingegen entwickelte sich eine pro-israelische, antideutsche Einheitsfront, deren erstes publizistisches Aushängeschild die Zeitschrift Bahamas war.

Berlin-Neukölln
Berliner Linke-Politikerin hält Anti-Clan-Razzien in Shisha-Bars für „stigmatisierend“
Viele ältere Grüne, die noch heute politisch aktiv sind, waren im KB. Zu den Realos zählen etwa Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Ralf Fücks, der langjährige Geschäftsführer der Heinrich-Böll-Stiftung, oder auch Jürgen Trittin, der unter Gerhard Schröder Bundesminister war. Bei der Linkspartei ist heute Ulla Jelpke, die die Dämonisierung der Stasi kritisiert und dem Neuen Deutschland sagte, der Begriff Clan-Kriminalität sei »irreführend und diskriminierend«; Razzien gegen arabische Clans trügen dazu bei, die »rassistische Karte« im Sinne der AfD zu spielen. Oder Jürgen Reents, der zuletzt das Neue Deutschland leitete. Aber manche Antideutsche, die die Wanderung durch die Wüste vom KB zu den Grünen mitgemacht haben, sind im rechten Lager gelandet. Darunter sind Justus Wertmüller, Jürgen Elsässer und Matthias Küntzel, früher wissenschaftlicher Mitarbeiter der grünen Bundestagsfraktion.

Küntzel, Wertmüller und Elsässer sind heute vom linken Mainstream so weit entfernt wie der TSV 1860 München von der Tabellenführung der Bundesliga. Wertmüller verteidigte nicht nur den serbischen Staatschef Slobodan Milošević – in einem eher wirren Beitrag für die Jungle World verbot er deutschen Autonomen, Milošević einen Faschisten zu nennen, nicht zuletzt wegen des »österreichisch-deutschen Rambouillets im Jahr 1914«, sondern forderte in einem Vortrag 2010 auch dazu auf, den nicht minder umstrittenen Immigrationsskeptiker Thilo Sarrazin differenziert zu sehen. Heute sieht er sich selbst als »ideologiekritisch«. Das liegt irgendwo zwischen Marx und Engels, mit einem Schuss Feuerbach und einer Prise Weber auf einer Lage Hegel und mit Adorno und Habermas garniert, ist also ziemlich deutsch.

Elsässer, der wie Wertmüller aus der Ecke von Jungle World, Neues Deutschland und Konkret kommt, überwarf sich mit Gremliza über den Irakkrieg. Danach etablierte er sich als Verteidiger des »werktätigen Volks« (mit dem Antideutsche sonst eher nichts am Hut haben) und gründete im Januar 2009 eine »Volksfront gegen das Finanzkapital«. Diese sei, erklärte Elsässer der taz, von »Lafontaine bis Gauweiler« für all jene offen, die »eine große Offensive« gegen den »bewussten Angriff des anglo-amerikanischen Finanzkapitals« starten wollen. Die Zeit nannte ihn »Kreml-Propagandisten«. Für die amerikanische Zeitschrift The Atlantic allerdings war die Karriere vom Neues-Deutschland-Autor zum Putinfreund nur logisch. »Er ist ein Apparatschik, dessen Loyalität wahrscheinlich immer bei Moskau lag«, schreibt Mike Lofgren, ein früherer Mitarbeiter des US-Kongresses. Hingegen verbitten sich die bei der Fahne gebliebenen Antideutschen nicht nur Kritik an Amerika, sondern auch an US-Banken, da dies grundsätzlich antisemitisch sei. Ist es nicht eher antisemitisch, Kritik an der Wall Street mit dem Hinweis abzubürsten, bei Wall Street denke jeder an Juden? Denn damit unterstellen die Großkapital-Verteidiger ja erst, die Wall Street sei jüdisch kontrolliert.

Deutschland – keine Heimat
Die Freiheit, Jude sein zu können. Ohne Wenn und Aber
Auch Blogs wie das von Stefan Laurin herausgegebene Ruhrbarone, Lisas Welt oder Salonkolumnisten liegen am Kreuzweg von antideutsch und pro-israelisch – in der letzten Krise um Gaza, im Mai 2021, boten die Ruhrbarone Arye Sharuz Shalicar als Kriegserklärer auf, der ehemalige Sprecher der israelischen Armee. Bei Missy Magazine dürfen hingegen antideutsche Frauen schreiben. Einige Autoren der Jungle World waren zu DDR-Zeiten eigentlich bloß antiwestdeutsch, weshalb es wirklich tragisch ist, dass sie nun mit den Anti-Ostdeutschen in einem Boot sind.

