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Zahlen verwechselt?

Zweifel an Handelsblatt-Bericht zur geringen Wirksamkeit des AstraZeneca-Impfstoffs

Das Handelsblatt meldete, dass die Bundesregierung von einer Wirksamkeit des AstraZeneca-Impfstoffs von nur acht Prozent ausgehe. Die Zahl scheint aber eine Verwechslung zu sein. Andere Zweifel am AstraZeneca-Impfstoff bleiben allerdings.

IMAGO / Schöning

Das Handelsblatt liegt mit der Überschrift „Rückschlag bei Impfstoff“ an den Kiosken.  Darunter eine fett gedruckte „8“. Das sei die Wirksamkeit des Impfstoffs von AstraZeneca bei über 65-Jährigen. Eine ziemlich drastische Meldung, die entsprechend häufig aufgegriffen wurde – auch von TE.

Denn der Stoff sollte das eigentliche Rückgrat bei der Impfung in der EU sein soll. Und Senioren werden als vor allem Gefährdete mit Priorität geimpft. Der schwedisch-britische Vektorimpfstoff ist weltweit mit Abstand der am meisten georderte, mehr als doppelt so viele Aufträge wie bei bei BionTech sind hier eingegangen. Wenn die Wirksamkeit dieses Stoffes derart gering wäre, würde das die gesamte Impfstrategie der EU über den Haufen werfen.

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Allein: Der Bericht des Handelsblatts scheint nicht ganz korrekt zu sein. Zunächst wies AstraZeneca die Vorwürfe als „komplett falsch“ zurück. Auch das Gesundheitsministerium dementierte: „Auf den ersten Blick scheint es so, dass in den Berichten zwei Dinge verwechselt wurden: Rund acht Prozent der Probanden der AstraZeneca-Wirksamkeitsstudie waren zwischen 56 und 69 Jahren, nur 3 bis 4 Prozent aber 70 Jahre. Daraus lässt sich aber nicht eine Wirksamkeit von nur acht Prozent bei Älteren ableiten.“

Auch britische Journalisten, unter anderen Andrew Neil vom Spectator, warfen die Hypothese auf, die Meldung beruhe auf einer Verwechslung. Die „8 Prozent“ bezögen sich in Wahrheit nur auf den Anteil der bestimmten Altersgruppe an der Teilnehmerzahl der AstraZeneca-Wirksamkeitsstudie. „Keine Ahnung, wo die Zahl herkommt“ zitiert Politico aus Regierungskreisen. Ein weiterer britischer Entscheider soll sogar gesagt haben er habe sowas eher „von den Russen“ erwartet und ergänzte: „verdammte Trottel“.

In der Wirksamkeitsstudie von AstraZeneca sollen in der Tat 100 Prozent der „älteren Erwachsenen“ eine Immunreaktion bei der Impfung ausgelöst haben. In die im Lancet veröffentlichte Studie wurden allerdings nur ganze 240 über 70-Jährige einbezogen. Besonders brisant: Die Studie zeigt, dass die Wirksamkeit des Impfstoffes am höchsten ist, wenn bei der ersten Dosis nur die halbe Impfstoffmenge verabreicht wird. Dieses „kombinierte“ Impfschema wurde allerdings bei keinem Probanden über 55 getestet. Die Datenlage bei über 65-Jährigen ist also so dünn, dass man hier kaum verlässliche Aussagen über Wirksamkeit und Nebenwirkungen hat.

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Business Insider berichtet, die Bundesregierung gehe davon aus, dass die Europäische Arzneimittelbehörde Ema voraussichtlich am Freitag lediglich eine Empfehlung zur Nutzung des AstraZeneca-Mittels für unter 65-Jährige geben werde.  Für über 65-Jährige soll keine Empfehlung ausgesprochen werden, Grund sei womöglich die zu geringe Stichprobe. Daher plane Jens Spahn jetzt die Impfreihenfolge zugunsten von Jüngeren zu ändern.

Für die vom Handelsblatt berichtete Wirksamkeit von 8 Prozent bei über 65-Jährigen gibt es wohl keinerlei Belege. Berichte wie die des Business Insider sind hingegen realistischer. Die Datenlage für ältere Menschen ist in der Tat extrem gering. Auch bei BionTech gab es Vorwürfe der unzureichenden Datenmenge – hier waren aber immerhin 1800 Personen über 74 in der Studie, die auch wirklich auf Covid-Infektionen untersucht wurden und nicht nur auf eine gemessene Immunreaktion.

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