Tichys Einblick
Widerstehen oder Mitlaufen?

Den großen Charaktertest mit Bravour bestanden: Gunnar Kaiser

Für die einen war er ein Philosoph auf Abwegen, Rechtspopulist und Verschwörungstheoretiker, für die anderen ein großer Denker, Aufklärer und Freiheitskämpfer. Raymond Unger, Freund und Wegbegleiter Gunnar Kaisers, hat eine Gesamtwürdigung vorgelegt, die jeder, der das Andenken an Person und Kampf des verstorbenen Philosophen bewahren will, sich zulegen sollte.

Der Tod des Philosophen und Influencers Gunnar Kaiser kam für viele Menschen in Deutschland und anderswo als ein echter Schock. Kaiser war es nicht nur gelungen, in wenigen Jahren zu einer wichtigen Identifikationsfigur für alle zu avancieren, die sich der immer unverhüllteren Beschneidung ihrer Freiheitsrechte durch Migrations-, Euro-, Pandemie-, Klima- oder Demokratienotstand verweigerten; seine sachliche, unaufgeregte und immer um äußerste Objektivität bemühte Art zu argumentieren hob ihn auch weit über die üblichen kurzlebigen und oft genug demagogischen Internet-Influencer hinaus.

Sein Tod hat eine beträchtliche Lücke in unsere Reihen gerissen, die so schnell nicht gefüllt werden kann – und es auch nicht soll, denn Gunnar Kaiser zeichnete sich schon immer durch eine ebenso liebenswerte wie individuelle Persönlichkeit aus, die für immer in der Erinnerung der Menschen sein Alleinstellungsmerkmal sein wird.

Freilich: Das Internet ist ein überaus kurzlebiger Ort, und wenn Kaiser auch 2022 mit „Die Ethik des Impfens“ und „Der Kult. Über die Viralität des Bösen“ zwei Bücher vorgelegt hat, die ein bleibendes Zeugnis seiner Anstrengungen sind, so handelt es sich hierbei doch angesichts der Fülle an Online-Videos, die sein eigentliches Vermächtnis darstellen, nur um die Spitze des Eisbergs.

”Habe ich genug getan?“
In memoriam Gunnar Kaiser
Umso verdienstvoller ist es, dass nun mit Raymond Ungers Büchlein „Habe ich genug getan? In memoriam Gunnar Kaiser“ eine Gesamtwürdigung der Person Kaisers vorliegt, die jeder, der das Andenken an Person und Kampf des verstorbenen Philosophen bewahren will, sich zulegen sollte.

Unger, Künstler, Autor und einer der nächsten Gefährten Kaisers auf seinem Weg, hat dabei nicht etwa eine Biographie oder eine systematische Darstellung des Denkens des Verstorbenen zusammengestellt, denn zum einen ist dafür die Zeit noch nicht reif und der Werdegang des Verstorbenen zu sehr in die Nebel des rein Privaten gehüllt, während zum anderen das Denken Kaisers eben nie systematischer Art war, sondern sich immer situativ und pragmatisch vortastete und beständig von Neuem begann.

Unger hat daher sein Buch auch nur sehr vage chronologisch aufgebaut, denn nach einer kurzen Würdigung des Projekts „Kaiser TV“ steigt er sofort in das für ihn und wohl auch Kaiser zentrale Thema ein, nämlich die Bewältigung der Covid-Pandemie. Diese stellte nicht nur für Kaiser, sondern auch für unzählige andere Menschen ein echtes politisches Erweckungserlebnis dar, da es sämtliche Sicherheiten auf den Kopf stellte und den Einzelnen – für die meisten zum ersten Mal – vor eine ganz persönliche konkrete Verantwortung setzte: Widerstehen oder Mitlaufen?