Auch bei etablierten Medien gibt es Antideutsche, etwa Patrick Gensing, ein früherer Punk, der bei der Tagesschau Faktencheck macht. Gensing lehnt den »Fetisch um die Heimat« ab, soweit es sich um deutsche Heimat handelt. Heimat, schreibt er in der taz, sei kein Ort, sondern allenfalls ein diffuses Gefühl. Menschen sollten aber keine diffusen Gefühle benötigen, um sich notdürftig eine Identität zu konstruieren. Und Heimat sei ein sehr deutsches Konzept, das Wort gebe es anderswo gar nicht. Die Haltung von Gensing ist typisch für die antideutsche Linke, aber totaler Blödsinn: Deutschland ist, im Gegenteil, das einzige Land auf der ganzen Welt, wo Linke mit ihrer Heimat fremdeln.

Der Journalist inszeniert sich in der taz als Kosmopolit, der glaubt, der Heimatbegriff fördere Fremdenfeindlichkeit und sei ein »Einfallstor für Antisemitismus«. Auch hier wieder diese merkwürdige Umkehrlogik: Nicht nur überlässt Gensing den Begriff der Rechten, er unterstellt damit deutschen Juden, aber auch Einwanderern, dass die Deutschland nicht als Heimat sehen könnten oder dürfen. Und was oberflächlich danach aussieht, als befürworte er offene Grenzen, funktionierte auch andersherum: Wenn es keine Wurzeln gibt und keine Grenzen, was spräche dagegen, Zuwanderer nach Gusto auch wieder abzuschieben? Welchen Sinn hätte in einer wurzel- und identitätslosen Welt eine Antikolonialbewegung? Dann könnten Deutsche auch in Südwestafrika siedeln oder in Schlesien. Schließlich sind Kosmopoliten überall in der Welt zu Hause.

Und wenn Heimat insignifikant und auswechselbar ist, aus welchem Grund kämpfen dann Mieter gegen Gentrifizierung? Die können doch einfach wegziehen und Platz für die gutverdienende Intellektuellen-Elite machen, der Gensing angehört. Das Schrägste aber ist, dass Leute wie Gensing wahrhaftig glauben, sie seien links, weltoffen oder progressiv. Tatsächlich spiegelt diese Utopie der identitäts- und heimatfreien Kosmopoliten lediglich die neoliberale Überheblichkeit der Generation Vielflieger-Kreditkarte wider.

Bruch mit dem Linksliberalismus
Sahra Wagenknecht räumt die LINKE und die SPD ab. Lesenswert
Bekannt wurde Gensing durch sein Blog Publikative.org, in dem er sich geriert wie der Statthalter des verblichenen CIA-Chefs Allen W. Dulles und das inzwischen vollständig aus dem Netz geschrubbt wurde. Darin wettert er gegen rechte Kapitalismuskritik, die sich gegen das »ortlose Finanzkapital« wende, gegen die Mahnwachen für den Frieden am Brandenburger Tor und wirft der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht Querfront-Tendenzen vor. Er wendet sich auch gegen deutsche Kritik an der NSA-Überwachung, obwohl die ja von Amerikanern wie Edward Snowden und Glenn Greenwald angestoßen wurde. Im Deutschlandfunk spricht er von »Hysterie« und einer »opferlosen Debatte«, die »anti-amerikanische Verschwörungslegenden« produziere. Dass die USA ihre Interessen »durchboxen« würde, sei ein »Ressentiment«, das »Linke, Konservative und Rechtsradikale« vereine. Natürlich vereint dies auch Liberale, Sozialdemokraten, Grüne und sogar US-Amerikaner: Die politische Richtung, die glaubt, Amerika setze seine Interessen um, indem es »bitte, bitte« sage, muss erst noch erfunden werden.

Gensings Blog verlinkte auf den Sänger Danger Dan von der Band Antilopen Gang, der in Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt gratismutig gegen altneue Rechte wie Jürgen Elsässer, Götz Kubitschek und Alexander Gauland ansingt, um »die Welt von den Faschisten zu befreien«. In einem älteren Liedchen schwurbelt Danger von einer Atombombe, die 80 Millionen Deutsche auslöschen soll, aber das meint er irgendwie ironisch, und nicht faschistisch.

Gensing ist nicht der einzige antideutsche Faktenchecker. Bei Correctiv arbeitet David Schraven, der das antideutsche Blog Ruhrbarone mitgegründet hat. Correctiv betreibt sogenannten Faktencheck für Facebook. Faktenchecken tun die Antideutschen am liebsten, das verleiht ihnen Autorität. Correctiv macht es sich zur Herzensaufgabe, antideutsche Zitate, die prominenten Grünen und Linken zugeordnet werden, als fake zu entlarven, ein hoffnungsvolles Zeichen, dass das inzwischen karriereschädigend ist. Als Claudia Roth in einer Demo mitlief, die von dem Plakat »Deutschland, du mieses Stück Scheiße« angeführt wurde, wies Correktiv minutiös nach, dass Roth das Plakat vielleicht irgendwie doch nicht gesehen haben muss.

Warum wird ein Deutscher überhaupt antideutsch? Selbst der linkste, Trump- wie Clinton hassende Amerikaner, Black-Lives-Matter-Aktivist oder indianische Pipeline-Bekämpfer würde nicht auf die Idee kommen, sich vor ein Foto des rauchenden World Trade Center zu photoshoppen, mit einem Schild, auf dem steht: »Osama bin Laden, do it again!« So wie Antisemitismus nichts damit zu tun hat, was Juden tun, sind auch die Beweggründe der Antideutschen nicht darin zu finden, was Deutsche tun. Sie sind in der Psyche der Antideutschen verankert, die Deutschland dämonisieren, als Staat delegitimieren und einem doppelten Standard unterwerfen. Sonst würden sie ja Länder bekämpfen, die tatsächlich rechtsautoritär sind, von der Türkei über Ungarn bis zu Nordkorea.

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Im Grunde sind Antideutsche spätgeborene, überkompensierende Widerständler gegen die Nazis. Sie glauben, durch die öffentliche Zurschaustellung ihrer antideutschen Haltung in den Augen der Welt von der Erbsünde Auschwitz ausgenommen zu sein, so wie sich kleine Kinder die Hand vor die Augen halten, weil sie glauben, damit werde es dunkel. Und natürlich hätten sie alle unter den Nazis ihr Leben im Widerstand riskiert, so wie sie auch heute tapfer auf Social Media Nazis bekämpfen. Parallel dazu leben sie in der Fantasie, dass sie keine Opfer mehr sind, sondern Sieger, wenn sie sich mit Bomber Harris identifizieren, und das gänzlich ohne eigene Anstrengung und unter Beibehaltung der Moralflagge.

Auch Hitler, der Österreicher, wurde kurz vor seinem Lebensende ziemlich antideutsch. In seinem Testament sagte er (zitiert von dem britischen Wissenschaftler Ian Kershaw): »Wenn der Krieg verloren geht, wird auch das Volk verloren sein. Es ist nicht notwendig, auf die Grundlagen, die das deutsche Volk zu seinem primitivsten Weiterleben braucht, Rücksicht zu nehmen.« Und: »Wenn das deutsche Volk einmal nicht mehr stark und opferbereit genug ist, sein Blut für seine Existenz einzusetzen, so soll es vergehen und von einer anderen, stärkeren Macht vernichtet werden.« Ganz ähnlich dachte auch Kaiser Wilhelm, der empört sagte: »Das deutsche Volk ist eine Schweinebande«, als ihn die Nazis nicht aus dem holländischen Exil holten.

Wie Kaiser Wilhelm können die Antideutschen austeilen, aber nicht einstecken. Sie schneiden nächtens das Gold aus gekaperten schwarz-rot-goldenen Fahnen (oder, wie Joseph Goebbels die Flagge nannte, schwarz-rot-senf) und fordern, Chemnitz mit Napalm zu bombardieren, weil dort angeblich so viele Nazis herumlaufen. Sie halten es aber für Hate Speech, wenn sie ein Pöstchen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk verlieren. Sie wollen – wie Denis Yücel in der taz – Deutschland zwischen Frankreich und Polen aufteilen, verlangen aber, dass die deutsche Bundesregierung sie herausholt, wenn sie in der Türkei festsitzen.

Sie fragen – wie die Linke-Politikerin Sarah Rambatz – auf Facebook nach »antideutsche Filmempfehlungen?&grundsätzlich alles, wo Deutsche sterben«. Wenn sie daraufhin aber Hassmails und Todesdrohungen bekommen, rennen sie zur Polizei, weil sie selbst doch nicht so gerne sterben wollen. Dem Spiegel erzählte Rambatz zu ihrer Verteidigung, sie habe jüdische Freunde. Haben die Juden noch nicht genug gelitten? Immerhin ergatterte sie einen Posten beim Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, wo sie fortan die israelische Besatzungspolitik verteidigte. Ob sie heute auch Filme sucht, in denen Araber sterben?

Wie einst bei den marxistischen Gruppen, stellt sich bei den Antideutschen die Frage: Kann so ein wirrer Haufen von psychologisch beschädigten Politaktivisten überhaupt Einfluss haben? Leider mehr, als man denkt. Denn die bestenfalls links in der Wolle gefärbten Antideutschen bilden nur die Speerspitze einer Grundhaltung, die Linke, vermeintliche Linke, Liberale, Grüne, Autonome, Jusos, Immigrationsaktivisten, Klimabewegte, Merkel-Verehrer und Woke vereint.


Auszug aus: Eva C. Schweitzer, Links blinken, rechts abbiegen. Die unheimliche Allianz zwischen Neurechten, woken Antideutschen und amerikanischen Neokonservativen. Westend Verlag, 272 Seiten, 20,00 €.


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