Ohne Aufarbeitung kein Lernen für die Zukunft
Wie das Virus unser Land zersetzt – immer weiter
Kaiser wurde, wie Unger Schritt für Schritt beschreibt und mit vielen Zitaten illustriert, zu einem der wichtigsten Sprachrohre des Widerstands und verzehrte sich in den darauffolgenden Monaten nicht nur durch einen pausenlosen Aktivismus im Kampf gegen die drohende Pandemie-Diktatur, sondern auch im Versuch der Bewältigung seines eigenen gesellschaftlichen „Abstiegs“. Schon immer war er aufgrund seiner bemerkenswerten Diskussionsoffenheit von den Verteidigern politischer Korrektheit als „unsicherer Kantonist“ betrachtet und gelegentlich gecancelt worden, etwa durch die Naumann-Stiftung; nun aber wurde er medial vollends zum Abschuss freigegeben und entsprechend behandelt – bis heute, liest man die teils schockierend hämischen posthumen „Würdigungen“ Kaisers in den Leitmedien. All dies hatte zur Folge, dass Kaisers Bekanntheit zwar exponentiell anstieg, zum „pandemischen“ Untergrundkampf aber nun auch die Bewältigung der gesellschaftlichen Ächtung kam – eine für niemanden einfach zu ertragende Doppelbelastung, die mit ziemlicher Sicherheit auch an der Krebserkrankung und dem frühen Tod Kaisers schuld gewesen sein dürfte.

Unger folgt in seinem Buch ausführlich, aber nie sklavisch chronologisch, den verschiedenen Etappen des Engagements Kaisers und bemüht sich, diese auch mit seinem seelischen Zustand in Einklang zu bringen, bis er schließlich den Punkt erreicht, wo Kaiser die Diagnose seiner Krebserkrankung erhielt, und sein bisheriges Leben zusammenbrach – oder doch jedenfalls durch den Versuch der Bewältigung dieser Neuigkeit eine völlig andere Ausrichtung erhielt, wenn auch vielleicht zu spät. Denn wenn Kaiser auch viele Jahre lang immer wieder von der Endlichkeit des Lebens als zentralem philosophischen und moralischen Prüfstein unseres Daseins ausgegangen war, bewirkte die eigene, ganz konkrete Todesbotschaft doch eine tiefgreifende Veränderung mit ihm.

Sternstunden des Lesens
Zehn Zeugnisse der Hoffnung auf bessere Zeiten
Auf der einen Seite zog nun die Maxime vom „Einfach sein“ in sein Werk ein, indem sich Kaiser bemühte, neben eher theoretischen oder gar moralpolitischen Fragen auch das Problem des „guten Lebens“ in seiner unmittelbaren Praxis zu behandeln und so gut wie möglich selbst vorzuexerzieren – ein Vorhaben, das sich für Kaiser angesichts seines unbändigen Drangs, immer wieder mit seinen Zuhörern zu kommunizieren und sie an seinen Reflexionen teilhaben zu lassen, einfacher formulieren als ausführen ließ.

Auf der anderen Seite öffneten sich Kaiser, je mehr die Hoffnung auf Genesung schwand, zunehmend Fragen und auch Antworten, die er bislang in seiner liberalen bzw. libertären Phase meist nur sehr entfernt berührt hatte. Nun machte Kaiser, wie ich selbst auch in meinem letzten, sehr berührenden Gespräch mit ihm besprechen konnte, allmählich seinen Frieden mit dem Begriff der Transzendenz und des Weiterlebens der Seele, und somit trat nun auch das Gebet als Versuch des direkten Gesprächs „mit“ und nicht nur „über“ Gott in das Zentrum seines Interesses, wie auch die Frage „Habe ich genug getan?“ – eine Frage, auf die zumindest der Autor des Buchs wie auch der Rezensent nur mit einem klaren „Ja“ zu antworten vermögen.

Insgesamt: Eine gut lesbare, persönliche und mit unzähligen Zitaten angereicherte, ebenso berührende wie erschütternde Dokumentation über einen grundehrlichen, klugen und mutigen Mann, der vielen Lesern und Zuschauern eine wichtige Stimme war und noch lange vermisst werden wird.

Raymond Unger, Habe ich genug getan? In memoriam Gunnar Kaiser. Europa Verlag, Hardcover, 150 Seiten, 17,00 €.


Mit Ihrem Einkauf im TE-Shop unterstützen Sie den unabhängigen Journalismus von Tichys Einblick! Dafür unseren herzlichen Dank!!>>>